# taz.de -- Filmstart „Room 237“: Kubricks Mittelfinger an King
       
       > Ins Kraut zielende Thesen, überkonstruiert wirkende Argumente: In „Room
       > 237“ geht es um verborgene Zeichen im Werk eines großen Regisseurs.
       
 (IMG) Bild: Auf den Spuren des Rätsels Kubrick: Ausschnitt aus einem Filmplakat.
       
       Stanley Kubricks Filme sind faszinierende Vexierspiele: Auf den ersten
       Blick zwar Genrefilme, beginnen sie schon bei näherem Hinsehen eigenartig
       zu schillern. Rätsel im Großen (etwa der Lichttunnel am Ende von „2001 –
       Odyssee im Weltraum“), wie im Kleinen (etwa die in jedem Film versteckten
       Anspielungen auf den vorangegangenen) tun sich auf. Daneben finden sich
       zahlreiche philosophische, kunst- und kulturhistorische Verweise.
       
       Ähnlich wie im Feld der Literatur bei Thomas Pynchon schart sich daher auch
       um Kubricks Werk eine eingeschworene Gemeinde auf der Suche nach dem
       Schlüssel, der den Code seiner Filme endgültig aufschließt. Die Prämisse
       dabei: Die Filme des Regie-Eremiten handeln stets von weit mehr als ihre
       Plots zu erkennen geben.
       
       Macht Kubricks rätselhaftes Science-Fiction-Epos „2001“ diesen
       interpretatorischen Aufwand schon deshalb notwendig, um überhaupt zu einem
       ersten Verständnis zu gelangen, bietet sich der rund zehn Jahre später nach
       einem Roman von Stephen King entstandene Horrorfilm „The Shining“ für
       kryptologische Dechiffrierungen zwar nicht von vornherein an.
       
       Doch umso beherzter sind die Tiefenbohrungen, mit denen passionierte
       Kubrickianer dem Film auf den Grund gehen. Einige besonders esoterische
       Vertreter davon hat Regisseur Rodney Ascher nun für seinen Essayfilm „Room
       237“ versammelt: Mit grenz-paranoidem Eifer sind sie gewillt, auch dort
       noch versteckte Zeichen und Signale zu erkennen, wo der gesunde
       Menschenverstand sich gar nicht erst lange aufhält.
       
       ## Buchstabenverdrehungen als Beweis
       
       Der Film über eine in einem entlegenen Berghotel eingeschneite Familie,
       deren Vater (Jack Nicholson) einem womöglich von Geistern induzierten
       Wahnsinn anheim fällt, wird mit viel Kreativität und Fleiß unters Mikroskop
       gelegt. Beeindruckend sind die oft waghalsig konstruierten Theoriegebäude
       allemal, doch bleibt ein gehöriger Rest Skepsis: Ist die klischierte
       Indianerdarstellung auf einer im Bildhintergrund arrangierten Suppendose
       schon ein Hinweis darauf, dass es in „The Shining“ eigentlich um den
       Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern geht?
       
       Ab wann sind Bildanschlussfehler tatsächlich als willentliche Flüsterpost
       eines berüchtigten Perfektionisten zu verstehen? Bilden eine deutsche
       Schreibmaschine und die (nach einigen numerologischen Stunts)
       allgegenwärtige Zahl „42“ bereits einen Verweis auf die Shoah? Oder ist
       „The Shining“ im Gesamten gar, wie ein ganz besonders versponnener Mumpitz
       glauben machen will, das höchst verklausulierte Geständnis eines
       Regisseurs, die TV-Übertragung der Mondlandung gefakt zu haben, wie
       wiederum eine besonders populäre Verschwörungstheorie aus dem Milieu der
       Mondlandungsskeptiker besagt?
       
       Kurz: Ins Kraut zielende Thesen und oft überkonstruiert wirkende Argumente
       reihen sich in „Room 237“ aneinander. Einige wirken schon in ihrer
       Begründung hochgradig unplausibel. Zu haben sind sie nur, wenn man gewillt
       ist, noch absurde Buchstabenverdrehungen ad infinitum als gültigen Beweis
       zu erachten.
       
       ## Ein geschrotteter roter Käfer
       
       Dennoch stecken in „Room 237“ viele bestrickende, in ihrer Freude am Detail
       überraschende Beobachtungen: Und wenn es nur der gecrashte rote VW-Käfer
       ist, den Kubrick beiläufig in einer Einstellung zeigt. Mit einem solchen,
       allerdings intakten Wagen ließ King seinen Roman beginnen, während bei
       Kubrick eine andere Verwendung fand.
       
       Der geschrottete rote Käfer – ein dezenter Mittelfingerzeig Kubricks an
       Kings Adresse, ein Beleg dafür, was der Meisterregisseur insgeheim von der
       literarischen Vorlage hielt? Der Horrorliterat jedenfalls weist die in
       vielerlei Hinsicht sehr freie Romanadaption bis heute gekränkt zurück.
       
       Zwischen „Room 237“ und den darin präsentierten Thesen passt unterdessen
       kein Blatt Papier. Die Kryptologen sind allein per Voiceover präsent,
       Ascher collagiert (nicht nur) Szenen aus Kubricks Filmen, was das Zeug
       hält: Illustrierende Evidenzproduktion im Sekundentakt, unterlegt von
       suggestiv-irisierender Musik. Etwas mehr Distanz, etwas weniger Faszination
       hätte dem Film im Großen und Ganzen gut getan. Spaß macht er zwar zuweilen
       durchaus. Nur ernst nehmen sollte man diese Einflüsterungen um Kubricks
       Willen nicht in völliger Konsequenz.
       
       19 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Groh
       
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