# taz.de -- Homophobie im Sport: Rugby unterm Regenbogen
       
       > Die Männer der Berlin Bruisers lieben Dreck, Schweiß und Tacklings – und
       > kämpfen als erstes schwules Rugbyteam Deutschlands gegen Homophobie und
       > Vorurteile.
       
 (IMG) Bild: Wider das Männer-Klischee: Die Berlin Bruisers im Tiergarten nach dem Training (2013).
       
       In der Pause haben die Spieler Zeit zum Rumblödeln. Am Nordrand des
       Tempelhofer Felds stehen mehr als 20 Männer, kalter Wind pfeift über das
       Feld und lässt ihren Atem und den Schweiß als Wolken aufsteigen. Einer der
       Spieler trägt ein Kapuzenshirt über seinen Muskelbergen, nun verwandelt er
       sich in einen Balletttänzer: „Look at this, guys!“, ruft er. Er schwingt
       sich auf die Zehenspitzen, der Schuh mit den Stollen gräbt sich ins Gras.
       Das andere Bein streckt er in die Höhe, so dass sein Knie fast die Schulter
       berührt. Die kräftigen Arme formen ein U, Mittelfinger und Daumen presst er
       fest aneinander, die übrigen Finger spreizt er ab wie eine Dame beim
       Teetrinken: „Is this gay?“ Die Teamkollegen der Berlin Bruisers prusten
       los, das Spiel mit den Vorurteilen bringt sie zum Lachen. Die erste
       homosexuelle Rugbymannschaft Deutschlands bricht mit den Klischees von
       soften Schwulen – und von stumpfen Rugbymachos
       
       Seit fast zwei Jahren trainieren, schwitzen und albern die Bruisers – zu
       Deutsch etwa die Raufbolde – zusammen. Sie wohnen in Berlin, kommen aber
       aus Spanien, Schottland, Frankreich und den USA. 50 Männer zwischen Anfang
       20 und Ende 50 sind es, aus 15 Ländern kommen sie, im Training werden
       Kommandos in Englisch gerufen. Für die Spieler ist das Team mehr als Sport:
       „Viele kommen zu uns, weil sie fremd sind in der großen Stadt Berlin. Sie
       suchen Freunde“, sagt Visa Noronen. Er selbst kam vor einigen Jahren für
       seinen damaligen Freund aus Finnland nach Berlin. Vorher hatte er noch nie
       Rugby gespielt, hörte aber von Bekannten von dem Team und ist seitdem
       dabei.
       
       Die Idee, ein schwules Rugbyteam zu gründen, entstand wahrscheinlich in
       einer Kneipe – so genau kann das heute keiner mehr sagen – und machte in
       der Berliner Community schnell die Runde. Nach kurzer Zeit trafen sich ein
       Dutzend Spieler, schnell wurden es mehr. „Fast jede Woche kommt ein neuer,
       viele bleiben“, sagt der, den die großen Männer ehrfürchtig „Coach“,
       Trainer, nennen.
       
       ## Zur Hochzeit eingeladen
       
       Mike Felts ist US-Amerikaner – und einer von rund fünf Heteros bei den
       Bruisers. An der Highschool hat er Rugbyspielen gelernt. In Berlin hatte er
       nach einem Team fürs Training gesucht, die Bruisers brauchten einen
       Trainer. Die Chemie stimmte sofort. Felts blieb und lud die Jungs später
       sogar zu seiner Hochzeit ein. „Die Bruisers sind wie jedes andere Rugbyteam
       auch“, sagt er.
       
       Die Pause ist beendet, das Team strömt zurück auf das Feld, das neben dem
       Tiergarten ihr Trainingsgelände ist. Noch spielen die Bruisers, vor denen
       nur fünf schon mal das weiß-blaue Rugby-Ei in der Hand hatten, bevor sie im
       Team anfingen, in keiner Liga – nur als Freizeitmannschaft. Hin und wieder
       organisieren sie Turniere und Freundschaftsspiele gegen Clubs aus Berlin
       und dem Umland. „Die anderen Teams merken schnell, dass wir den Sport
       lieben und genauso spielen, wie alle“, sagt Visa Noronen.
       
       Verwunderte Blicke und Nachfragen treffen die Bruisers trotzdem oft: Schwul
       und Rugby, wie geht das zusammen? „Die Hetero-Rugbyspieler sind genau wie
       wir“, sagt Teamkollege Erik Ewald, und lacht: „Auch die spielen hart,
       feiern hart und ziehen sich gerne aus.“ Irgendwann, planen die Bruisers,
       wollen sie sich einer Liga anschließen.
       
       Vor der roten Backsteinwand, die den islamischen Friedhof umschließt, hat
       Trainer Mike Felts kleine gelbe Kegel auf den feuchten Rasen gestellt.
       Heute heißt die Übung Tackling: den Gegenspieler umrennen.
       
       Rugby ist ein harter Sport. Zwei Teams à 15 Mann kämpfen um einen
       eiförmigen Ball, vergleichbar mit American Football. Doch anders als beim
       US-Ableger schützen keine Helme und Polster den Spieler. Rugby ist das, was
       gemeinhin als männlicher Sport gilt. Wohl auch deshalb gehen schwule
       Spieler selten an die Öffentlichkeit. Als der walisische Star Gareth Thomas
       vor wenigen Jahren als weltweit erster seine Homosexualität öffentlich
       machte, brandete Jubel auf, ähnlich wie kürzlich beim Fußballspieler Thomas
       Hitzlsperger.
       
       ## Angst vor Reaktionen
       
       Noronen ist froh, dass ein Fußballspieler diesen Schritt gewagt hat. Noch
       glücklicher macht ihn die Reaktion der Menschen: „Dass die meisten so
       freundlich reagiert haben, ist wunderbar. Ich hoffe, dass das viele
       ermutigt, seinem Beispiel zu folgen.“ Schlimmer als Diskriminierung ist für
       Noronen das, was er „Selbstdiskriminierung“ nennt: „Viele verstecken sich
       vor sich selbst, weil sie Angst vor den Reaktionen haben. Wie bei
       Hitzlsperger sind die aber oft entspannter als man vermutet.“
       
       Paarweise trainieren die Bruisers das Tacklen. Die Trikots spannen über den
       Muskeln, Körper krachen aufeinander. Den Kopf gesenkt, die Knie
       angewinkelt, vergraben sie die Schulter im Oberkörper des Gegenspielers.
       Der stemmt sich dagegen, haut die Stollenschuhe in Schlamm und versucht,
       den Angriff zurückzuwerfen. Einer von beiden muss nachgeben. Irgendwer
       landet immer im Dreck. Wenn das passiert ist das Gelächter groß, klatschend
       packen sich beide an den Händen. Ein Ruck, und der andere ist wieder auf
       den Beinen. „Wir können schwul sein und trotzdem den Schlamm lieben“, sagt
       Visa. „Wir sind auch Männer und müssen ab und zu rumtoben.“
       
       Coach Mike drischt den Ball in hohem Bogen über den Platz, sofort preschen
       zwei Reihen Männer aufeinander zu: Das Trainingsspiel beginnt. Ziel ist es,
       den Ball in die Endzone der Gegner zu tragen, erlaubt ist dabei fast alles.
       Kraftvoll pumpt sich ein Angreifer durch die Abwehrreihe der Gegner,
       schlägt Haken, durchbricht eine Mauer aus Körpern. Try – der Ball ist am
       Ziel, die Angreifer punkten.
       
       Dass das Experiment Bruisers ausgerechnet in Berlin gelingt, ist für Visa
       Noronen kein Zufall: „Wir sind so eine bunte Truppe: Schwule und ein paar
       Heteros aus allen Ländern der Welt, das passt einfach zu Berlin.“ Das Team
       versteht sich als Botschafter gegen jede Form der Diskriminierung,
       Homophobie oder Fremdenfeindlichkeit. In anderen Städten, glaubt er, wäre
       das nicht ohne weiteres möglich.
       
       Wie die Pinguine im Eiswind drängen sich die Bruisers zu einem Kreis: Das
       Training ist vorbei. Grasbüschel kleben an den Trikots, rote Gesichter
       pusten heiße Luft. Wie immer, bevor es nach Hause geht, fassen sich die
       Spieler an den Schultern, feuern sich an und freuen sich auf das nächste
       Mal.
       
       5 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ferdinand Otto
       
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