# taz.de -- Aus für Vattenfall Lesetage: Zuviel Gegenwind
       
       > Vattenfall schafft sein Hamburger Literaturfestival ab. Nach dem
       > verlorenen Volksentscheid wirkt das wie eine zweite Schlappe.
       
 (IMG) Bild: Bühne bleibt künftig leer: Vattenfall will keine Lesetage mehr sponsern
       
       HAMBURG taz | Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Rückzug anzutreten.
       Manchmal ist der Rückzug ein Ausdruck der Stärke, manchmal einer der
       Melancholie. In der Welt der Wirtschaft ist der Rückzug meist das Ergebnis
       eines Kampfes: Es hat eine Schlacht gegeben und der Verlierer räumt das
       Feld. Nicht der Klügere, sondern der Schwächere gibt nach.
       
       Im Fall des Energiekonzerns Vattenfall hat es in Hamburg nicht nur eine
       Schlacht gegeben, sondern zwei. Die erste war der Volksentscheid über den
       Rückkauf der Energienetze durch die Stadt Hamburg: Eine knappe Mehrheit der
       Hamburger entschied, der Senat solle die Netze von Vattenfall zurückkaufen
       und dem Konzern damit ein wichtiges Standbein und Machtinstrument auf dem
       Energiemarkt nehmen.
       
       Die zweite Schlacht drehte sich um die Vattenfall Lesetage. Am Mittwoch
       teilte Vattenfall mit, die Veranstaltung nicht mehr weiter zu finanzieren.
       Weil es keinen anderen Sponsor gibt, bedeutet das das Ende der Vattenfall
       Lesetage.
       
       Die Vattenfall Lesetage waren eines der größten Literaturfestivals
       Norddeutschlands. In ihrer diesjährigen Ausgabe dauerten sie vom 18. bis
       zum 25. April und präsentierten mehr als 120 Autoren – darunter Leute wie
       Jenny Erpenbeck, John von Düffel, Wigald Boning, Tina Übel und Andrea
       Sawatzki. Gelesen wurde auch an ungewöhnlichen Orten wie dem
       Tierschutzverein, einem Bestattungshaus oder dem Museum des Hamburger SV.
       
       ## Erhebliche Summen
       
       Das Festival hieß Vattenfall Lesetage, weil es von Vattenfall mit
       erheblichen Summen finanziert wurde. Konzernsprecher Stefan Kleimeier will
       über die Höhe des Sponsorings keine Angaben machen. Das Hamburger
       Abendblatt schreibt von bis zu 500.000 Euro pro Jahr. Auch von der
       Hamburger Kulturbehörde kam Geld, und zwar 3.875 Euro für das Kinder- und
       Jugendprogramm.
       
       Vattenfall tauchte nicht nur im Namen des Festivals auf, auch bei den
       Lesungen war das Vattenfall-Logo allgegenwärtig und im Internet war das
       Festival auf der Seite des Energiekonzerns zu Hause. Das Festival sollte
       ein positives Image für einen Konzern bewirken, der unter anderem das
       Kohlekraftwerk Moorburg baut und Anteile an den Atomkraftwerken in
       Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel hält.
       
       ## Kritik: Greenwashing
       
       Die Rechnung ging nur bedingt auf: Zwar lobte die Kultursenatorin
       alljährlich Festival und Sponsor, unter den Schriftstellern und
       Kulturschaffenden aber wurde immer lauter die Frage diskutiert, ob so ein
       Festival und die Teilnahme daran wünschenswert seien. Erstens betreibe
       Vattenfall mit dem Sponsoring des Festivals Greenwashing, so die Kritik.
       
       Zweitens stand zur Diskussion, ob die Förderung eines solchen Festivals
       nicht Sache der Stadt sein müsse. Durch privates Sponsoring, so die
       Befürchtung, werde Kultur instrumentalisiert und zugleich der Staat aus der
       Verantwortung für die Kulturförderung entlassen.
       
       Ab 2010 wurde der Gegenwind stärker. Das Festival „Lesetage selber machen –
       Vattenfall Tschüss sagen“ bot ein Alternativprogramm und wurde ab 2011
       sekundiert von dem Festival „Lesen ohne Atomstrom – die erneuerbaren
       Lesetage“. Dieses holte Stars wie Günter Grass und Nina Hagen. Dieses Jahr
       gab es die Gegenfestivals „Lesen ohne Atomstrom“ und die „HEW-Lesetage“.
       Beide zusammen kamen auf rund 8.300 Zuschauer. Zu den Vattenfall Lesetagen
       kamen zuletzt rund 12.000 Besucher.
       
       ## Böse Briefe
       
       Das Publikum konnte sich freuen: Statt eines Festivals gab es drei.
       Vattenfall allerdings freute sich nicht. Die Kuratorin der Vattenfall
       Lesetage, Barbara Heine, verlor die Nerven und verschickte Briefe an
       Autoren, die bei Gegenveranstaltungen lesen wollten. Ihr Vorwurf: Der
       Verein „Kultur für alle“, der „Lesen ohne Atomstrom“ organisiert, stehe der
       autonomen Szene nahe, deren Vertreter auch Gewalt rechtfertigten.
       
       Heine bezeichnete die Autoren, die bei der Konkurrenz lesen wollten, als
       Totengräber der Vattenfall Lesetage. Wie richtig sie damit lag, zeigt die
       Begründung, mit der der Konzern nun sein Engagement beendet hat.
       „Mittlerweile haben sich andere Lesefestivals in Hamburg etabliert“, sagt
       Vattenfall-Manager Pieter Wasmuth.
       
       Dass der Rückzug von den Lesetagen etwas mit dem verlorenen Volksentscheid
       zu tun haben könnte, verneint Vattenfall-Sprecher Kleimeier. Auch wolle man
       sich nicht für alle Zeiten aus dem Kultursponsoring verabschieden. Pläne,
       was oder wen Vattenfall in Zukunft sponsern werde, gebe es aber noch nicht.
       
       ## Die Gegenfestivals machen weiter
       
       Die Organisatoren der Gegenfestivals kündigen größtenteils an, ihre
       Veranstaltungen weiterführen zu wollen. „Lesen ohne Atomstrom“ habe für
       April 2014 bereits ein Programm auf die Beine gestellt, erklärt der „Kultur
       für alle“-Verein. Auch die „HEW- Lesetage“ hätten ihr Programm schon
       geplant, sagt Hanna Mittelstädt von der Edition Nautilus. Nur die
       Initiative „Lesetage selber machen“ weiß noch nicht, ob sie weitermachen
       wird.
       
       Aus der Kulturbehörde heißt es, man habe bei Weitem nicht die Mittel, um
       das wegfallende Sponsoring zu kompensieren. Aber man sei mit Vattenfall in
       konstruktiven Gesprächen, wie es zukünftig mit einer Kulturförderung
       weitergehen könnte.
       
       4 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
       
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