# taz.de -- Keine G'schichten ausm Paulanergarten: Wo die wilden Kerle wohnen
       
       > Derb, aber herzlich: "Muh" - das Magazin über "Bayerische Aspekte" wagt
       > einen Spagat zwischen Brauchtum und der weltoffenen Stadt-Mittelschicht
       > Bayerns.
       
 (IMG) Bild: Muh erscheint ab 25. März alle drei Monate im Eigenverlag.
       
       PREUSSEN taz | Bier, Berge, Blasmusik. Ja, hier ist wirklich alles drin,
       was man als Nordostwestmitteldeutscher mit Bayern verbindet: in der Muh,
       einem neuen Magazin über "Bayerische Aspekte", das sinnfälligerweise seinen
       Sitz in der Chiemseestraße in einem Ort namens Truchtlaching hat. Denn es
       gibt ja auch viel zu erzählen über den großen Freistaat im Süden, der als
       eines von nur wenigen Bundesländern kein zusammengestoppeltes
       Verwaltungsgebilde ist, sondern auf eine lange Geschichte als eigenes
       Stammesherzog-, Kurfürsten- und Königreich zurückblicken kann - und sich
       nicht nur deswegen bis heute für deutsche Verhältnisse ein recht hohes
       Regionalbewusstsein und ein lebendiges Verhältnis zu Tradition und
       Brauchtum bewahrt hat.
       
       Weil sich solch lokale Identität vor allem über die Vergangenheit
       definiert, ist einiges an Rückblick und Bestandsaufnahme in der Muh: Karl
       Valentin, der Wolpertinger, die Münchner Frühe-Achtziger-Avantgarde-Band
       "Sigurd Kämpft", Franz Josef Strauß' afrikanische Außenpolitik,
       Fingerhakeln und Fastenbräuche in Oberbayern, sie alle sind mit dabei. Und
       obendrauf ein langer Text über das Aussterben des Bairischen und seiner
       zahlreichen Subdialekte, die vom sanften Grünwalder Kaufmannsbairisch oder
       gleich ganz vom Hochdeutschen überformt werden.
       
       G'schichten ausm Paulanergarten also? Nein, das wäre zu einfach, das würde
       dem journalistischen Anspruch des Chefredakteurs und Muh-Miterfinders Josef
       Winkler (der übrigens, das soll nicht verschwiegen werden, als
       tazzwei-Kolumnist ein Spezl unseres Hauses ist) nicht genügen. Der
       Brückenschlag zum Jetzt wird immer gesucht, denn es ist ja gerade die
       spannende Frage, inwiefern auch eine intellektuelle und weltoffene
       Stadt-Mittelschicht heute eine bayerische Identität verkörpern kann - zu
       der dann eben auch Starkbierzeit und Bergwanderungen gehören, denn warum
       sollte man sich dem verschließen? Am besten gelingt dieser Spagat in der
       Titelgeschichte über die Blasmusikbegeisterung der Jugendlichen von
       Bayerisch-Schwaben.
       
       Auf diese Weise kriegt denn auch der Nichtbayer einen Einblick in die
       weiß-blaue Befindlichkeit. Lediglich vereinzelte Themen sind für Zugereiste
       eher bedingt zugänglich, etwa ein mehrseitiges Interview mit dem Haindling,
       Musiker Hans-Jürgen Buchner. Neben viel Kultur findet sich zudem ernster,
       kritischer Journalismus in der Muh: eine sehr detaillierte Recherche über
       den Fall des Regensburger Studenten Tennessee Eisenberg, der 2009 von
       Polizisten erschossen wurde (war es Notwehr oder nicht?) und eine
       ausführliche Bestandsaufnahme der Vermaisung Bayerns - dem rapiden
       Anwachsen der Maisanbauflächen im Freistaat sowie den Folgen für die Umwelt
       und die bayerische Kulturlandschaft - in gleich zehn Kapiteln.
       
       Der Mix aus Althergebrachtem und Zeitgemäßem wird mit dem markanten Layout
       fortgeführt. An manchen Stellen wirkt die Muh mit ihren Randspalten,
       Kleinstfotos, Einschüben und schräg gestellten Schriftblöcken wie ein
       zusammengeklebtes und fotokopiertes Fanzine der
       Prä-Computer-Do-it-yourself-Ära - an anderen finden sich wiederum die
       aufgeräumt-opulente Flächigkeit und die farbentsättigten Fotos, die das
       alternative Magazinwesen in Deutschland aktuell auszeichnen.
       
       Vorläufig erscheint die Muh vierteljährlich, in einer schmalen Auflage von
       11.000 Exemplaren und zum Verkaufspreis von 4,50 Euro. Fürs Geld gibt's
       viel, das Magazin ist beinahe übervoll, dabei unterhaltsam, lehrreich und
       vor allem mit viel Liebe zum Detail gemacht. Da tauchen auf einmal noch
       Kinderseiten und - wirklich wahr - eine Witzrubrik ("knallharte
       Retro-Gaudi") auf. Wobei nicht jeder Text ein Gewinn ist, einige der
       zahlreichen Rubriken, Kolumnen und Kleinkramelemente hätte man sich sparen
       können, genau wie manch langer Text ein paar redigierende Kürzungen gut
       vertragen hätte.
       
       Andererseits macht das die Muh auch gerade aus: Wie die Menschen aus ihrer
       Heimat ist sie herzlich und stets ein wenig derb und unbehauen. Ein Heft
       mit Charakter.
       
       29 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Brake
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
       
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