# taz.de -- Fast Food essen auf dem Kirchentag: Der Geruch von Schuld und Fett
       
       > Das Böse liegt so nah: Nur wenige Kilometer trennen Bio-Burger und
       > vegetarische Maultauschen von Chicken-McNuggets, Pommes und Cheeseburger.
       
 (IMG) Bild: Biofraß, Fastfood – oder Essen aus der Feldküche der Johanniter.
       
       STUTTGART taz | Die Kuh auf dem Markt der Möglichkeiten schreit. Sie wedelt
       mit Flyern, auf denen dich ein Ferkel anguckt – mit Augen, die ein
       schlechtes Gewissen machen. Die Kuh, also der junge Mann im Kuhkostüm, er
       schwitzt und protestiert und schwitzt und protestiert. Massentierhaltung.
       Gammelfleisch. Auf dem Kirchentag muss er sich wohlfühlen: Tote Tiere
       findet man hier nur selten auf Brot oder im Teig. Vor allem gibt es
       Bio-Burger. Vegane Döner. Vegetarische Maultaschen.
       
       Wenige Kilometer entfernt, am Bahnhof Bad Canstatt, der nach
       Rentner-Highlight klingt, aber nur einen dürftigen Akkordeonspieler zu
       bieten hat, versammeln sich die Abtrünnigen. Die, die keinen Bock auf
       Gesund haben. Kirchentagsbesucher, unschwer an Pfadfinderaufnähern und
       roten Schals zu erkennen, reihen sich zu vielen in die Schlangen vor
       McDonald’s. Schüchtern steuern sie die Leuchtreklamen-Speisekarte an, für
       die es irgendwie kein richtiges Wort gibt. Schweiß rinnt manchen von der
       Stirn, Schuldgefühle mischen sich mit dem Geruch von Fett, Pommes frites
       und Fleischabfall.
       
       Ist er das jetzt, der Verrat? An eigenen Werten, Nächstenliebe, der
       hypergesunden Ausrichtung des Kirchentags? Ein paar 19-Jährige mit
       geröteten Schultern und Sommersprossen setzen Mienen der Reue auf. „Gestern
       haben wir uns noch über die Leute aufgeregt, die bei den normalen Sachen
       essen“, sagt Tabea, die blonden Haare zu einem schnellen Zopf hochgebunden.
       Mit normal meint sie: Nicht auf dem Kirchentag. „Aber wir wollten unbedingt
       ein Eis von McDonald’s.“
       
       Tabea scheint das peinlich zu sein, vielleicht weil sie gern viel richtig
       machen will. Im Ausschnitt ihres Schmetterlingstops baumelt ein Kreuz.
       Mitstreiter Flo hat da weniger Probleme, allerdings auch ein bisschen mehr
       Bauch zu füllen. Das Bio-Eis für 2,50 Euro sei ihm zu teuer gewesen. Toll
       findet er dagegen seinen grünen Ballon vom Kirchentag – und das Geräusch,
       das der macht, wenn Flo mit den Fingern reinkneift. Als sein Handy
       klingelt, singt Taylor Swift „Shake it off“ und Flo sagt: „Hi Mama.“ Und,
       nach einer kurzen Pause: „Wir sitzen bei McDonald’s in irgend so ’nem
       Bahnhof.“ Ein Vorwurf am anderen Ende der Leitung, ein „Ja, ja“ von Flo.
       
       ## „Ich esse hier, um ein Zeichen zu setzen“
       
       Dann ist da noch Daniela, die sich den roten Kirchentagsschal um den Kopf
       geschlungen hat, ihr Gesicht ist gebräunt. Sie möchte etwas klarstellen.
       „Es gibt wirklich tolles Essen auf dem Kirchentag. Wir sind da bisher immer
       fündig geworden.“ Anschließend macht sich die Gruppe auf den Rückweg.
       
       Und sonst? Petra Staß-Fürsattel, die Hitze hat ihr Haar aufgeplustert. Sie
       nutzt die Gelegenheit und wirft sich auf Flos freigewordenen Stuhl. Das
       blaue Schlüsselband der ehrenamtlichen Helfer trägt sie um den Hals, ihre
       Pfadfinder-Patches an einer beigefarbenen Weste. Schaumig-weißes Softeis
       mit Karamellsoße hat sich Petra Staß-Fürsattel bestellt. Cheeseburger oder
       Pommes wären aber eine rote Linie, gibt sie zu verstehen, und dann noch,
       dass sie ja sonst schon so viel Gutes tut. Dem nächsten, der am Tisch der
       Untreuen Platz nimmt, fächert sie auch gleich Luft zu. „Jeden Tag eine gute
       Tat“, sagt sie. Aber gut, das habe sie nun einmal zu oft erwähnt, schließt
       sie und geht.
       
       Zurück bleibt Christian Obermayer, ein Religionslehrer mit Entdeckerhut auf
       dem Kopf. „Das Angebot auf den Fressmeilen ist super“, sagt er und tunkt
       seine Chicken-Nuggets in die Süßsauersoße. „Aber es ist tierisch heiß und
       es gab tierisch lange Schlangen.“ Die Pommes fischt er so vornehm aus der
       Mayonnaise, wie das nur Menschen können, die Fast Food immer nur
       ausnahmsweise essen.
       
       Er muss dann los, ein Hans Kuhn setzt sich in rot-weiß-kariertem Hemd dazu.
       Er sagt: „Ich esse hier, um ein Zeichen zu setzen. Die Grünen nehmen zu
       viel Einfluss auf den Kirchentag, dagegen möchte ich protestieren.“
       
       Schließlich findet auch der Anti-Massentierhaltungs-Flyer mit dem Ferkel
       seinen Weg zu McDonald’s zusammengefaltet in der Hand von Lorelei
       Lente-Schwab. Stumm hat sie Hans Kuhn von der McDonald’s-Schlange aus
       zugehört, jetzt faltet sie den Flyer auseinander. „Die arme Kuh soll da
       nicht umsonst in der Hitze gestanden haben“, sagt sie, mehr zu sich selbst,
       als zu sonst wem. Dann dreht sie sich um und geht wieder aus der Tür,
       zurück dorthin, wo die Welt noch in Ordnung ist.
       
       5 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Voß
       
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