# taz.de -- Die Malerin Hilma af Klint: Experiment der Moderne
       
       > Reich an Blüten und Blasen und doch auf dem Weg zur Abstraktion: Das Werk
       > der schwedischen Malerin Hilma af Klint (1862-1944) ist in Berlins
       > Nationalgalerie zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Die Künstlerin im Atelier, etwa 1895.
       
       Udo Kittelmann, der Direktor der Berliner Nationalgalerie, widersprach
       seinen Vorrednerinnen: „Nein, die Geschichte der Kunst muss nicht
       umgeschrieben werden.“ Iris Müller-Westermann vom Moderna Museet,
       Stockholm, und Gabriele Knapstein von den Staatlichen Museen zu Berlin
       erweisen ihrer neu- oder auch wiederentdeckten Heldin, der schwedischen
       Malerin Hilma af Klint (1862–1944), einen Bärendienst, indem sie ihr Werk
       als bislang unbekannte Sensation einer vorzeitigen Abstraktion ankündigen.
       
       Iris Müller-Westermann sagte auf der Pressekonferenz zur Ausstellung im
       Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, af Klint zwinge
       uns, „die Kunstgeschichte neu zu sehen“.
       
       Damit schrauben die Kuratorinnen die Erwartungen so hoch, dass die vielen,
       erstmals im Original zu sehenden Arbeiten nur enttäuschen können. Wirken
       sie auf den ersten Eindruck doch eher blumig-ornamental als abstrakt und
       stellt die Idee, die Pastellkreidefarben des Kindermalbuchs in das große
       Format der Leinwand zu überführen, zwar ein eigenwilliges und originelles
       Konzept dar, das die meist streng symmetrisch angelegten Kompositionen dann
       aber doch stark an die Illustration annähert.
       
       ## Wenig beachtete Perle
       
       Udo Kittelmann sieht im malerischen Werk af Klints eine bislang wenig
       beachtete Perle der Kunst des 20. Jahrhunderts. Deren Schnur, so viel
       Sensation muss sein, wird jetzt mit der rund 200 Arbeiten umfassenden
       Präsentation, die in Zusammenarbeit mit dem Moderna Museet, Stockholm, und
       dem Museo Picasso, Málaga, entstand, immerhin neu aufgefädelt. Und dieser
       Vorgang verdient durchaus unser Interesse.
       
       Wie kommt eine akademisch ausgebildete Malerin – Hilma af Klint schloss
       1887 die Königliche Akademie der Schönen Künste in Stockholm mit Bestnoten
       ab – schon 1905 dazu, abstrakt zu malen? Sigmar Polke trifft den Punkt, mit
       seinem berühmten Kalauer zum Ursprung der abstrakten Kunst: „Höhere Wesen
       befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“
       
       Bekanntlich ist ja das Experiment der Moderne stark von okkulten,
       spiritistischen Strömungen, von Theosophie und später Anthroposophie
       unterspült. Hilma af Klint, die schon zu Studienzeiten an spiritistischen
       Sitzungen teilnahm, ist da ganz Kind ihrer Zeit. Mit ihrer weiblichen
       Unterstützergruppe „De Fem“ (Die Fünf) veranstaltete sie Séancen, wobei sie
       mit spirituellen Geistwesen in Kontakt trat. Um deren Botschaften an die
       Menschheit zu übermitteln, übten sich „De Fem“ schon lange vor Breton und
       den Surrealisten im automatischen Schreiben und Zeichnen.
       
       ## Das höhere Wesen befiehlt
       
       1904 wird die Kapitänstochter dann vom höheren Wesen Amaliel beauftragt,
       „Die Gemälde zum Tempel“ zu erstellen: „Ich hatte keine Ahnung, was die
       Bilder darstellen sollten, und dennoch arbeitete ich schnell und sicher,
       ohne einen Pinselstrich zu verändern.“ Zwischen 1906 und 1908 entsteht eine
       Folge von 111 Bildern von mandalaähnlichem Charakter, die wie beim Diagramm
       oft mit Schrift und Lineaturen versehen sind.
       
       Die erstmals verwendete Schnecken- und Spiralform durchzieht bis zum Ende
       ihr Werk. Während sie öffentlich nur ihre naturalistischen Arbeiten
       ausstellt, hält sie das abstrakte Werk von mehr als 1.000 Arbeiten
       zeitlebens geheim beziehungsweise zeigt sie es nur wenigen Eingeweihten,
       unter anderem Rudolf Steiner, den sie erstmals 1908 traf. Testamentarisch
       verfügte sie, dass diese Arbeiten frühestens 20 Jahre nach ihrem Tod
       öffentlich gezeigt werden dürfen.
       
       Damit hatten ihre Bilder nie Einfluss auf das zeitgenössische oder
       nachfolgende Kunstgeschehen. Sie begriff ihre Malerei als Forschung und
       Auftrag, die geistige Dimension der menschlichen Existenz jenseits des
       Sichtbaren zu erkunden; um einen Personalstil ging es ihr nicht. Man könnte
       ihn trotzdem in ihren riesigen Formaten – ein paar Zentimeter mehr und sie
       passten nicht in die Räume des Hamburger Bahnhofs – entdecken. Die bunten,
       spielerisch gewundenen Schlaufen, die luftigen Blütenrosetten, geschneckten
       und gedellten Blasen der 1907 entstandenen Werkgruppe IV „Die zehn Größten“
       haben, weil visuell überaus eingängig, einem Touch von Geschenkpapier.
       
       ## Himmel des Kunstmarktes
       
       Hilma af Klint, so viel wird im Rundgang durch die Ausstellung klar, wäre
       sofort ein hell leuchtender Stern am Himmel des Kunstmarktes, entschieden
       sich ihre Erben, die ihr Werk bislang in einer Stiftung zusammenhalten, für
       einen Verkauf.
       
       Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen kleinere Papierarbeiten, vor allem
       aus den 20er Jahren, wie die geometrisch akzentuierte Serie V, in der auch
       endlich mal die Aureole der Erleuchtung fehlt. Faszinierend sind ihre
       Pflanzenstudien, ob naturalistisch oder in Verbindung mit geometrischen
       Formen, wie beim Weizen- und Haferkorn von 1920 oder „Kornähre“ von 1922.
       In dieser Abstraktion, die in der Biologie wurzelt, ist Hilma af Klint zwar
       nicht die beschworene Pionierin der Abstraktion, aber deutlich Teil des
       Experiments der Moderne.
       
       Bis 6. Oktober, Hamburger Bahnhof, Berlin, Katalog (Hatje Cantz) 29,90 Euro
       
       17 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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