# taz.de -- Die Wahrheit: Süffisante Prophezeiungen
       
       > O wie peinlich können Erinnerungen sein. Vor allem wenn sie auf die
       > dunkelsten Zeiten der Meinungsfindung verweisen.
       
 (IMG) Bild: Mannheim, eine Stadt zwischen Melancholie und Monochromie.
       
       Er erinnere sich, als sei es gestern gewesen, so Scholz am Telefon, als wir
       „Conan der Barbar“ damals, irgendwann in den Achtzigern, zusammen im
       Fernsehen gesehen hätten, da habe er, Scholz, bereits prophezeit, aus
       diesem Schwarzenegger, da täte mal was werden, ja, er könne sich diesen
       Mann sogar in der Politik vorstellen, das habe er direkt gesagt damals, und
       ich hätte ihn ausgelacht!
       
       Daran könne ich mich, so ich, nun in der Form überhaupt nicht erinnern.
       Aber: Erinnerungen seien ja vom Wesen her ohnehin schon genauso
       unzuverlässig wie Prophezeiungen, am allerunzuverlässigsten aber seien
       Erinnerungen an eigene Vorhersagen. Deshalb behaupteten am Ende immer alle,
       das hätten sie doch gleich gesagt oder: „Wusst ich’s doch.“
       
       Ob, er, Scholz, es nicht auch gewesen sei, der auf der unvergesslichen
       Party bei Petra Klapproth, als dort „La Isla Bonita“ aus den Boxen
       schallte, geäußert habe, jetzt sei es endgültig vorbei mit Madonna, im
       kommenden Jahr sei, ich zitiere, „die Alte weg vom Fenster“.
       
       Das Lied sei, so Scholz, da habe er doch recht, der Beginn ihres
       künstlerischen Niedergangs gewesen, nur zeitlich habe er sich, das müsse er
       zugeben, leicht verschätzt. Leicht. Und ob ich jemals irgendetwas
       vorausgesagt hätte, was dann so ähnlich eingetreten sei. Also, der
       Atomkrieg, den ich für unausweichlich gehalten hätte, habe seines Wissens
       bisher nicht stattgefunden. Ich möge ihn korrigieren, falls er sich irre.
       
       Mein lieber Scholz, warf ich ein, wir hätten doch damals alle stets mit dem
       Schlimmsten gerechnet. Er habe sich damals wegen des Waldsterbens von jedem
       Baum einzeln verabschieden wollen – und zwar mit einer Umarmung. Da stehe
       er bis heute zu, so Scholz, immerhin habe es die deutsche Vokabel
       „Waldsterben“ in den französischen Wortschatz geschafft, ich solle das mal
       nicht runterspielen.
       
       Was meine prophetischen Fähigkeiten anginge, ereiferte ich mich daraufhin,
       habe ich mich seinerzeit beinahe für einen Kursus der Programmiersprache
       Basic angemeldet, weil ich wusste, Computer sind die Zukunft, die können
       wir nicht den BWL-Studenten überlassen.
       
       Apropos Computer, so Scholz, in einem Tonfall, den süffisant zu nennen ein
       Euphemismus wäre. Wie ich bereits richtig gesagt hätte, seien Erinnerungen
       vom Wesen her ungenau, weshalb er meiner Erinnerung an eine meiner
       Voraussagen gern auf die Sprünge helfen würde. Neulich habe er in alten
       Zeitungen geblättert und im Kölner Stadtmagazin StadtRevue einen Artikel
       von mir gefunden.
       
       „Ja, heute wisse ich auch, dass Blumfeld nicht die Zukunft der Popmusik
       sei, sondern Distelmeyer ein überschätzter nerviger Künstlerdarsteller
       ist!“, warf ich ein. Nein, den Artikel meine er nicht, es ginge um einen
       Text zum Thema Internet von Anfang 1996. Er wolle mich gern zitieren, so
       Scholz, Ausgabe Januar, erschienen kurz vor Weihnachten 1995: „Nun wird es
       dem Internet wie so vielen Weihnachtsgeschenken gehen, nach drei Wochen
       steht es in der Ecke.“
       
       Ich hängte ein. Und lachte mich heimlich aus.
       
       14 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Gottschalk
       
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