# taz.de -- Tolkien-Verfilmung „Der Hobbit“: Im Schweiß der Riesen
       
       > Nun kommt „Der Hobbit“ in die Kinos – das Vorspiel zur Fantasy-Reihe
       > „Herr der Ringe“. Der Film ist voller Höllenstürze, die sanft enden.
       
 (IMG) Bild: Der Anfang einer großen Reise: Bilbo Beutlin hat nichts Geringeres vor, als ein verlorenes Zwergenkönigreich zurückzugewinnen. Abenteuerlich.
       
       Die Weltgeschichte besteht aus verpassten Abzweigungen. Ein besonders
       deutliches Beispiel findet sich in J. R. R. Tolkiens berühmter
       Abenteuerzählung „Der Hobbit“. Ein Halbling erfindet dort das Golfspiel,
       indem er einem Goblin den Kopf abschlägt. Statt nun aber das Spiel durch
       Einführung eines Balls zu veredeln und auf die Landschaft von Mittelerde
       (ein Green nach dem anderen) abzustimmen, wird das Aufeinander-Einschlagen
       zur großen Mode in diesen mythologischen Gegenden.
       
       Jedes fehlende Haupt hinterlässt ein Grollen, das sich über die
       Jahrhunderte fortpflanzt und irgendwann den harmlosesten Hobbit ganz hinten
       im Geschichtswinkel erreicht, der vor seinem Höhlchen sitzt und sein
       Pfeifchen schmaucht. Er heißt Bilbo Beutlin – Baggins im englischen
       Original.
       
       „In a hole in the ground there lived a hobbit.“ Mit diesem Satz begann
       einst das Riesenwerk, zu dem J. R. R. Tolkien seine Sage von Mittelerde
       entwickeln sollte. Ein Loch in der Erde, und wenn es auch noch so viele
       Speisekammern, Polstersessel und Verwöhnecken enthält, reicht nicht für
       eine große Geschichte. Da muss schon zu einer Reise aufgebrochen werden,
       und eben dies ist die Geschichte des „Hobbit“. Ohne Abenteuer gibt es keine
       Erzählungen. Irgendwie begreift dieser Bilbo Baggins, dass die Bücher, zu
       denen er sich abends behaglich setzt, irgendwann leer sein könnten, wenn
       nicht gelegentlich einer etwas erlebt.
       
       Es ist eine Urszene des Erzählens, mit der Tolkien anhebt, und es ist nicht
       ohne Ironie, dass der neuseeländische Regisseur Peter Jackson jetzt erst an
       diesem Punkt anlangt, nachdem er der Welt mit der Filmtrilogie „Der Herr
       der Ringe“ einen der größten Erzählbrocken beschert hat, die nun so
       herumliegen. Mit dem Wissen darum, was aus dieser Urszene so geworden ist,
       kommt Jackson nun am Anfang an, im Garten des kleinen Hobbit.
       
       Im Gepäck hat er aber ein technologisches Arsenal, das in den paar Jahren
       seit Abschluss der Filmtrilogie schon wieder beträchtlich angewachsen ist.
       Er dreht inzwischen in den höchstauflösenden Formaten, die digital derzeit
       erreichbar sind, er verfügt über Spezialeffektrechnereien ohne Vergleich,
       und er fügt das alles zu einem nur vorgeblich dreidimensionalen, in
       Wahrheit zumeist recht herkömmlichen, allerdings ungeheuer detailsatten
       Fantasybild zusammen.
       
       ## Bilbo, dreizehn Zwerge und Gandalf
       
       Zwischen 1937, als „The Hobbit“ erstmals erschien, und 2012 entsteht auf
       diese Weise ein sehr interessantes Spiel mit Zeitlichkeit. Denn die Vorlage
       kann man zwar umschreiben, wie Tolkien es einmal getan hat; sie ist aber
       auf ihren Buchstaben- beziehungsweise Runencharakter festgelegt. Jacksons
       Verfilmungen („Der Hobbit“ soll wie „Herr der Ringe“ drei Teile haben) aber
       wächst mit den Datenpotenzen des digitalen Zeitalters in die Tiefe des
       Bilds hinein. Sie verwandeln sich medial ständig, sodass man von einer
       Queste – also einer Mission, einer Suche – in mehrfacher Hinsicht sprechen
       müsste.
       
       Bilbo Baggins, dreizehn Zwerge und der Zauberer Gandalf wollen dem Drachen
       Smaug einen Schatz entreißen, den dieser einst selbst geraubt hatte. Peter
       Jacksons Abenteuer aber ist eines der Virtualität. Er macht sich mit dem
       Hobbit auf eine Reise, an deren Ende das Buch gewissermaßen in einem
       Universalmedium verschwinden könnte, das uns Leser von innen nach außen
       stülpt: Was einstmals Kopfgeburten und Leseträume waren, sind dann
       künstliche Welten, in denen wir uns herumschleudern lassen können.
       
       Es gibt kein anderes erzählerisches Unternehmen in der Gegenwart, das sich
       so streckt zwischen Imagination und Technologie, und wieder einmal sind wir
       mittendrin: „Der Hobbit“ ist mit dem ersten Teil, der jetzt vorliegt,
       radikal „in progress“. Dass die Motive des eigentlich schmalen Buches für
       drei Teile reichen werden, ist jetzt schon ziemlich sicher.
       
       Denn abgesehen von einer etwas langatmigen Exposition ist diese erste
       „Hobbit“-Installation dramaturgisch sehr geschickt gestaltet. Ein bleicher
       Ork als Hauptfeind, ein Haufen Trolle als Störenfriede, all das arbeitet ja
       nur diesem kaum merklichen Grollen zu, das sich durch Mittelerde insgesamt
       zieht und das Jackson in einem großartigen Finale konzentriert.
       
       Wie sich hier auf einem kaum noch im bröckelnden Erdreich einer Felsspitze
       festhängenden Baum das Abenteuer auf die äußerste Kante setzt, das führt
       die klassischen Motive des Cliffhangers, des Comebacks und der Rettung in
       letzter Sekunde so geschickt und zugleich ungeheuer effektvoll zusammen,
       dass man beinahe vergessen könnte, dass es sich hier erst um ein Episödchen
       gehandelt hat. Abenteuer bestehen aus Aufgaben und Lösungen, das gilt auch
       für „Der Hobbit“.
       
       ## Abgründe und Schlupflöcher
       
       Aber das größere Prinzip dieser Sage ist ja doch das, das in einer Szene
       ersichtlich wird, in der ein ganzer Berg zu raufendem Leben erwacht. Die
       Felsriesen, die einander da gigantische Ohrfeigen verpassen, merken gar
       nicht, dass auf ihnen ein paar Kletterer unterwegs sind, denen gerade der
       Boden unter den Füßen wegbricht. Sie stehen gewissermaßen auf den
       Schweißtropfen der Mineralmonster.
       
       Dieses Bild enthält das ganze Projekt des Peter Jackson in der höchsten
       Verdichtung. Er hält an der menschlichen Heldenrolle fest, aber im Grunde
       interessiert ihn vor allem eine Welt, in der sich alles bewegt, in der sich
       ständig Abgründe und Schlupflöcher öffnen und in der die Höllenstürze wie
       in unseren Träumen auch immer irgendwie sanft enden.
       
       Jackson orientiert sich am Ereignischarakter von Erdbeben, um eine
       Erzählung zu schaffen, in der ein sanftes Knacken auf einem Stein, wenn ein
       Vogel eine Schnecke aufbricht, eine Kontinentaldrift auslösen kann. Das ist
       mythologisch verbrämte Chaostheorie. Wer angesichts solch entfesselter
       Gewalten noch darauf setzt, ein einzelnes Individuum, ein Held könne mit
       seinen Taten wirklich etwas bewegen, tut es „quia absurdum“.
       
       Mit „The Hobbit“ hat ein Erzählprojekt begonnen, das uns vom Anfang ans
       Ende des Heldentums führen wird, ohne dass wir es merken sollen. Wenn das
       mal keine weltgeschichtliche Abzweigung ist.
       
       ## „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“. Regie: Peter Jackson. Mit Martin
       Freeman. Ian McKellen, Cate Blanchett. USA/Neuseeland 2012, 196 Minuten. Ab
       13. Dezember im Kino.
       
       13 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Rebhandl
       
       ## TAGS
       
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