# taz.de -- Deutschtests vor Ehegattennachzug: Liebe nur mit A1
       
       > Wer zu seinem Ehepartner nach Deutschland ziehen will, muss eine
       > Sprachprüfung bestehen. Nirgends sind die Hürden so hoch wie hierzulande.
       
 (IMG) Bild: Lernen für die Liebe – doch die Kurse sind teuer, die Sprachschulen oft weit entfernt.
       
       BERLIN taz | Seit eineinhalb Jahren lernt George Nwankwo nun schon Deutsch
       – und fast genauso lange hat er seine Frau Luise nicht mehr gesehen. Kennen
       gelernt hat er sie in Ludwigshafen, wo er drei Jahre lang als Asylbewerber
       lebte. Als sein Antrag abgewiesen wurde, musste er zurück in sein
       Heimatland, nach Nigeria. Sie reiste ihm nach, das Paar heiratete und
       stellte einen Antrag auf Familiennachzug bei der deutschen Botschaft.
       
       Sechs Prüfungen hat Herr Nwankwo bisher beim Goethe-Institut in Lagos
       abgelegt, einmal fehlten ihm nur fünf Punkte zum Bestehen. Doch ohne den
       geforderten Nachweis über seine Deutschkenntnisse bekommt er keine
       Genehmigung, um zu seiner Ehefrau nach Deutschland zu ziehen.
       
       Inzwischen sind George und Luise Nwankwo nahezu verzweifelt. Damit sind sie
       nicht alleine: Jeder Dritte fällt laut einer Statistik des Auswärtigen
       Amtes beim Sprachtest zum Ehegattennachzug durch – in Ländern wie Pakistan,
       Bangladesch, dem Irak und dem Kosovo war es im Jahr 2012 sogar jeder
       Zweite. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.
       
       Den Test muss bestehen, wer zu seinem deutschen oder in Deutschland
       lebenden Ehepartner ziehen möchte. Denn seit August 2007 ist Gesetz, dass
       ausländische Ehepartner bereits in ihrem Herkunftsland Deutschkenntnisse
       per Test nachweisen müssen. Ausnahmen gibt es nur bei einem
       Hochschulabschluss, einer Behinderung und für Bürger von Staaten wie Japan,
       Israel, Australien und die USA, für die keine Visumspflicht besteht.
       
       ## Mehr als die Hälfte weniger Visa
       
       Bereits im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes ging die Zahl der
       Visa, die für den Ehegattennachzug ausgestellt wurden, drastisch zurück. In
       einigen Ländern, wie Nigeria, liegt der Rückgang bei über 50 Prozent.
       
       Der Test ist zu schwer, sagen Kritiker wie Frau Swenja Gerhard vom Verband
       binationaler Ehen und Partnerschaften: „Fast alle unserer Fälle rasseln
       beim ersten Versuch durch, und nicht wenige schaffen es auch beim dritten
       Anlauf nicht.“
       
       Offiziell geht es bei dem verlangten Sprachniveau A1 darum, sich auf „ganz
       einfache Weise auf Deutsch verständigen“ zu können. Doch gerade der
       schriftliche Test stellt für viele eine große Hürde dar: Thailänder, Russen
       und Araber müssen dafür erst einmal das lateinische Alphabet lernen. Viele
       Testfragen sind zudem nur im Kontext verständlich und setzen ein
       Hintergrundwissen voraus, über das viele Antragsteller nicht verfügen.
       
       So sollte ein Prüfling etwa wissen, was unter einem „Open-Air-Konzert“ und
       was unter einer „Stadthalle“ zu verstehen ist – beides gibt es nicht in
       jedem Land. Für eine andere Frage lohnt es sich zu wissen, dass der Rhein
       zwischen Koblenz und Rüdesheim fließt, um sie richtig beantworten zu
       können. Kein anderes Land in Europa stellt so hohe Anforderungen wie
       Deutschland.
       
       ## Geldsegen für Goethe-Institute
       
       In vielen Ländern erweist sich auch die Infrastruktur als Problem. Nur
       jeder Fünfte weltweit hat Zugang zu einem Goethe-Institut, in der Türkei
       sind es sogar nur zehn Prozent. Zudem sind die Kurse teuer. Dabei wirkt
       sich die Teilnahme an einem Goethe-Kurs positiv auf das Ergebnis aus: Drei
       Viertel derjenigen, die dort vorbereitet wurden, bestehen am Ende auch den
       Test. Bei denjenigen, die nicht teilnehmen konnten, sind es nur knapp zwei
       Drittel.
       
       Für die Goethe-Institute weltweit sind Sprachkurse und Tests zu einer
       willkommenen Einkommensquelle geworden. Aber für Herrn Nwankwo liegt die
       nächste Goethe-Filiale zu weit entfernt von dem Ort, an dem er wohnt, die
       Fahrt ist zu teuer und zu aufwendig. Deshalb lernt er mit einem
       Privatlehrer und anhand eines Deutschbuchs, das ihm seine Frau mitgegeben
       hat.
       
       Das Ganze ist längst ein Fall für die Justiz geworden. Das
       Bundesverwaltungsgericht hat bereits im September 2012 in einem Urteil
       erklärt, dass ein Visum auch dann ausgestellt werden muss, wenn Bemühungen
       um einfache Sprachkenntnisse innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich,
       nicht möglich oder nicht zumutbar waren.
       
       Allerdings legen deutsche Behörden und Botschaften das Urteil in der Praxis
       so eng aus, dass es kaum umgesetzt wird. Thomas Oberhäuser, Ulmer
       Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Ausländerrecht, sieht dahinter eine klare
       Absicht: „Das Urteil wird systematisch unterlaufen.“
       
       ## Verfahren vor dem EuGH wird verhindert
       
       Auch die EU argwöhnt, dass die deutsche Praxis nicht mit den EU-Regeln zum
       Schutz der Familie vereinbar sei. Damit sich betroffene Paare jedoch darauf
       berufen könnten, müsste es erstmals zu einem Verfahren vor dem Europäischen
       Gerichtshof kommen. Das aber werde systematisch verhindert, indem Visa
       plötzlich doch ganz unbürokratisch erteilt würden, wenn eine
       erfolgversprechende Klage drohe, mutmaßt Oberhäuser.
       
       Die EU-Kommission hat schon versucht, Berlin zu einer Änderung des Gesetzes
       zu bewegen. Das Vertragsverletzungsverfahren, das sie im Sommer 2012
       eingeleitet hat, hat zunächst keine rechtlichen Folgen. Erst wenn es vor
       dem Europäischen Gerichtshof landet, muss Deutschland reagieren.
       
       Das Ehepaar Nwankwo hat nun erst einmal Klage am Verwaltungsgericht Berlin
       eingereicht. Frau Gerhard vom Verband binationaler Ehen und Partnerschaften
       unterstützt das Ehepaar. Ihren Glauben an den deutschen Staat hat Luise
       Nwankwo allerdings mittlerweile verloren: „Bevor ich meinen Mann
       kennenlernte, dachte ich, wir leben in einem Rechtsstaat. Jetzt weiß ich,
       dass dem nicht so ist, dass nicht alle gleich behandelt werden.“
       
       29 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sybille Biermann
       
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