# taz.de -- Kinder in Israels Regenbogenfamilien: Adoption mit Hindernissen
       
       > Schwule Paare mit Kinderwunsch haben ein Problem mit Leihmüttern. Die
       > müssen auch jüdisch sein, laut orthodoxen Regeln, die dazu Homosexualität
       > verdammen.
       
 (IMG) Bild: Solidaritätskundgebung nach einer tödlichen Attacke auf ein Zentrum für LGBT-Jugendliche 2009.
       
       JERUSALEM taz | Ella ist sauer. Die Fünfjährige sitzt mit einer Schüssel
       Popcorn vor dem ausgeschalteten Fernseher. „Nur ganz kurz“, bittet sie
       ihren Papa, der mit dem Kopf schüttelt, worauf sie es bei ihrem anderen
       Papa versucht. „Du weißt doch, dass Taten Konsequenzen haben“, antwortet
       der genauso streng, und die Flimmerkiste bleibt aus.
       
       Das Mädchen ist das älteste der drei Kinder von Guy Taza und seinem Partner
       Lucci Laur. Seit drei Monaten ist die Familie zu fünft. Guy sitzt in Shorts
       und besabbertem T-Shirt am Küchentisch und gibt seinem Sohn das Fläschchen,
       während der andere Zwilling, auf einer Spieldecke liegend, in die Gegend
       guckt.
       
       Familienleben am Freitagnachmittag. Von den Sabberspuren abgesehen, ist die
       moderne Wohnung im 29. Stock eines Tel Aviver Hochhauses fast steril vor
       lauter Sauberkeit und Ordnung.
       
       ## Erster Gedanke Adoption
       
       „Für mich war immer klar, dass ich Kinder haben will“, sagt Guy, 43 Jahre
       alt und Chef einer PR-Firma. Seit 18 Jahren sind die beiden Männer ein
       Paar. Lucci, Psychiater beim Militär und fünf Jahre jünger als sein
       Partner, musste sich nicht lange überreden lassen. Blieb nur noch die
       Frage, wie man sich den Kinderwunsch erfüllt.
       
       Der erste Gedanke ging in Richtung Adoption, was sich jedoch rechtlich als
       problematisch erwies. Eine Zweckpartnerschaft mit einer Frau, die sich
       Kinder wünscht, ohne die konventionelle Bindung mit einem Mann eingehen zu
       müssen, erschien beiden auch nicht als rechte Lösung. Seit rund 15 Jahren
       gibt es Kennenlernforen für die „Alternative Elternschaft“, wie sich eine
       dieser Gruppen nennt. „Wir hatten dort das Gefühl, nur als Samenspender
       herhalten zu müssen“, erklärt Guy. Außerdem passte es dem Paar nicht ins
       Konzept, sich an eine Fremde binden zu müssen. Was den beiden für eine
       perfekte Familie fehlte, waren Kinder, keine Frau. Im Oktober 2006 kamen
       sie schließlich zum ersten Mal in Kontakt mit dem Thema Leihmutter. Von
       dann an dauerte es noch ganze zwei Jahre bis zur Geburt von Ella, die in
       Oregon das Licht der Welt erblickte.
       
       Die Familie Taza-Laur ist in Israel so etwas wie ein Trendsetter. Im selben
       Jahr wie Ella ist gerade mal eine Handvoll Kinder schwuler Väter zur Welt
       gekommen, inzwischen sind es gut 200 in einem Jahr. Das Phänomen Babyboom
       unter Israels Schwulen erklärt sich aus der extrem liberalen und doch
       extrem konservativen Mentalität in Tel Aviv. Schwulsein ist hier nichts
       besonderes, zugleich gibt es einen enormen gesellschaftlichen Druck, Kinder
       zu haben. „Ich kenne kein Schwulenpaar, das nicht ernsthaft darüber
       nachdenkt, Kinder zu haben“, meint Guy. Das Alte Testament fordert Juden
       dazu auf, „hinzugehen und sich zu mehren“, aber auch der Zionismus „spornt
       an zum Kinderkriegen“, sagt er. Als Mitte Februar „Das stolze Zentrum“ der
       Schwulen und Lesben in Tel Aviv zum ersten Kongress über Leihmutterschaft
       einlud, blieb kein Stuhl leer.
       
       ## Hausgemachte Hürden
       
       „Men having babies“, nannte sich die dreitägige Veranstaltung, bei der es
       nicht nur um Hilfestellung bei der Suche nach Eizellenspenderinnen und
       Leihmütter ging. Israelische Männer haben zusätzlich hausgemachte Hürden zu
       überwinden, wenn der nichtleibliche Vater die gemeinsamen Kinder adoptieren
       will. „Um ein Kind zu adoptieren, muss der Vater dieselbe Religion haben
       wie das Kind“, erklärt die Familienanwältin Ajelet Tresser. „Das orthodoxe
       Rabbinat, das in Israel eine Monopolstellung genießt, lehnt aber die
       Konvertierung von Kindern aus gleichgeschlechtlichen Familien ab.“
       
       Regierung und religiöses Establishment legen den schwulen Männern mit
       vereinter Kraft gleich zwei große Hindernisse in den Weg, wenn sie Väter
       werden wollen. Sie können nicht, wie heterosexuelle, verheiratete Paare auf
       israelische Leihmütter zurückzugreifen, sondern sind auf die Hilfe von
       Frauen im Ausland angewiesen, meist in Indien oder in den USA. Um Israeli
       zu werden, genügt eine jüdische Großmutter, aber als jüdisch gilt nur, wer
       eine jüdische Mutter hat. Dass die im Ausland mithilfe von Leihmüttern
       gezeugten Kinder nicht jüdisch sind, wird ein Problem, wenn der
       nichtleibliche Vater die Adoption beantragt, was aber erst dann möglich
       ist, wenn die Kinder wie der Vater auch jüdisch sind.
       
       „Völlig absurd“ findet Lucci Laur die Notwendigkeit, dass die Kinder
       konvertieren, und endlich meldet sich auch der zurückhaltende Psychiater
       einmal zu Wort. „Es sind meine Kinder, also haben sie meine Religion“, sagt
       er, aber so einfach geht das nicht. Lucci ist der leibliche Vater der
       Kinder. Damit Guy die Kinder adoptieren kann, machte die Familie vor ihrer
       Rückkehr nach Israel noch einen kurzen Abstecher zu einer amerikanischen
       Reformgemeinde. Die beiden Jungen sind beschnitten worden, „und die
       Rabbinerin sang ein bisschen ’Siman tow‘ und ’Masel tow‘, damit hatte sich
       die Sache“. Der Staat erkennt die Reformkonvertierung an. Guy kann die
       Zwillinge adoptieren. Mehr interessiert die strikt weltliche Familie nicht.
       
       Das orthodoxe Establishment gibt sich dagegen deutlich strenger. Zum einen
       unterbindet das religiöse Monopol Reformkonvertierungen innerhalb Israels,
       zum anderen boykottiert es die Konvertiten liberaler jüdischer Gemeinden im
       Ausland. Das ist schmerzlich für orthodoxe Schwule, die ihren Kindern gern
       dieselbe Erziehung zukommen lassen würden, die sie selbst erfahren haben:
       in orthodoxen Schulen und in der Synagoge. Das Rabbinat verweigert den
       Reformkonvertiten Trauungen und sogar die Bestattung auf einem jüdischen
       Friedhof.
       
       Voraussetzung für die orthodoxe Konvertierung von Kindern ist, dass die
       Eltern die jüdischen Regeln einhalten. Thora und Mitzwoth zu beachten ist
       Grundbedingung. Für ein gleichgeschlechtliches Paar ist das ein Ding der
       Unmöglichkeit, selbst wenn es eine koschere Küche führt, wenn am Sabbat
       alle elektrischen Geräte ausgeschaltet bleiben und wenn es am heiligen Jom
       Kippur fastet. Sex unter Männern gilt unter Ultraorthodoxen bis heute als
       Todsünde.
       
       ## Schwulsein ist in Ordnung
       
       Anders als im Christentum unterscheiden die heiligen jüdischen Schriften
       „zwischen der sexuellen Neigung und dem, was dieser Neigung folgt“, erklärt
       Rabbi Ron Jossef von der Initiative „HOD“ (Initialwort für ’orthodoxe
       Homosexuelle‘). Schwul sein ist in Ordnung, erst das schwule Handeln wird
       zur Sünde. Wenn man das einmal erkannt hat, ist die Kluft zwischen Hetero-
       und Homosexualität gar nicht mehr so tief, findet der Rabbiner. „Für beide
       gibt es Vorschriften, die für beide mehr oder weniger leicht einzuhalten
       sind“, sagt er und räumt ein: „Nobody is perfect.“
       
       Rabbi Jossef hofft, dass die längst überfällige Debatte über homosexuelle
       Partnerschaften zu Neuregelungen führen wird, die früher oder später auch
       israelische Leihmütter für schwule Paare gestatten. Wenn Leihmutter und
       Eizellenspenderin jüdisch sind, erübrigt sich das leidige Thema der
       Konvertierung.
       
       Die beiden weltlichen Väter Guy und Lucci haben für die Probleme der
       orthodoxen Schwulen wenig Verständnis. „Nicht die Debatte der Frommen wird
       uns voranbringen“, sagt Guy, „sondern Rechtsreformen und der Kampf vor dem
       Obersten Gerichtshof.“ Ein Lichtblick in Israels neuer Regierung ist
       Gesundheitsministerin Yael German von der weltlichen Zukunftspartei.
       
       Gleich nach Amtsantritt in der Knesset legte German einen Gesetzentwurf
       über staatliche Wiedergutmachungszahlungen an die Opfer des Anschlags auf
       die lesbisch-schwule Jugendbar in Tel Aviv vor, bei dem im August 2009 zwei
       Menschen ums Leben kamen. In ihrer Position als Gesundheitsministerin könne
       sie das Thema Leihmütter für Schwule vorantreiben. Ohne eine Reise ins
       Ausland würde sich das Kinderprojekt enorm verbilligen. Die kleine Ella hat
       ihre Väter schon 150.000 US-Dollar gekostet, noch bevor sie ihre erste
       Windel trug.
       
       9 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
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