# taz.de -- Dramatisches Kritikervotum: Die Verunsicherung des Jahres
       
       > Soviel Zustimmung wie „Die lächerliche Finsternis“ erfuhr noch kein
       > Theatertext in der jährlichen Umfrage von „Theater heute“.
       
 (IMG) Bild: Stefanie Reinsperger wurde für ihre Rolle als Pirat aus Somali in Dusan David Parizeks Inszenierung der „Lächerlichen Finsternis“ zur besten Schauspielerin gewählt.
       
       Das, was man nicht bewältigen kann, wird gerne verdrängt. Aber plötzlich
       ist es so sichtbar, dass abschalten nicht mehr möglich ist. Ein LKW voller
       Toter in Österreich, versunkene Schiffe im Mittelmeer, täglich mehren sich
       die Tragödien der Menschen, die nach Europa wollen.
       
       Der Text, der jetzt in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute
       zum Stück des Jahres gewählt wurde, ist zwar nicht Elfriede Jelineks „Die
       Schutzbefohlenen“, der sich auf vielfältige Weise mit dem Umgang mit denen
       auseinandersetzt, die hier einen besseren Ort zum Leben suchen, sondern
       „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz. Aber auch da steht das
       Nicht-Bewältigte im Vordergrund, die kaschierte Fremdenfeindlichkeit, die
       Subtexte bei Hilfsaktionen und militärischen Einsätzen im Ausland – im
       Stück ein fiktionalisiertes Afghanistan, an dem deutsche Soldaten kläglich
       scheitern.
       
       Sich in einem Land zu bewegen, dass man nicht versteht; auf den eigenen
       Wahnsinn in der Begegnung mit etwas Unbekannten zu treffen – das ist der
       unsichere Grund, über den das Stück von Wolfram Lotz mit fintenreichen
       Sätzen lockt, von denen man oft nicht genau weiß, wie sie denn gemeint
       sind.
       
       ## Kettenreaktion
       
       27 von 42 Kritikern haben dieses Drama höchster Verunsicherung gewählt,
       dann gleich noch den Regisseur der Wiener Uraufführung, Dusan David Parizek
       zum stärksten Regisseur und die Schauspielerin Stefanie Reinsperger, die
       als Pirat aus Somali die Aufführung mit einem furiosen Solo eröffnet,
       trickreich und beherzt über alle Fallen der identitären Repräsentation
       hinwegspringend, zur besten Schauspielerin.
       
       Schließlich hat auch das Wiener Burgtheater von diesem Faszinosum
       profitiert, mit 6 Stimmen zum Theater des Jahres gewählt. Das ist schon
       deshalb erstaunlich, weil das Burgtheater letztes Jahr, von Finanzmiseren
       und der intransparenten Führung des Intendanten Matthias Hartmann betroffen
       noch als Ärgernis des Jahres galt. Die Anerkennung würdigt nun, dass die
       neue Intendantin Karin Bergmann nicht nur Schulden abgebaut hat, sondern
       auch Aufsehen erregende Inszenierungen auf den Weg brachte.
       
       42 Kritiker, das ist statistisch gesehen eine geringe Größe. Aber auch
       schon vor der Umfrage erhielt „Die lächerliche Finsternis“ von Lotz und
       Parizek auf dem Theatertreffen in Berlin und bei den Mülheimer Theatertagen
       große Anerkennung.
       
       Sicher auch, weil die Inszenierung dort, wo bei der Textlektüre mehr
       Fragezeichen als Verständnis aufblitzen, das Flattern der Nerven noch
       weiter vorantreibt und das dumpfe Lauern der Erkenntnis, dass auf
       vergangene Fehler nur noch mehr Falschheiten in der Gegenwart folgen, sich
       immer ungemütlicher abzeichnet. Es ist ein Drama über das
       Nicht-weiter-wissen. Mit der möglicherweise minimalen Hoffnung, dass ein
       Eingeständnis des Versagens noch etwas bewegen kann.
       
       28 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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