# taz.de -- Neues Punk-Album der Desaparecidos: Pathetische Subversion
       
       > Indie-Posterboy Conor Oberst und seine Band Desaparecidos veröffentlichen
       > „Payola“: Es ist politisch bewegter Emo-Punk.
       
 (IMG) Bild: Die Desaparecidos mit Bandleader Conor Oberst ganz rechts.
       
       Conor Oberst lebt noch. Zurzeit nicht als Indiefolk-Künstler unter seinem
       Signet Bright Eyes, sondern als Punkrockzombie namens Desaparecidos. Das
       Album Nummer zwei, „Payola“, ist nun erschienen.
       
       „Read Music/Speak Spanish“ hieß 2002 das Debüt. Damals legten Oberst und
       seine vier Twens ihre Säurefinger in die Wunde des Kapitalismus.
       Insbesondere der Song „Man And Wife“ projizierte das Negativbild einer
       Liebesbeziehung an die Wand, die in Suburbia von den Mühlsteinen des
       Kreditsystems zermalmt wird. Die Musik glich einem klaustrophobischen
       Wutbrand, der sich am Aufwachsen in der reißbrettartigen Isolation des
       Mittleren Westens entzündet. Damals blieb das Projekt von Oberst, Landon
       Hedges, Matt Baum, Denver Dalley und Ian McElroy relativ unbeachtet.
       
       Heute hingegen führt ein Internetversandhändler den Nachfolger „Payola“ als
       Neuerscheinung Nr. 1 in der Kategorie Punk. Außerdem sind Desaparecidos
       inzwischen bei der Punk-Institution Epitaph unter Vertrag. Das Label wirbt
       mit einem „roheren, lauteren und wütenderen Album“ – jener dreisten
       Behauptung also, die man bei Comebackalben seit je aus der Schublade holt.
       
       Nicht lauter und roher klingen Desaparecidos auf „Payola“, sie erzeugen nun
       statt eines ungestümen Lo-Fi-Noise bieder-stromlinienförmigen Emopunk. Man
       denkt sofort an Weezer und Cursive. Tatsächlich singt Cursive-Frontmann und
       Oberst-Intimus Tim Kasher auch bei zwei Stücken mit. Die Thrashgitarren
       wurden arg geglättet und das Schlagzeug klingt auch nicht mehr so matschig,
       als sei es mit dem Handy aufgezeichnet wurden. Auch Obersts Stimme
       überschlägt sich nicht mehr fortlaufend. Inhaltlich hingegen bleiben
       Desaparecidos ihrem politischen Anliegen treu. Das Quintett aus Nebraska
       holt zum Rundumschlag gegen US-Politik aus.
       
       ## Simplifizierung und Protest-Pathos
       
       In den Texten tauchen immer wieder die Hacker-Bewegung Anonymous und
       Proteste an der Wall Street auf. Alltagsrassismus wird angeprangert und die
       Konsequenzen aus der allgegenwärtigen Internetüberwachung werden besungen.
       Der tollwütige Song „Slacktivist“ karikiert Mausklick-Revoluzzer, die
       glauben, Weltprobleme mit dem „Gefällt mir“-Knopf in sozialen Netzwerken zu
       lösen. „Radicalized“ wiederum beschreibt den Wandel eines friedlichen
       Muslims zum Fundamentalisten.
       
       Allerdings sorgt die ständige Simplifizierung von komplexen Sachverhalten
       für einen faden Beigeschmack. Einer attraktiven chilenischen Politikerin
       wortwörtlich den Regenschirm halten zu wollen (“Te Amo Camila Vallejo“), um
       sich ein paar Songs später an der Burka als Unterdrückungsinstrument zu
       reiben (“10 Steps Behind“), hält trotz gut gemeinter Absichten dann doch
       nur einen männlichen Blick auf die Frau bereit.
       
       Immerhin, je zynischer die Songs ausfallen, desto besser klingen sie auch.
       So wie Connor Oberst in den Nullerjahren mit einem Desaparecidos-Album
       seine Folklaufbahn sabotierte, ist er sich auch heute seiner
       Steinewerferrolle im Kulturindustrie-Glashaus bewusst. „Search The
       Searches“ entblößt das Paradigma von Freiheit und Sicherheit, das durch
       noch mehr Überwachung bewahrt werden soll. „Out at the airport / Don’t like
       my passport / ,Let’s take that laptop out. Is this your husband?‘“ Auch das
       US-Gesundheitswesen (“Ralphy’s Cut“) wird thematisiert, die brutale
       Verdrängung von Native Americans (“City On The Hill“) und die eigene
       Verstrickung in kommerzielle Zusammenhänge („Backsell“).
       
       Desaparecidos gelingt also mit „Payola“ die Treue zur Subversion –
       zumindest am Mainstream gemessen. Sie verstehen sich weiterhin als Stimme
       des Protests gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit. Trotz erhöhten
       Zynismusgehalts durchweht diesmal auch Hoffnung die Songs. Anlass dazu
       geben aus Sicht der Band die sozialen Bewegungen der Nullerjahre, WikiLeaks
       und Edward Snowden.
       
       Der beklemmend-existenzialistische Defätismus von „Read Music/Speak
       Spanish“ findet eine Teilablösung in den letzten Versen von „Payola“. Darin
       proklamiert ein selbstbewusster Oberst: „You can’t stop us / We’re
       anonymous!“ Diese Mitsinghymne trieft vor Protestpathos. Die leicht
       verdauliche Emopunkproduktion sorgt dann dafür, dass Desaparecidos’Sturm
       auf die Hearts and Minds 2015 erfolgreich ausfallen dürfte.
       
       23 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Manthe
       
       ## TAGS
       
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