# taz.de -- Weniger Vielfalt bei Obst und Gemüse-Sorten: Arme Landwirtschaft
       
       > In deutschen Supermärkten dominieren wenige Obst- und Gemüsesorten.
       > Lokale Produkte werden zunehmend verdrängt.
       
 (IMG) Bild: Harte Zeiten für lokale Obst- und Gemüsesorten: Eine Vogelscheuche reicht zum Schutz nicht aus.
       
       HAMBURG taz | Wie der Aufstand angefangen hat, weiß Karsten Ellenberg nicht
       mehr so genau, dafür aber warum. „Wir waren begeistert von der Linda“, sagt
       er. Ende 2004 verdichteten sich die Gerüchte, dass er und seine Kollegen
       diese Kartoffel nicht mehr würden vermehren dürfen. Weil sich kein Geld
       mehr damit machen ließ, hatte die Lüneburger Saatgutfirma Europlant die
       beliebte Sorte vom Markt genommen. Für den Landwirt Ellenberg verband sich
       damit eine Grundsatzfrage: „Wer entscheidet, was die Verbraucher essen
       dürfen?“
       
       Ellenberg gründete zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche
       Landwirtschaft (ABL) einen Freundeskreis „Rettet Linda“. Mit Aktionen wie
       einem Testessen in der Hamburger Innenstadt machte er auf das Problem
       aufmerksam.
       
       Von der Resonanz war er selbst überrascht. Landauf, landab berichteten die
       Medien, dass dem Verbraucher eine schmackhafte Kartoffelsorte weggenommen
       werden solle. Ellenberg vermutet, dass das Gefühl der Bevormundung viele
       Menschen für die Linda-Rettung eingenommen hat. „Es ist in vielen Bereichen
       so, dass die Menschen vor vollendeten Tatsachen stehen“, sagt er.
       
       Nicht nur bei der Linda scheint das Thema „Nutzpflanzenvielfalt“
       erstaunlich viele Leute auf die Beine zu bringen. Als die damalige Zweite
       Bürgermeisterin Hamburgs, Krista Sager von den Grünen, in der City Äpfel
       und Setzlinge der alten Sorte Finkenwerder Herbstprinz feilbot, fanden die
       auch ohne die Überzeugungsarbeit reißenden Absatz. In anderthalb Stunden
       gingen 500 Setzlinge über den Tisch. Auch eine Nachlieferung von weiteren
       500 Stück war ruck, zuck ausverkauft.
       
       ## Wohltuende Hobbygärtner
       
       Es sieht so aus, als bestünde Anlass für vorsichtigen Optimismus:
       Hobbygärtner kümmern sich um die Vermehrung seltener Obstsorten,
       Restaurants schreiben alte Gemüsesorten wie Topinambur oder oder Pastinaken
       auf ihre Speisekarten.
       
       Doch dieses Interesse spiegelt nicht die Realität in den Supermärkten und
       auch nicht die auf den Äckern. Ein halbes Dutzend Apfelsorten füllt im
       wesentlichen die Regale. Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO)
       stammen drei Viertel aller Nahrungsmittel von nur zwölf Pflanzen- und fünf
       Tierarten.
       
       Reis, Mais und Weizen stellen drei Fünftel der Kalorien und des Eiweißes,
       das wir von Pflanzen aufnehmen. Und die Vielfalt verschwindet: „Seit 1900
       ist 75 Prozent der pflanzengenetischen Vielfalt verloren gegangen, weil
       Bauern weltweit von einer Vielzahl lokaler Sorten und Landrassen auf
       genetisch einheitliche Hochertragssorten umgestiegen sind“, schreibt die
       FAO.
       
       ## Mächtige EU-Kommission
       
       Die Dominanz der Hochertragssorten stellen in entwickelten Ländern
       staatliche Institutionen sicher. Bei uns sind das die EU-Kommission, die
       gerade wieder an einem Gesetzespaket zur Tier- und Pflanzengesundheit
       bastelt, und das Bundessortenamt, das beinahe verhindert hätte, dass es die
       Kartoffel Linda heute noch zu kaufen gibt.
       
       Das Bundessortenamt vergibt die Zulassungen für alle Nahrungspflanzen, die
       in Deutschland kommerziell angebaut und vermehrt werden dürfen. Das soll
       sicherstellen, dass nur die ertragreichsten und stabilsten Sorten im großen
       Stil angebaut werden. Jeder Landwirt und jeder Konsument soll mit
       unveränderlichen Eigenschaften der jeweiligen Sorte rechnen können. Dazu
       kommt, dass, wer eine neue Sorte züchtet, für diese Leistung entlohnt
       werden soll. Im Falle der Linda erhielt der Züchter Europlant auf 30 Jahre
       das Recht, von jedem Bauern, der sie vermehrt, eine Lizenzgebühr
       einzutreiben.
       
       Bei der Linda wäre der Sortenschutz Ende 2004 weggefallen. Europlant ließ
       die Kartoffel deshalb vorzeitig von der Saatgutliste streichen und
       beantragte die Zulassung einer angeblich verbesserten Nachfolgekartoffel:
       der Belana. Der Vorteil für Europlant: Für die Belana kann die Firma wieder
       30 Jahre lang Lizenzgebühren kassieren und mit der Abschaffung der Linda
       hält sie sich lizenzfreie Konkurrenz vom Hals. "Europlant hat alles dafür
       getan, dass diese Sorte vom Markt verschwindet", kritisiert Ellenberg.
       
       ## Fehlende Resistenzen
       
       Aus Sicht von Europlant-Geschäftsführer Jörg Renatus hatte das gute Gründe.
       "Die Linda hat weder die Resistenzen noch die Lagereigenschaften, die eine
       moderne Sorte mitbringen soll", sagt er. Fehlende Resistenzen erforderten
       mehr Pestizide auf dem Acker und in puncto Einlagern müsse der Kunde sicher
       sein, dass eine im November gekochte Kartoffel die gleiche Konsistenz habe
       wie eine im März gekochte.
       
       Im Übrigen habe die Nachfrage zu wünschen übrig gelassen. Sei sie in ihrer
       besten Zeit auf 200 Hektar vermehrt worden, seien es 2004 nur noch 40 bis
       70 Hektar gewesen. Die Nachfolgerin Belana komme mit 730 Hektar auf das
       Zehnfache.
       
       Für Ellenberg ist das nicht entscheidend. Er schwärmt vom "cremig-buttrigen
       Aroma" der Linda. Der Belana gegenüber sei sie im ökologischen Landbau im
       Vorteil, "weil sie schneller wächst als das Unkraut", wie er sagt.
       Natürlich müsse das Bundessortenamt darauf achten, dass in den Handel
       gebrachte Pflanzen nicht schädlich seien und eine gewisse Leistung
       brächten. In erster Linie auf den Ertrag zu schielen, sei heute aber nicht
       mehr zeitgemäß.
       
       Das Bundessortenamt will das so nicht stehen lassen. "Der Ertrag steht
       nicht ausschließlich im Vordergrund", heißt es von da. Auch "wichtige
       Anbaueigenschaften", insbesondere für den Landwirt, würden gewertet.
       Entscheidend für die Zulassung sei, ob eine neue Sorte Verbesserungen
       bringe.
       
       ## Endstation Gendatenbank
       
       Hätten Ellenberg und seine Mitstreiter nicht für eine Wiederzulassung der
       Linda gekämpft, wäre die Kartoffel in einer Genbank gelandet - wo sie
       darauf gewartet hätte, dass sich wieder wer für sie interessiert.
       
       Eine der weltweit größten Genbanken befindet sich in Gatersleben, am
       Ostrand des Harzes. Hier erforschen WissenschaftlerInnen, wie sich die
       Kulturpflanzen genetisch entwickelt haben und wie ihre Genome
       funktionieren. Wer neue Sorten züchten will, kann auf das üppige Samen- und
       Knollenarchiv zugreifen. Mehr als 150.000 Muster aus über 3.200 Arten und
       fast 800 Gattungen lagern in den Gaterslebener Regalen bei 18 Grad minus.
       Ab und zu werden sie ausgesät, damit sie ihre Keimfähigkeit behalten.
       
       Das ist teuer und nur begrenzt effektiv. "Genbanken sind nicht unwichtig,
       reichen aber nicht aus, um eine breite Vielfalt zu erhalten", sagt Andreas
       Riekeberg von der "Kampagne für Saatgut-Souveränität" (Saatgutkampagne).
       Nur wenn sie auf unterschiedlichen Standorten im Freien angebaut würden,
       könnten sich die Pflanzen anpassen und weiterentwickeln. Bloß die
       Keimfähigkeit zu erhalten, reiche nicht aus. Das Prinzip, sagt Professor
       Gunter Backes vom Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der
       Universität Kassel in Witzenhausen, heiße: "Use it or loose it."
       
       ## Hinderliche Reform
       
       Doch die Reform des europäischen Saatgutrechts durch die EU-Kommission
       könnte die Erhaltung unterschiedlicher Sorten eher behindern als fördern -
       das zumindest befürchten Umwelt- und Agraraktivisten sowie
       Verbraucherschützer. Gruppen wie die Saatgutkampagne oder der Verein zur
       Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) werfen der EU-Kommission vor, sie
       bevorzuge die homogenen, stabilen und klar unterscheidbaren Sorten, wie sie
       von der Saatgutindustrie - Bayer, BASF, Monsanto, Syngenta - erzeugt
       werden. Die bäuerlichen Sorten erfüllten diese Kriterien nicht, seien aber
       gerade deshalb für den ökologischen Landbau wichtig.
       
       "In der ökologischen Züchtung geht es darum, dass eine gewisse Diversität
       in der Sorte ist", sagt Agrarwissenschaftler Backes. Wenn der Bauer
       versucht, mit den lokalen Gegebenheiten zu arbeiten, braucht er Sorten, die
       sich an unterschiedliche Standorte und klimatische Veränderungen anpassen
       können. Dafür ist eine genetische Varianz innerhalb der Sorte notwendig.
       "Es könnte passieren, dass der Gesetzesvorschlag aus Brüssel die Diversität
       nicht gewährleistet", sagt Backes.
       
       Dazu kommt, dass die Konzerne ihre Züchtungen an ganz anderen Zielen
       ausrichten als die Ökobauern. Ihre Sorten seien auf lange Lieferketten
       ausgerichtet, auf spezielle Agrarchemikalien und auf die
       Produktionserfordernisse der Lebensmittelindustrie, kritisiert die
       Saatgutkampagne. "Angesichts der EU-Gesetzgebung stellt sich die Frage, wie
       in Zukunft Sorten, die von vornherein für einen Nischenmarkt gezüchtet
       werden, in den Markt kommen sollen", sagt Karl-Josef Müller, der im
       Wendland Getreide für den ökologischen Anbau züchtet. Die jetzigen
       Anforderungen drohten jeden kleinen Markt zu verhindern.
       
       Mehr dazu in unserer gedruckten Wochenendausgabe oder als e-Paper am
       [1][e-Kiosk].
       
       4 Oct 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /e-kiosk/!114771/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gen-Food
 (DIR) Obst
 (DIR) Gemüseanbau
 (DIR) Ernährung
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Saatgut
 (DIR) Lebensmittelindustrie
 (DIR) Obst
 (DIR) Lebensmittel
 (DIR) Obst
 (DIR) Landwirtschaft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Solidarische Landwirtschaft in Oldendorf: Der Preis des Porrees
       
       Eine Hofgemeinschaft bei Bremen hat sich vom Handel emanzipiert und gibt
       den Lebensmitteln ihren Wert zurück.
       
 (DIR) Angst um Vielfalt auf Acker und Teller: EU-Saatgutreform vor dem Aus
       
       Der Agrarausschuss des EU-Parlaments lässt den Verordnungsentwurf der
       Kommission durchfallen. Eine Niederlage für Konzerne wie Monsanto?
       
 (DIR) Ex-Lobbyistin wechselt zur EU: Im Namen der Industrie
       
       Beate Kettlitz soll bald für die europäische Behörde für
       Lebensmittelsicherheit arbeiten. Dabei hat sie jahrelang für die andere
       Seite als Lobbyistin gekämpft.
       
 (DIR) Umfrage zu Obstkäufen: Flecken sind in Ordnung
       
       Die meisten Deutschen würden einer Umfrage zufolge auch Obst und Gemüse mit
       Makeln kaufen. Dadurch könnte Lebensmittelverschwendung vermieden werden.
       
 (DIR) Nonkonforme Lebensmittel: Der Charme der dreibeinigen Möhre
       
       Obst und Gemüse liegen genormt in den Supermärkten. Jetzt sollen auch ihre
       individuelleren Artgenossen eine Chance auf Verzehr bekommen.
       
 (DIR) Verschwindende Obstsorten: Der Apfelmann
       
       Eckart Brandt ist seit 30 Jahren Biobauer und hat sich alten Obstsorten
       verschrieben. Er kann niemandem raten, es ihm nachzutun.
       
 (DIR) Rekordernte in Brandenburg: "Für Spargel war der Mai zu nass"
       
       Die Brandenburger Bauern haben diesen Sommer eine Rekordernte eingefahren.
       Das Land brauche aber mehr Tiere, sagt Udo Folgart, Präsident des
       Bauernverbands.
       
 (DIR) Alternativer Konsum in Deutschland: Wissen, was im Kochtopf schmurgelt
       
       Direkt vom Hof oder gleich die regionale Vermarktungskette selbst
       organisieren? Drei unterschiedliche Konsumbeispiele aus Deutschland.