# taz.de -- Die Wahrheit: Tiefkühl Heil
       
       > Der neue Trendsport Eisfischen erobert die Discounter.
       
 (IMG) Bild: Ein ungeheures Potenzial zur Kundenbindung“ wartet.
       
       Ansgar Petrowski lauert hinter einem Stapel Getränkekisten auf seine
       Chance, die Angel im Anschlag. Als sich ein Kunde der drei Meter entfernten
       Tiefkühltruhe nähert, spannen sich seine Sehnen zum Zerreißen. Kaum hat der
       nichtsahnende Kunde den Schiebedeckel der Tiefkühltruhe geöffnet, schnellt
       Petrowskis Angelrute nach vorn und der mit professioneller Präzision
       geschleuderte Haken gräbt sich tief in einen Beutel mit tiefgefrorenen
       Rotbarschfilets. Triumphierend zieht Ansgar seine Beute „an Land“, während
       der verdutzte Kunde, irritiert in die Runde blickend, hastig eine Packung
       Tiefkühlspinat entnimmt, die Kühltruhe wieder schließt und zur Kasse eilt.
       
       Mit seinem letzten Fang ist Ansgar Petrowski unumstrittener Sieger im
       Lidl-Eisfischwettbewerb geworden: Seine Tagesausbeute umfasst neben den
       Rotbarschfilets noch einen ganzen Alaska-Wildlachs, eine Packung
       Bio-Shrimps sowie drei Schachteln mit Fischstäbchen. Da konnte trotz
       starker Konkurrenz keiner mithalten.
       
       Nach der viel umjubelten Siegerehrung erklärt der überglückliche Gewinner
       das Geheimnis seines Erfolgs: „Ganz wichtig ist es, die Körperspannung
       hochzuhalten. Denn beim Tiefkühlfischen zählt jede Millisekunde. Die
       Schiebetüren der Kühleinheiten sind nur kurz geöffnet. Und wenn du da nicht
       sofort zuschlägst, hast du keine Chance. Wer da erst lange mit seiner Angel
       herumfummelt, wird nie was aus der Truhe fischen!“ Oder, wie neulich
       geschehen, statt einer Packung Regenbogenforellen dem Kunden das Toupet von
       der Glatze angeln.
       
       Marktleiter Richard Gutmann jedenfalls ist mit dem heutigen Wettbewerb
       hochzufrieden. Der umtriebige Einzelhandelsprofi gilt als Spiritus Rector
       des Tiefkühl-Eisfischens. Er war der Erste, der mit Events wie diesen das
       neuzeitliche Einkaufserlebnis entscheidend prägte. An Wettkampftagen ist
       der Ansturm der Schaulustigen kaum mehr zu bewältigen und der Umsatz „geht
       absolut durch die Decke“.
       
       Gutmann erkannte in den Eisfischwettbewerben das ungeheure Potenzial zur
       Kundenbindung und wurde so zum Vorreiter eines eventorientierten
       Marktmanagements. Heute kann es sich kein Discounter mehr leisten, ohne
       einen ähnlichen Wettbewerb auszukommen. Sei es nun die Norma-Trophy oder
       das Netto-Fishing, die Aldi-Gemüse-Challenge oder das Pizza-Fischen bei
       Penny, stets ist der Massenandrang der Kunden garantiert, wenn die Stars
       der Eisfischer-Szene an den Start gehen.
       
       Mittlerweile haben sich zwei Disziplinen etabliert: das ursprüngliche
       Kühltruhen-Fischen und in den entsprechend ausgestatteten Märkten der
       technisch ungleich anspruchsvollere Kühlschrank-Wettbewerb, bei dem der
       Kunde nach dem Öffnen der Tür mit seinem Körper einen Großteil des
       Tiefkühl-Sortiments verdeckt und es somit extrem schwierig ist, den Haken
       in die begehrte Ware zu schleudern, ohne den Kunden zu verletzen.
       
       Noch vor wenigen Jahren war die heutige Trendsportart eine
       Freizeitbeschäftigung für wenige. Die Anfänge lassen sich auf dem
       Kundenparkplatz des Lidl-Markts in München-Ramersdorf verorten. Damals
       kamen die beiden arbeitslosen Hobbyangler Xaver Dürngiebl und Robert
       Ampfinger auf die Idee, ihre bescheidenen Hartz-IV-Bezüge mit
       Selbstgeangeltem aufzubessern. Was lag da näher, als aus den voll bepackten
       Einkaufswagen, die die Kunden zum Entladen neben ihre Autos gefahren
       hatten, Waren herauszufischen. „Nur so konnten wir trotz knapper Kasse ab
       und zu mal ein anständiges Abendessen auf den Tisch bringen“, erzählt
       Dürngiebl, der heute eine florierende Angelschule betreibt.
       
       Im Laufe der Zeit entwickelten die beiden eine solche Meisterschaft im
       zielgenauen „Anwerfen“ der beliebtesten Leckereien, dass ihr Treiben nicht
       länger unbemerkt blieb. Nach sich häufenden Kundenbeschwerden wurde
       Marktleiter Richard Gutmann auf die erstaunlichen Fertigkeiten der
       Hobbyangler aufmerksam, holte sie aus der Illegalität des Parkplatzfischens
       und integrierte sie in die Glitzerwelt seines Konsumtempels. Der Rest ist
       Geschichte.
       
       9 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rüdiger Kind
       
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