# taz.de -- Kunstaktion gegen Flüchtlingspolitik: Leichen vors Kanzleramt
       
       > Das „Zentrum für politische Schönheit“ will tote Flüchtlinge vor dem
       > Kanzleramt begraben. Auch Merkels Rücktrittsrede hat es vorgeschrieben.
       
 (IMG) Bild: Reste eines Fluchtversuchs: Zaun an der bulgarisch-türkischen Grenze.
       
       BERLIN taz | „Die Toten kommen“ – so heißt die neue Aktion der Berliner
       Menschenrechts- und Aktionskünstlergruppe „[1][Zentrum für Politische
       Schönheit“]. Deutschland, so der Gründer und Aktionskünstler Philipp Ruch,
       ist die Schaltzentrale für die EU-Abschottungspolitik. Berlin mit Kanzlerin
       Angela Merkel und Innenminister Thomas de Mazière seien wesentlich
       verantwortlich für die zigtausend Toten, die bis heute im Mittelmeer
       ertrunken sind.
       
       Sie seien nur gestorben, weil ihnen das reiche Europa, allen voran
       Deutschland, keine Möglichkeit gibt, auf sicherem Weg ein Visum zu
       beantragen. Also „lassen sie sich auf den Irrsinn ein, auf maroden Booten
       sieben Meter hohe Wellen überstehen zu wollen, denn sie haben keine Wahl“,
       so Ruch.
       
       In Berlin sei es einfach, auf das Schließen der Grenzen zu beharren. Denn
       anders als in Italien, Spanien oder Griechenland kommen hier keine Leichen
       an. Das will das Zentrum für Politische Schönheit nun ändern.
       
       Nach eigenen Angaben haben sie auf Sizilien eine Syrerin exhumiert, die im
       März mit ihrem zweijährigen Kind ertrank. Ihre Familie lebt in Berlin. Die
       Frau soll in Absprache mit ihren Angehörigen am Dienstag, den 16.6. um 10
       Uhr, auf dem muslimischen Berliner Friedhof Gatow begraben werden. Zu
       diesem Termin ist auch die Kanzlerin eingeladen und soll dort, nach Wunsch
       der Künstlergruppe, ihren Rücktritt bekanntgeben. Die Rücktrittsrede wurde
       ihr bereits vorgeschrieben und überstellt.
       
       ## Die Toten Europas
       
       Die ganze Woche über sollen in Berlin Begräbnisse von überführten Leichen
       stattfinden. Die Orte, so das Zentrum, werden nur kurzfristig bekannt
       gegeben, denn man rechne mit einem großen Polizeiaufkommen.
       
       In der Mehrheit werden die in den Mittelmeer-Anrainer-Staaten
       angeschwemmten Leichen als „unbekannt“ bestattet, denn das spart
       bürokratischen Aufwand. Das bedeutet auch, dass ihre Angehörigen nicht
       benachrichtigt und also um das Schicksal ihrer Verwandten im Ungewissen
       gelassen werden.
       
       „Wenn es uns gelingt, die Angehörigen ausfindig zu machen, dann können die
       Behörden das auch. Aber sie haben kein Interesse daran. Doch“, und das ist
       Philipp Ruch wichtig, „die eigentlichen Täter sitzen im kommoden Berlin.“
       
       Mithilfe eines „Marsches der Entschlossenen“, angeführt von drei Baggern,
       soll vor dem Kanzleramt ein Friedhof ausgehoben werden – für die
       „Unbekannten Einwanderer“. Das Modell dafür ist bereits [2][als Animation]
       auf der Webseite des Zentrums für politische Schönheit zu sehen. „Die
       Europäische Union braucht viel mehr Friedhöfe für ihre tödliche Politik.
       Fangen wir direkt am Kanzleramt damit an“, heißt es dort. Ursprünglich
       sollte zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus ein "[3][Bürgerforum“] das
       “[4][Band des Bundes“] komplettieren. Das wurde aber nie gebaut.
       
       ## Spiel mit der Realität
       
       In der letzten Aktion des Zentrums für politische Schönheit, „Der erste
       Europäische Mauerfall“, hatte die Gruppe zum 25. Jahrestag des Mauerfalls
       die Mauerkreuze aus dem Regierungsviertel abmontiert und angeblich an die
       europäischen Außengrenzen entführt. Außerdem wurde eine Exkursion einer
       vermeintlichen Theatergruppe an den neu aufgestellten Zaun in Bulgarien
       organisiert, damit dieser aufgeschnitten wird. Aufgrund des massiven
       Polizeiaufgebots musste die Aktion abgebrochen werden. Der Zaun an der
       bulgarisch-türkischen Grenze ist wesentlich dafür verantwortlich, dass noch
       mehr Menschen den tödlichen Weg übers Mittelmeer nehmen müssen.
       
       Das Prinzip dieser Kunst ist das zynische Spiel mit Realität, wobei der
       Zynismus nicht von der Berliner Künstlergruppe ausgeht, sondern die
       Menschenverachtung der Behörden und der politischen Entscheidungsträger
       sowie der wegsehenden Mehrheit spiegelt. Gerade weil für die Zuschauer
       unklar ist, was stimmt und was erfunden wurde, werden tabuisierte Fragen
       wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
       
       In diesem Fall wird gefragt: Was passiert eigentlich mit den Toten an den
       EU-Außengrenzen? Und: Warum wurde diese Frage in Deutschland bislang nicht
       gestellt, sondern in der Regel nur die Zahl der Toten rapportiert, womit
       man sie selbst zur Zahl macht und nicht mehr als Menschen wahrnimmt?
       
       15 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.politicalbeauty.de/
 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch?v=9hXoIm6M_IM
 (DIR) [3] http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerforum_(Berlin)
 (DIR) [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Band_des_Bundes
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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