# taz.de -- Neue Koalition in Israel: Eine bunte Truppe
       
       > Diesmal werden die Ultraorthodoxen nicht mit in der Regierung sitzen.
       > Damit zeichnen sich innenpolitische Veränderungen ab.
       
 (IMG) Bild: Ein ultradoxer Israeli verlässt ein Rekrutierungsbüro der Armee.
       
       JERUSALEM taz | Eine heterogene Koalition soll künftig Israel regieren. Nur
       die Ultraorthodoxen werden fehlen. Die sich abzeichnende Regierung umfasst
       zwei Parteien, die es bei den letzten Wahlen noch nicht gab, sowie die
       Nationalreligiösen von Naftali Bennet und das Wahlbündnis von Likud und
       Israel Beitenu. Zwei Fraktionschefs sind Neulinge in der Politik, und ein
       Parteichef, Avigdor Lieberman, kann sein Ministeramt vorerst nicht
       antreten, weil ein Verfahren gegen ihn läuft.
       
       Sollte es keine Komplikationen in letzter Minute geben, wird Wahlsieger
       Benjamin Netanjahu Anfang nächster Woche sein Kabinett vereidigen lassen.
       Der Durchbruch bei den fast sieben Wochen andauernden zähen Verhandlungen
       kam mit der Einigung über die Vergabe des Erziehungsministeriums.
       
       ## Erbitterter Streit um die Bildungspolitik
       
       Dass in einem Land, in dem Wirtschafts- und Sicherheitsfragen die
       politische Agenda bestimmen, ausgerechnet das Erziehungsministerium so
       begehrt ist, mag überraschen. Doch in Israel geht es nicht nur um die Länge
       der Schultage und die Freizeitregelungen der Lehrer, sondern darum, wie
       über den Unabhängigkeitskrieg und die palästinensischen „Nakba“, den Beginn
       der Flüchtlingskatastrophe, unterrichtet wird. Ob die Schüler neben
       israelischen Schriftstellern auch Gedichte von Mahmud Darwisch lesen und
       welche Fächer im Abitur geprüft werden, sind Fragen, die sich hier stellen.
       
       Jair Lapid, der Chef der Zukunftspartei, hat das Erziehungsministerium für
       seine Fraktion gewonnen. Er will Dutzende Fächer von der Abiturliste
       streichen, allen voran die Bibelkunde. Der Erziehungsminister entscheidet
       darüber, ob die Schüler Klassenfahrten in die polnischen KZs machen oder
       Ausflüge in die Siedlungen im Westjordanland, und er entscheidet vor allem
       über staatliche Schulförderung.
       
       ## Fromme sollen Militärdienst leisten
       
       Lapid, der in die Fußstapfen seines Vaters Tommi Lapid tritt, einst
       Justizminister und strikter Gegner des ultraorthodoxen Establishments,
       strebt nach gerechterer Verteilung der staatsbürgerlichen Rechte und
       Pflichten. Höchste Priorität genießt bei der Zukunftspartei die
       Rekrutierung der Ultraorthodoxen in die Reihen der Armee. Eine Regierung
       ohne die ganz Frommen im Land könnte eine grundsätzliche Neuregelung
       deutlich erleichtern.
       
       Seit Staatsgründung sind die Männer mit der schwarzen Kipa auf dem Kopf für
       die Zeit ihres Talmudstudiums vom Dienst an der Waffe freigestellt. Das
       stößt zunehmend auf den Unmut derer, die den Kopf für die Sicherheit
       Israels hinhalten müssen. Lapid zieht mit der Parole „Rekrutierung für
       alle“ an einem Strang mit Naftali Bennett. Der zweite Neuling in der
       Politik ist zwar selbst religiös, gleichzeitig aber ein Zionist in dem
       Sinne, dass er eine Teilung des biblischen Eretz Israel ausschließt. Um die
       Gründung eines palästinensischen Staates zwischen Mittelmeer und Jordan zu
       verhindern, wird Bennett den Siedlungsbau im Westjordanland vorantreiben.
       
       ## Nur Zipi Livni will Friedensgespräche wieder aufnehmen
       
       In diesem Punkt kann er auf die Rückendeckung von weiten Teilen des Likud
       und Israel Beitenu hoffen. Parteichef Avigdor Lieberman lebt selbst in
       einer Siedlung, wie auch mehrere seiner und Bennetts Parteifreunde.
       
       Der Siedlungsbau könnte wiederum das strategische Bündnis von Lapid und
       Bennett zu Fall bringen. Die beiden politischen Shootingstars haben sich
       bei den Koalitionsverhandlungen gegenüber Netanjahu gegenseitig den Rücken
       freigehalten. Deutlich unterschiedliche Richtungen schlagen beide auch in
       der Frage ein, wie jüdisch Israel sein soll. Während es Bennett kaum
       jüdisch genug geht, kündigte Lapid bereits an, dass er als Erstes für
       öffentlichen Verkehr am Schabbat sorgen will.
       
       Auf verlorenem Posten im Kabinett sitzt Zipi Livni, die als einzige der
       künftigen Minister erkennbare Ambitionen hegt, die Friedensgespräche mit
       den Palästinensern wieder aufzunehmen. Die ehemalige Außenministerin und
       Chefin der neuen Partei Tnuah übernimmt das Justizministerium. Im Gegensatz
       zu ihrem rechts-religiösen Vorgänger Jaakow Neeman, der Serien von
       undemokratischen Rechtsreformen vorantrieb, wird Livni ihr neues Amt auch
       dazu nutzen, die Gewaltenteilung im Land zu festigen.
       
       14 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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