# taz.de -- Berlusconi-Partei am Ende: Spätrömische Dekadenz
       
       > Die Abgeordneten der Provinz Latium beweisen eine ganz eigene Auffassung
       > von ihrem Job. Selbst in einem skandalumwitterten Land ist das ein
       > Skandal.
       
 (IMG) Bild: Der Spaß ist vorbei: Renata Polverini (l.) vor ihrem Rücktritt, zusammen mit Partei-Chef Silvio Berlusconi (r).
       
       ROM taz | Champagner und Austern, Häuser und Autos, Luxusfeiern und pompöse
       Partys: Franco Fiorito, ein 41-jähriger schwergewichtiger Provinzpolitiker,
       der gern Nadelstreifen mit weißem Hemd und offenem Kragen trägt, ist die
       Schlüsselfigur des neuesten Skandals in Italien. Die Abgeordneten der
       Region Latium sollen sich im großen Stil bereichert haben – auf Kosten der
       Steuerzahler.
       
       Fraktionsgelder wurden dabei missbraucht. Fiorito war bis Anfang August
       Fraktionsvorsitzender der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà (PdL –
       Volk der Freiheit) im Regionalparlament.
       
       Das erlaubte ihm den Zugriff auf einen reich gefüllten Topf: Die Region
       Latium schießt, zusätzlich zur generellen Wahlkampfkostenerstattung, den
       Fraktionen pro Jahr etwa 16 Millionen Euro „für die politischen Aktivitäten
       der Abgeordneten“ zu – das macht über 200.000 Euro pro Mandatsträger.
       
       Den Begriff „politische Aktivitäten“ interpretierten Fiorito und seine
       Kumpane allerdings auf ihre Weise. So gönnte der Fraktionschef sich im Jahr
       2010 erst einmal einen schicken Sardinien-Urlaub mit der Freundin, Kosten:
       29.000 Euro.
       
       Dann schaffte er sich einen BMW-SUV für schlappe 88.000 Euro an; ein mit
       Fraktionsgeldern gekaufter Smart allerdings war nach seiner Aussage nicht
       für ihn bestimmt. Die überzeugende Ausrede des 170-Kilo-Mannes: In die
       kleine Kiste passe er „gar nicht rein“.
       
       Zudem hatte Fiorito mehr als eine Million Euro auf Privatkonten überwiesen.
       Gegen ihn läuft jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung. Doch
       Fiorito konterte. Dutzende Rechnungen für Partys mit Austern und Champagner
       seien von seinen Fraktionskollegen saldiert worden.
       
       ## Gastgeber Odysseus
       
       Zum Inbegriff des Skandals wurde das Megafest, das der junge Abgeordnete
       Carlo De Romanis nach seiner Wahl vor zwei Jahren organisiert hatte. 2.000
       geladene Gäste kamen zu der Motto-Party, verkleidet als antik-römische
       Maiden in knappen Tunikas oder als griechische (wahlweise römische)
       Krieger, der Gastgeber selbst trat als Odysseus auf.
       
       Die spätrömische Dekadenz versprühenden Bilder der albern maskierten
       Jeunesse dorée der italienischen Hauptstadt gingen in den letzten Tagen
       durch alle Medien; De Romanis schwört, er habe die Sause seinerzeit selbst
       bezahlt, Fiorito dagegen behauptet, auch hier seien über eine Stiftung
       Fraktionsgelder geflossen, um die 20.000-Euro-Rechnung für das „politische
       Ereignis“ zu begleichen.
       
       Am Montagabend zog die Gouverneurin von Latium, Renata Polverini, mit ihrem
       Rücktritt einen vorläufigen Schlussstrich um den Großskandal.
       
       ## Es wird Neuwahlen geben
       
       Erst im Frühjahr 2010 hatte Polverini an der Spitze eines
       Parteienbündnisses aus dem Berlusconi-Lager den Sieg über die vorher
       regierende Linke davongetragen – doch jetzt werden Neuwahlen unvermeidlich.
       
       Polverini hatte zunächst ihren Kopf mit der These zu retten versucht, sie
       selbst habe „nichts gewusst“ – dann aber, bei ihrer
       Rücktritts-Pressekonferenz, sagte sie, es sei alles „noch viel schlimmer“,
       sie habe „unglaubliche Dinge erlebt“, und in den nächsten Tagen werde sie
       auspacken.
       
       Schon jetzt darf als sicher gelten, dass die Berlusconi-Partei PdL diesen
       Skandal nicht überleben wird. Das „Volk der Freiheit“ war erst im Jahr 2008
       aus der Fusion von Berlusconis Forza Italia mit der postfaschistischen
       Alleanza Nazionale (AN) entstanden.
       
       ## Keine Chance mehr
       
       Deren Politiker steuern zunehmend auf einen Alleingang hin, und auch
       Berlusconi wird nachgesagt, er sehe keine Chance mehr für die PdL.
       
       Stattdessen überlegt er, bei den nationalen Wahlen im Jahr 2013 mit
       verbündeten Listen zu kandidieren. Das Hauptwahlversprechen der neuen Kraft
       lautete dann, wenn man den Spekulationen glauben darf: Berlusconi will
       endlich in der italienischen Politik „aufräumen“.
       
       Einen Partner für das „groß Reinemachen“ hätte er angeblich schon: Franco
       Fiorito will bei der nächsten Regionalwahl auch wieder antreten.
       
       25 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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