# taz.de -- Buch „Die Juliette Society“: The Inflation of Grey
       
       > Als Pornodarstellerin wollte sie die Grenzen für Frauen erweitern. Heute
       > dreht sie nicht mehr, sie schreibt Pornos. Und will uns sexuell befreien.
       
 (IMG) Bild: Sasha Grey beim Dreh zu Soderberghs „The Girlfriend Experience“.
       
       Vaginal, anal, Double Penetration, Gangbang, Schläge in Gesicht und Bauch.
       Sasha Grey macht schon 2006, im Alter von 18 Jahren, mit der ersten
       Bewerbung zu einem Pornodreh deutlich, dass es kaum etwas gibt, das zu tun
       sie nicht bereit ist.
       
       Sie schreibt, dass sie die meisten Pornos für langweilig halte und zu den
       Darstellerinnen gehören wolle, die die Grenzen dessen erweitern würden, was
       Frauen zu mögen oder zu sein haben. Vor der Kamera äußert sie, wie in der
       Branche üblich, auch nach über 300 Produktionen in drei Jahren kein
       schlechtes Wort über ihre Arbeit.
       
       Weltruhm erlangt die sehr junge und noch jünger aussehende Grey mit ihrem
       extremen Agieren vor der Kamera. In ihren Pornos fordert sie ihre Kollegen
       auf, noch härter zu sein, verlangt nach mehr, setzt ihnen Schweinenasen aus
       Gummi auf, beschimpft sie oder überrascht mit humoristischen Äußerungen.
       Sie übernimmt zumindest scheinbar die Kontrolle und lässt den Zuschauer
       deutlich spüren, dass sie alles andere ist als ein Objekt oder das Opfer.
       
       [1][In einem Interview] erklärt die in Kalifornien geborene Schauspielerin,
       dass auch im Porno Raum für Kunst sei und sie Frauen vermitteln wolle, dass
       an Sexualität nichts Beschämendes sei.
       
       ## Horror und Satire
       
       2009 steigt sie, gerade 21 Jahre alt geworden, aus der Pornobranche aus. Es
       folgen Filmproduktionen, darunter Steven Soderberghs „The Girlfriend
       Experience“, Serien, Musikvideos und sogar [2][eine kurze Satire über den
       US-Geheimdienst NSA]. Während Sie in den vergangenen Produktionen vor allem
       sich selbst oder Edelprostituierte spielte, hat sie in dem jetzt auf DVD
       erschienenen Horrorthriller „Tödliches Spiel – Would You Rather?“ eine
       erotikfremde Nebenrolle übernommen, die ihr neue schauspielerische
       Qualitäten abfordert.
       
       Der Film, eine Mischung aus dem Silvesterklassiker „Dinner for One“ und und
       dem Horrorfilm „Saw“, ist aber nur hartgesottenen Splatter- und
       Trashfreunden ans Herz zu legen. Außerdem ist Grey Teil der Industrial-Band
       aTelecine, als DJane vor allem in Russland beliebt, hat den Fotoband „Neü
       Sex“ mit eigenen Bildern herausgegeben und 2013 das Buch „Die Juliette
       Scoiety“ veröffentlicht.
       
       [3][Dieses Buch ist auch als Antwort auf die erfolgreiche Erotik-Trilogie
       „Shades of Grey“ entstanden.] Die Namensähnlichkeit im Titel des
       Weltbestsellers hatte da schon für einige Missverständnisse gesorgt.
       Erzählt wird in Greys Buch die Geschichte der Filmstudentin Catherine, die
       mithilfe einer neuen Freundin, Anna, der Langeweile ihrer monogamen
       Zweierbeziehung zu entfliehen versucht. Anna mag BDSM – „Bondage &
       Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“; das Label für alle
       sexuellen Spielarten, die mit Macht, Unterwerfung, Dominanz und Gewalt im
       weitesten Sinne zu tun und das Einverständnis der beteiligten Parteien zur
       Voraussetzung haben. Die „Juliette Society“ handelt also im selben
       Themenfeld wie „Shades of Grey“.
       
       Catherine ist fasziniert von der Welt, die Anna ihr eröffnet, und folgt ihr
       in das sexuelle Neuland. Was sie dort erfährt, bringt ihr jedoch nicht nur
       Befriedigung. Anna, die mit Sex ihre innere Leere füllt, bleibt auf der
       Strecke. Catherine landet am Ende in den Armen einer skrupellosen
       Geheimgesellschaft von Reichen und Mächtigen.
       
       ## Unterhaltsame Lektüre
       
       Grey lässt verschiedene künstlerische Referenzen einfließen, insbesondere
       aus dem Film „Belle de Jour“ von Luis Buñuel und dem Buch „Sexualität ist
       Macht“ von Angela Carter. Genau darum geht es Sasha Grey: um Sex, Macht und
       den Zusammenhang zwischen beidem. Im Kontrast zum intellektuellen Bezug
       lässt die stilistische Reife des Romanes zu wünschen übrig. Die sexuellen
       Eskapaden der Catherine können zwar partiell mitreißen, lesen sich aber
       streckenweise wie leb- und lieblose Aneinanderreihungen von Pornoszenen –
       ohne Kondom.
       
       Die obskure titelgebende Geheimgesellschaft wirkt künstlich aufgepfropft;
       eine wirkliche Rolle spielt sie nur im ersten und letzten Kapitel. Doch
       auch ohne hohe erzählerische Qualität ist die Lektüre unterhaltsam.
       
       Sasha Grey möchte nicht andauernd auf ihre Vergangenheit als
       Pornodarstellerin angesprochen werden, scheint aber zu wissen, dass das
       nicht so ohne weiteres umzusetzen ist. Sie macht das Beste daraus. Sie
       versucht erkennbar das System, in dem sie gefangen ist, von innen heraus zu
       ändern und nutzt gleichzeitig die Attraktion, die ihr ehemaliger Beruf auf
       Publikum und Feuilleton ausübt, als Sprungbrett für ihre Karriere.
       
       Die lüsterne Dankbarkeit der Medien für dieses Geschenk ist spürbar: Eine
       intelligente Frau, die freimütig erzählt, dass sie mit sechzehneinhalb
       Jahren zum ersten Mal Sex hatte, die sofort mit der Volljährigkeit zum
       Pornostar wurde und als 25-jährige Frau ein Buch schreibt, Kunst und Filme
       macht. Dann beharrt sie noch darauf, das alles aus freien Stücken und mit
       Spaß getan zu haben. Spaß, der bedeutet, über drei Jahre hinweg etwa alle
       vier Tage einen anstrengenden Pornodreh zu haben. Mit Partnern, die sie
       sich nicht aussuchen kann, begleitet von Infektionen und anderen
       Berufsrisiken.
       
       ## Härte und Liebe
       
       Weiß eine Workoholic-Pornoakteurin, was guter Sex ist? Wie wirkt sich eine
       Arbeit in der Welt inszenierter Fantasien anderer Menschen auf die
       Entwicklung von emotionaler Nähe und Reife aus? Vielleicht liegt hier der
       Schlüssel für die partielle Gefühlsarmut in „Die Juliette Society“. Die
       beiden Hauptfiguren Catherine und Anna erscheinen so als doppeltes
       Selbstporträt der Autorin. Kann die aber unter diesen Voraussetzungen
       wirklich glaubhaft Hilfestellung zur sexuellen Selbstfindung geben?
       
       Sasha Grey mag subversiv sein oder heuchlerisch und kommerziell, eine
       Feministin, eine Feminismuskritikerin oder keines von beidem. Tatsächlich
       inszeniert sie sich glaubhaft als Kämpferin für die sexuelle
       Selbstbestimmung der Frau und wirbt dafür, dass Frauen wie Männer auch
       BDSM-Praktiken ausüben können, ohne sich dafür schlecht oder krank fühlen
       zu müssen.
       
       Für Sasha Grey gibt es keinen Widerspruch zwischen BDSM, Zärtlichkeit und
       Liebe. Was den einen Menschen erniedrigt, macht den anderen eben frei und
       stark. Die Tabuisierung weiter Bereiche menschlicher Sexualität gefährdet
       in Greys Augen die Persönlichkeitsentwicklung.
       
       Und obwohl sie mit ihrem aktuellen Filmschaffen und dem Roman ganz klar den
       Mainstream im Blick hat, macht dieses Statement allein „Die Juliette
       Society“ um einiges lesenswerter als den sich in Rollenklischees
       verlierenden Roman „Shades of Grey“.
       
       31 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ex-pornostar-sasha-grey-ich-wollte-die-maenner-ve
 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch?v=WtJ29UoedkM_
 (DIR) [3] http://www.hungertv.com/feature/the-interview-sasha-grey/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulf Schleth
       
       ## TAGS
       
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