# taz.de -- Petition für Behinderten-Rechte: Wer spart, der wird bestraft
       
       > Berufstätige Menschen mit einer Behinderung, die vom Sozialamt
       > unterstützt werden, dürfen nicht mehr als 2.600 Euro besitzen. Dagegen
       > regt sich Protest.
       
 (IMG) Bild: Ungerecht? Sozialämter können sich das Geld für personelle Hilfen im Alltag von Menschen mit Behinderungen teilweise zurückholen
       
       BERLIN taz | Constantin Grosch könnte als Beispiel für die erfolgreiche
       Inklusion Behinderter in die Gesellschaft dienen. Der 20-Jährige, der seit
       seiner Geburt an Muskelschwund leidet, studiert im zweiten Semester Jura.
       Er will Richter werden. Doch wenn Grosch später im Beruf erfolgreich ist
       und gut verdient, wird er von seinem Geld nicht viel haben. Weil Grosch
       über die Sozialhilfeträger eine Assistenz finanziert bekommt, die ihm im
       Alltag hilft, würden mindestens 40 Prozent seines künftigen Lohnes
       eingezogen, Angespartes über 2.600 Euro gleichfalls kassiert. So wollen es
       die Gesetze.
       
       „Da frage ich mich schon: Warum studiere ich, warum arbeiten, wenn ich
       später finanziell nichts davon habe und behandelt werde wie ein
       arbeitsloser Sozialhilfeempfänger?“, sagt Grosch. Im Mai startete er
       deswegen auf die Petition „[1][Recht auf Sparen und gleiches Einkommen auch
       für Menschen mit Behinderungen #2600]“.
       
       Sie richtet sich an Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).
       Über 38.000 Menschen haben bereits unterschrieben. Grosch hofft, dass es
       50.000 werden – und dass die Ministerin Zeit findet, sich die Argumente der
       Petenten anzuhören. Diese sehen in dem deutschen Regelwerk einen Verstoß
       gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland seit 2009 gilt
       und das „Recht auf gleiche Teilhabe“ festschreibt.
       
       „Ich aber werde daran gehindert, für das Alter anzusparen, für eine eigene
       Wohnung oder für einen längeren Urlaub“, sagt Grosch. Bereits jetzt fallen
       immer wieder Kosten an, die das Amt nicht übernimmt: Groschs Auto musste
       aufwendig behindertengerecht umgebaut, Möbel mussten angepasst werden,
       damit sie rollstuhlkompatibel sind. „Und weil ich viel sitze, brauche ich
       spezielle Kleidung. Eine Jeans kostet 120 Euro.“ Noch kommen dafür Groschs
       Eltern auf. Doch wenn sie tot sind, müsste Grosch für solche Ausgaben einen
       Kredit aufnehmen – denn auch ein Erbe würde vom Sozialamt bis auf 2.600
       Euro eingezogen.
       
       ## 12. Sozialgesetzbuch
       
       Die Begründung dafür liefert das 12. Sozialgesetzbuch. Dort steht, dass die
       Sozialämter sich das Geld für personelle Hilfen im Alltag wie eine
       Assistenz zu einem großen Teil von Menschen mit Behinderungen oder deren
       Ehepartnern zurückholen können. Wie oft das geschieht, ist unklar. Zwar ist
       bekannt, dass Ende 2011 rund 650.000 Menschen mit Behinderung
       Eingliederungshilfen nach dem 12. Sozialgesetzbuch erhielten. Doch wie
       viele von ihnen überhaupt arbeiteten, darüber gibt keine Zahlen.
       
       Um die 8.000 Euro monatlich kostet Groschs Assistenz. Von 8 bis 23 Uhr ist
       immer jemand bei ihm, der in der barrierefreien Studentenwohnung der Uni
       Bielefeld putzt, Grosch zum Unterricht begleitet, ihm beim Einkauf oder der
       Körperpflege hilft.
       
       Dass Grosch für seine Behinderung lebenslang benachteiligt werden soll, mag
       er nicht akzeptieren. „Das führt unser Solidarsystem ad absurdum. Jeder
       Beschäftigte zahlt in die gesetzliche Krankenkasse ein und finanziert damit
       die Behandlung anderer Menschen, die schwer krank sind. Diesen Kranken
       nimmt man auch nicht Lohn und Vermögen weg.“
       
       ## Vorbild Skandinavien
       
       Auch die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern kritisieren die
       Gesetzeslage. In ihrer im Juni verabschiedeten Düsseldorfer Erklärung
       fordern sie: „Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen muss fallen.“ In
       einigen skandinavischen Ländern wird es bereits so gehandhabt. Im
       Arbeitsministerium verweist man jedoch auf den Grundsatz der Subsidiarität
       im Sozialrecht: Die Gemeinschaft helfe nur, sofern der Betroffene sich
       nicht selbst helfen könne. „Sonst wäre der Sozialstaat überfordert“, so ein
       Sprecher des Ministeriums zur taz.
       
       Grosch hofft, dass die Petition so viel Aufmerksamkeit bekommt, dass die
       Politik umdenkt. „Jeder, der Haus, Vermögen, Beruf hat, kann einen Unfall
       haben und behindert werden. Dann wäre von einem auf den anderen Tag alles
       Angesparte weg, wenn das Sozialamt ins Spiel kommt.“
       
       17 Jul 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.change.org
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
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