# taz.de -- Denker-Messe Phil.Cologne: Der Philosoph als Popstar
       
       > Bei der Phil.Cologne in Köln sprach unter anderem Slavoj Zizek. Den
       > Euthanasie-Befürworter Peter Singer hatte man kurzfristig ausgeladen.
       
 (IMG) Bild: Philosoph Charles Taylor (links) bekam von Moderator Wolfram Eilenberger kaum Kontra.
       
       KÖLN taz | Slavoj Zizek war entzückt. „Wir wissen eh besser, was gut für
       Sie, das Volk, ist“, sagte er und lachte, als er erfuhr, dass es nach
       seinem Vortrag bei der diesjährigen Phil.Cologne keine Fragerunde mit dem
       Publikum mehr geben würde. Stattdessen würde er Bücher signieren.
       Anderthalb Stunden hatte er vorher geredet – eigentlich sollte es um
       Entfremdung gehen, Zizek hatte sogar einen kurzen Vortrag vorbereitet.
       Stattdessen war vom Kapitalismus, Syriza und der falschen Ideologie die
       Rede, die meint, es gäbe so etwas wie Harmonie in der Natur oder
       unschuldige Kinder.
       
       Slavoj Zizek ist ein erratischer Redner. Er lupft an seinem T-Shirt, lacht,
       bricht seine Sätze ab, wenn ihm ein neuer Gedanke kommt. Alle kennen diesen
       Redestil von den unzähligen YouTube-Videos, durch die er zum
       Star-Theoretiker wurde. „Vielleicht kennen einige sie schon“, sagt er,
       bevor er die nächste Anekdote erzählt. Zizek ist ja genau deshalb der
       Hipster unter den Philosophen, weil er jede Frage schon antizipiert. Dass
       er dabei vor allem gegen Strohmänner argumentiert – am Freitagabend störte
       es niemanden.
       
       Zizek war der Starredner der diesjährigen Phil.Cologne, eines einwöchigen
       Gesprächsmarathons in Köln. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei der
       großen Schwester Lit.Cologne. Man definiert ein paar drängende Zeitfragen
       und lädt die großen Namen dazu ein – oder umgekehrt, wer weiß das schon
       genau? Ein gerade veröffentlichtes oder demnächst erscheinendes Buch
       schadet nicht und die Nachfrage scheint auch vorhanden zu sein. 11.000
       Besucher fanden ihren Weg zu den Veranstaltungen.
       
       Um welche Philosophie geht es aber? Fragen, die das Kerngebiet der
       akademischen Philosophie berühren, etwa Erkenntnistheorie und
       Wissenschaftsphilosophie, waren bei der Phil.Cologne ebenso weitgehend
       abwesend wie der semi-akademische Philosophiediskurs des spekulativen
       Realismus oder die politischen Debatten der Akzelerationisten. Stattdessen
       ging es häufig um Fragen der Alltagsethik, von aktuellem politischen
       Handeln oder um die Ästhetik von Popkultur.
       
       ## Wittgenstein auf Twitter
       
       „Ich mochte immer die Aphorismen der Frankfurter Schule gerne“, bekannte
       Eric Jarosinski, „von Adorno die ‚Minima Moralia‘ und die ‚Einbahnstraße‘
       von Walter Benjamin.“ Jarosinski ist bekannt geworden als @neinquarterly
       auf Twitter, wo er in 140 Zeichen Witze über den deutschen Idealismus
       machte oder eine Einführung in Wittgenstein gab. Zu Beginn hatte er noch
       als Germanistikprofessor gearbeitet, mittlerweile lebt er als freier Autor
       von Zeitungskolumnen und Auftritten. Jarosinski ist ein Philosophie-Nerd,
       er liest philosophische Texte als Fan und mit Interesse am Detail. „Als
       Dozent mochte ich das ‚close reading‘ am liebsten“, erzählt er. „Sich eine
       Sitzung nur mit 2 oder 3 Sätzen beschäftigen.“
       
       Als gründlicher Leser trat er auf der Phil.Cologne allerdings nicht in
       Erscheinung. Denn hier steht nicht die Arbeit am Begriff, sondern der
       Philosoph selbst im Vordergrund. Jarosinski bietet dafür eine perfekte
       Projektionsfläche. Anstatt an seinem für die Festanstellung als Professor
       nötigem Buch zu arbeiten, erfand er seine Twitter-Persona und ist seitdem
       als gescheiterter Intellektueller außerhalb der Uni erfolgreich.
       
       Nun ist der Philosoph als Popstar nichts, was die Phil.Cologne als eigene
       Erfindung reklamieren könnte oder wofür man sie verantwortlich machen
       müsste. Jacques Derrida bekam schließlich schon 1982 einen Song gewidmet.
       Aber auch von den Ritualen des akademischen Betriebs ist die Veranstaltung
       in Köln nicht so weit entfernt, wie es zuerst den Anschein hat. Fast jede
       wissenschaftliche Konferenz wirbt mit den Namen der Vortragenden statt mit
       deren Themen, eine Biografie über einen Philosophen zu schreiben, gilt als
       adäquate Forschungsleistung.
       
       ## Euthanasie-Befürworter Singer ausgeladen
       
       Wie jedes Popfestival leistet sich die Phil.Cologne auch einen kleinen
       Skandal. Verantwortlich dafür ist Peter Singer, der am Sonntag mit Jörg
       Thadeusz vom RBB über die etwas alberne Frage „Retten Veganer die Welt?“
       diskutieren sollte. Schon einige Wochen vorher hatten lokale
       Behindertenvertreter Protest gegen Singers Auftritt angekündigt, dessen
       Buch „Praktische Ethik“ von Kritikern als Rechtfertigung von Euthanasie an
       behinderten Säuglingen verstanden wird. In einem Interview mit der NZZ von
       Ende Mai [1][relativierte er dann die Geburt] als rechtliche Norm für den
       Status als Person, was schließlich dazu führte, dass ihn die Phil.Cologne
       wieder auslud. Singer schoss über die Kölner Lokalpresse zurück und warf
       der Phil.Cologne vor, zu ängstlich zu sein, „Fragen zu diskutieren, die
       einige Menschen stören“.
       
       Nun dürfte eine Diskussion von Singer mit der Krawallschachtel Jörg
       Thadeusz nur im Troll-Feuilleton der Welt als gewinnbringende Debatte
       durchgehen. Trotzdem war die große Schwäche der Phil.Cologne die mangelnde
       Lust am Widerspruch. Das zeigte sich besonders beim Vortrag des kanadischen
       Philosophen Charles Taylor, der über sein Buch „Ein säkulares Zeitalter“
       von Phil.Cologne-Organisator und Philosophie-Magazin-Herausgeber Wolfram
       Eilenberger interviewt wurde. Taylor erklärte nochmals die Notwendigkeit
       eines transzendenten Sinns und bekannte sich zum religiösen Pluralismus.
       Eilenberger jedoch beschränkte sich wie schon einige Tage zuvor beim
       Auftritt von Zizek auf die Rolle des höflichen Nachfragers, anstatt ein
       Gegenüber zu sein.
       
       So erdachte er sich lieber fiktive atheistische Positionen, statt Taylor
       etwa mit der Haltung Albert Camus’ zu konfrontieren, nach der gerade die
       Abwesenheit von Sinn die Chance auf Freiheit bietet. Eigentlich
       Schulwissen, aber für die Phil.Cologne zu voraussetzungsreich. Oder zu
       verwirrend? 90 Minuten dauerten die Veranstaltungen bei der Phil.Cologne.
       90 Minuten, nach denen man in der Regel nicht mit der leicht euphorischen
       Verwirrung von Theorielektüre nach Hause ging, sondern mit dem flauen
       Gefühl, jetzt irgendwie Bescheid zu wissen.
       
       4 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/philosoph-peter-singer-ein-embryo-hat-kein-recht-auf-leben-1.18547574
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Werthschulte
       
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