# taz.de -- Debatte Repression in Aserbaidschan: Schockierender Ölpreis
       
       > Das Land erlebt eine beispiellose Welle der Repression. Das Regime fühlt
       > sich bedroht. Doch die Krise könnte auch eine Chance sein.
       
 (IMG) Bild: Das Regime steht auf Pomp: Abschlusszeremonie zum Ende der Europa-Spiele Ende Juni in Baku
       
       Zwei Mal war ich in Aserbaidschan im Gefängnis inhaftiert, nur weil ich die
       Regierung offen kritisiert hattee. Mein Schwager, Nizami Aghabayov, wurde
       auch verhaftet. Er muss möglicherweise bis zu 12 Jahren in Haft, nur weil
       ich in Berlin die unabhängige online-Plattform „Meydan TV“ gegründet habe,
       um über die Situation in Aserbaidschan zu berichten. Aber die letzte Nummer
       von Präsident Ilham Alijew hat sogar mich schockiert. 23 meiner Verwandten
       wurden gezwungen, an Alijew einen Brief zu schreiben, in dem sie sich von
       mir distanzieren. So etwas hat es in Aserbaidschan seit Stalin nicht mehr
       gegeben.
       
       Warum unter diesen Bedingungen nicht einfach schweigen? Wozu alle diese
       Opfer und Risiken? Weil es unmöglich ist, diese Erniedrigungen durch den
       Staat und durch diese kriminelle Regierung zu akzeptieren. Auch wenn dieser
       Staat bereit ist, seine Gegner zu töten, zu verhaften und zu foltern.
       
       Derzeit gibt es an die 100 politische Gefangenen in Aserbaidschan. Die
       führenden Menschenrechtler, Journalisten und Politiker sitzen im Knast. Die
       Geschichte von Leyla und Arif Yunus, bei der die Regierung die ganze
       Familie der führenden Menschrechtler pauschal ins Gefängnis geworfen hat,
       zeigt auch womit wir es in Aserbaidschan zu tun haben. Leyla und Arif Yunuz
       sind alte und kranke Leute, sie werden mehrere Jahre im Gefängnis mit
       Sicherheit nicht überleben. Deswegen können wir über eine de facto Rückkehr
       der Todesstrafe reden.
       
       Die Frage ist, warum findet diese neue Repressionswelle gerade jetzt statt?
       Präsident Alijew fühlt sich nicht mehr so sicher an der Macht wie früher.
       Alijew ist 2003 an die Macht gekommen, zu einer Zeit des hohen Ölpreises
       und der steigenden Ölexporte. Und jetzt kommt mit niedrigen Ölpreisen und
       sinkender Ölproduktion der erste richtige Test für seine autoritäre
       Infrastruktur.
       
       Der Regime in Aserbaidschan fußt auf einem einem Klansystem. Weniger
       Öleinahmen bedeuten in diesem Systen weniger Loyalität, mehr
       Arbeitslosigkeit und programmierte sozialpolitische Spannungen. Das zeigt
       sich gegenwärtig in der Stadt Baku wie in den gesamten Regionen des Landes.
       
       ## Die Währung verfällt
       
       Die heftigen landesweiten Proteste finden aus verschiedenen Gründen statt,
       aber der strukturelle Grund ist die sich verschlechternde soziale und
       wirtschaftliche Lage der Bevölkerung, die wachsende Korruption und der
       Mangel an Vertrauen in die Regierung, Polizei oder in die vom Präsidialamt
       gelenkten Gerichte. Die Regierung sah sich angesichts der Proteste
       gezwungen zusätzliche Polizeieinheiten zu verlegen, um die Proteste im Keim
       zu ersticken. Aber wie lange kann sie das tun in Zeiten der niedrigen
       Ölpreise?
       
       Die fallenden Ölpreise könnten so gesehen in dieser Realität zu wichtigen
       Reformen und zu grundlegenden politischen Änderungen führen. Aserbaidschan
       ist eines der Länder, in dem der politisches Status Quo unter den Druck der
       neuen wirtschaftlichen Bedingungen geraten könnte.
       
       Das Staatsbudget hängt zu 70 Prozent von Kohlenwasserstoffen ab. 95 Prozent
       der Exporteinnahmen werden durch den Verkauf der Energieressourcen auf dem
       Weltmarkt erzielt. Bei der Budgetplannung wurden die Ölpreise auf dem
       Niveau von 90 US-Dollar pro Barrel kalkuliert. Jetzt ist der Ölpreis auf
       dem Weltmarkt aber unter 50 Dollar gesunken. Das hat schon zur Abwertung
       Nationalwährung Manat um rund 34 Prozent am Anfang des Jahres geführt.
       Viele andere Preise sind als Ergebnis dieser Entwicklungen gestiegen.
       Ähnliche Prozesse finden auch in Russland und Kasachstan statt. Experten
       sind der Meinung, dass die Ölpreise noch über längere Zeit auf diesem
       niedrigem Niveau verbleiben können. Das wird den Autokraten in der Region
       nicht helfen, im Gegenteil.
       
       Die EU und die europäischen Staaten haben bis heute versucht, das Regime
       von Alijew zu tolerieren und zu unterstützen. Das führt so weit, dass
       abstrakte Themen wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtssaat und
       Pressefreiheit bei Präsident Alijew gar nicht erst angesprochen werden.
       Diskutiert wird statt dessen nur über Öl, Gas und deren Lieferungen.
       
       Einige europäische Staaten treten nun zurück, sie stellen die Unterstützung
       ihrer früherer Partner aus der Zivilgesellschaft ein, wenn Alijew sie
       verhaften lässt und die Nichtregierungsorganisationen in Baku schließt
       (2014 wurden die letzten unabhängigen NGOs dicht gemacht). Das ist eine
       gefährliche Politik, vor allem in den Zeiten der kommenden Krise.
       
       ## Europa ist gefragt
       
       Es gibt bis heute Dissidenten, kleine politische Gruppen und unabhängige
       Medien, die in kritischen Zeiten die friedliche, demokratische und säkulare
       Transformation steuern könnten. Wenn es in den nächsten Monaten und Jahren
       Präsident Alijew nicht gelingt, diese Gruppen vollkommen zu zerschlagen,
       dann ist damit zu rechnen, dass Aserbaidschan im Stande sein wird, die
       kommende Krise auch als Chance zu begreifen und sich darüber auf eine neue
       Stufe der Entwicklung zu erheben.
       
       Aber dafür braucht es internationale demokratische Akteure, vor allem
       Staaten, die mehr Verantwortung übernehmen, und die die Zivilgesellschaft
       in Aserbaidschan wie im ganzen postsowjetischen Raum unterstützen, und die
       nicht nur nackte Realpolitik betreiben.
       
       Es ist wichtig das Deutschland und die anderen europäischen Staaten vor
       allem die unabhängigen Medien in Aserbaidschan und in der Region direkt und
       offen unterstützen. Verhängnisvoll wären Rückschritte bei der Demokratie,
       genauso wie die Toleranz der Diktaturen oder eine Politik des Appeasements.
       Aserbaidschan braucht - wie Russland und die gesamte Region - eine Art
       Marshallplan zur Unterstützung der unabhängigen Medien.
       
       Die Realität ist leider eine andere. Als ich 2013 nach Berlin kam, hat mir
       Christian Mihr, Direktor bei „Reporter Ohne Grenzen“, gesagt „In
       Deutschland wird Dich keiner verstehen und unterstützen.” Leider hatte er
       zu einem großen Teil Recht behalten. So heißt es in einem Brief an Meydan
       TV ausdrücklich: „Ihr Projekt entspricht nicht der Menschenrechtspolitik
       der Bundesregierung in Aserbaidschan”.
       
       30 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emin Milli
       
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