# taz.de -- Handy-Ausstellung in Frankfurt: Die polymorph-perverse Maschine
       
       > Vom mobilen Tastentelefon zur multifunktionalen Überwachungseinheit: die
       > Ausstellung „Hamster Hipster Handy. Im Bann des Mobiltelefons“.
       
 (IMG) Bild: Auch ein irgendwie polymorph-perverses Ausstellungsstück: Ein Handyhalter, designt von Yayoi Kusama
       
       Zwar sind insgesamt Arbeiten von fast 40 Künstlern zu sehen, die
       eindringlichsten Exponate aber sind die „Handy-Biografien“. Das sind
       kunstlos an einer Stellwand befestigte Mobiltelefone von ein paar Leuten,
       angebracht in der Reihenfolge ihrer Anschaffung. In anderthalb Jahrzehnten
       kann man es da schnell auf ein knappes Dutzend Geräte bringen. Wie Relikte
       aus einem versunkenen Zeitalter hängen da Apparate, die einst ein paar
       hundert Euro gekostet haben und sich heute von jungen Leuten als
       „Tastentelefon“ bezeichnen lassen müssen – das klingt fast so muffig wie
       „Dampfradio“ oder „Telefonzelle“. Nokia? Ja, da war mal was …
       
       Solche Geräte sind der Grund, warum es in Deutschland heute mehr
       Mobiltelefone als Einwohner gibt: meist noch funktionstüchtig, aber total
       déclassé liegen sie melancholisch in der Schreibtischschublade herum, für
       den Notfall oder für die Kinder – die sich für solche Antiquitäten
       bedanken, so man versucht, sie ihnen aufzudrängen.Vermutlich haben sie mehr
       Rechenpower als das Nasa-Computercenter in Houston, das einst die Apollo 8
       zum Mond dirigierte. Und eine gewisse Zeit konnte man nicht von ihnen
       lassen. Sie steckten in der Hosentasche, man flüsterte Intimitäten in sie
       hinein oder komponierte auf ihnen karriereentscheidende SMS-Nachrichten.
       
       Nun hängen sie – etwas deplatziert – im Museum, abgewetzt oder mit
       gesplittertem Display. Und vom einstigen Lebensbegleiter und
       Technokonsumfetisch ist ein Stück Elektroschrott übrig geblieben, von dem
       man nicht genau weiß, wie man es entsorgen soll. Schnell das Smartphone
       gezückt, einen Schnappschuss von dem Maschinenfriedhof gemacht, und ins
       Netz geladen – „alte Handys LOL!“.
       
       Die Ausstellung „Hamster Hipster Handy“ im Museum Angewandte Kunst in
       Frankfurt, in der diese traurigen Technologien zu sehen sind, liefert eine
       lange überfällige ästhetische Reflexion der Tatsache, dass das Handy in
       unserem Leben das Kommando übernommen hat, um es nie wieder herzugeben.
       Beim Gang durch die umfangreiche Präsentation fragt man sich immer wieder,
       warum es eigentlich bis 2015 gedauert hat, bis jemand auf diese Idee
       gekommen ist.
       
       Möglicherweise hat das damit zu tun, dass das Handy inzwischen so viele
       Funktionen unseres Alltagslebens in sich aufgenommen hat, dass man gar
       nicht weiß, wo man anfangen soll. In seiner aktuellsten Manifestation, dem
       Smartphone, ist das Handy zu einer komplett polymorph-perversen Maschine
       geworden, die scheinbar alles kann und bei allem mitmachen will. Es ist –
       unter anderem – Computer, Bibliothek, Kamera, Fotoalbum, Globus, Kompass,
       Uhr, Kursbuch, Taschenlampe, Überwachungsinstrument, Zeitverschwender. Ach
       so, telefonieren kann man mit ihm natürlich auch, aber eigentlich tut man
       das eher selten. In viele der zahllosen Richtungen, die das Smartphone
       suggeriert, wuchert die Ausstellung zugleich.
       
       ## Das letzte Selfie von Ai Weiwei
       
       Der Möglichkeit der Bildproduktion und -distribution hat Kuratorin Birgit
       Richard, Kunstpädagogikprofessorin an der Frankfurter Universität,
       besonders viel Raum gewidmet. Da ist das letzte, vor seiner Verhaftung
       getwitterte Selfie von Ai Weiwei, schon mit Geheimpolizisten im
       Bildhintergrund. Alberto Frigo, ein On Kawara unserer Tage, fotografiert
       mit dem Handy jeden Tag alle Gegenstände, die er berührt – und dokumentiert
       sie mit Hanne-Darboven-hafter Pedanterie in einer riesigen Wandarbeit aus
       winzigsten Thumbnails.
       
       Auch Selfies von Drohnen gibt es hier zu sehen, wie sich sowieso
       Überwachung bald als zweites großes Thema der Ausstellung
       herauskristallisiert: Florian Mehnert hat Handys über das WLAN-Netz eines
       Cafés mit einem Virus infiziert, der es ihm erlaubte, die eingebaute
       Videokamera einzuschalten: auf zwei Dutzend von der Decke hängenden Tablets
       sieht man, was die Handykameras gesehen haben. Um die Ecke eine Reihe von
       Routern, die per Wi-Fi digitale, von Netzkünstler Aram Bartholl ausgewählte
       Kunstwerke ausstrahlen und die man sich mit dem eigenen Smartphone ansehen
       muss. Wem all das zu viel ist, dem wird das NoPhone gefallen: ein
       Kickstarter-finanziertes Handy ohne Betriebssystem und Apps, das einen
       einfach nur in Frieden lässt.
       
       Unbekümmert kombiniert Kuratorin Richard Arbeiten von etablierten
       Gegenwartskünstlern wie Thomas Struth oder Tobias Zielony mit Werken der
       sogenannten Medienkunst und mit Fundstücken aus dem Netz, die auch Kunst
       sein könnten, wären sie denn von Künstlern – wie etwa den viralen
       Videoklassiker „Noah Takes a Picture of Himself Everyday for 6 Years“.
       Selbst ein Sketch aus „Ladykracher“ ist zu sehen – wie Anke Engelke ihren
       eigenen Fahrradunfall verschwitzt, weil sie dringend auf ihrem Smartphone
       herumwischen muss, ist allerdings wirklich schon fast Performance Art.
       
       Manche der Arbeiten dürften die Halbwertszeit eines Tastenhandys haben – in
       zehn Jahren wird möglicherweise niemand mehr die Pointe der
       „Klingelton-Symphonie“ verstehen. Aber im Augenblick ist diese Ausstellung
       willkommener Anlass, über die disruptivste Technologie unserer Zeit
       nachzudenken. Für den Besuch sollte man viel Zeit mitbringen – und
       natürlich ein Smartphone. Mit dem kann man dann nicht nur den Audioguide
       der Ausstellung aus dem Netz herunterladen, sondern natürlich auch ganz
       viele Selfies vor den Exponaten aufnehmen.
       
       5 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tilman Baumgärtel
       
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