# taz.de -- Lateinamerikanische Kunst in Wolfsburg: Realitäten verhandeln
       
       > Unter dem Titel „Dark Mirror“ zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg Kunstwerke
       > aus der Daros Latinamerica Collection.
       
 (IMG) Bild: Susuki, Andrea Polpaico, Talca, aus der Serie Adamsapfel, 1987, Silbergelantineabzug auf Fotopapier.
       
       „Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge.“ Im schwach
       beleuchteten Ausstellungsraum des Wolfsburger Kunstmuseums wärmt die
       aufglühende Text-Installation von Gonzalo Diaz (*1947) den Besuchern
       überraschend den Rücken. Der chilenische Konzeptkünstler verwendete den
       Aphorismus des Romantikers Novalis für seine aus Heizdrähten gefertigte
       Arbeit „Al Calor del Pensamiento“ (Bei der Glut des Denkens, 1999).
       
       Gemeinsam mit 40 mittel- und lateinamerikanischen Künstlerinnen und
       Künstlern aus der Daros Latinamerica Collection präsentiert das Kunstmuseum
       Wolfsburg den Documenta-Teilnehmer von 2007 in der Gruppenausstellung „Dark
       Mirror. Lateinamerikanische Kunst seit 1968“.
       
       Dafür wählte das Museum aus den Beständen der privaten Schweizer Sammlung
       175 Werke aus Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Kolumbien, Kuba,
       Mexiko, Panama, Puerto Rico und Uruguay. In Zeiten knapper Kassen ist dies
       nicht nur für die Wolfsburger Institution ein willkommenes Arrangement, um
       kostengünstig internationale Kunst zeigen zu können.
       
       Denn Ralf Beil, der neue Direktor des Kunstmuseums, betonte, dass die in
       Wolfsburg ausgestellte Kunst globaler werden müsse. „Dark Mirror“, der
       Titel der Ausstellung, nehme Bezug auf die von Gewalt geprägte Geschichte
       und Gegenwart des Kontinents als Thema zeitgenössischer Kunst aus
       Lateinamerika, reflektiere gleichzeitig aber auch den vermittelten Blick
       des Betrachters.
       
       Erst kürzlich hatte die Ankündigung der Zürcher Sammlung für Verwunderung
       gesorgt, sie werde zum Ende des Jahres die erst 2013 eröffnete Kunsthalle
       „Casa Daros“, ihren Standort in Rio de Janeiro, schließen. Neben der
       US-Colección Patricia Phelps de Cisneros zählt auch die Schweizer Daros
       Latinamerica weltweit zu den renommierten Sammlungen für zeitgenössische
       Kunst aus Lateinamerika und zur umfangreichsten in Europa.
       
       In Wolfsburg wählten die Kuratoren Ralf Beil und Holger Broeker derweil
       mehrheitlich Installationen, Objekte, Fotografien und Videos aus, die
       inhaltlich die gesellschaftlichen Realitäten des lateinamerikanischen
       Kontinents ab 1968 verhandeln – so unterschiedlich die Verhältnisse bei
       genauerer Betrachtung auch sein mögen.
       
       Die Idee einer lateinamerikanischen Kunst entstand zunächst außerhalb
       Lateinamerikas in Zeiten des Kalten Krieges und als US-Politik der „Guten
       Nachbarschaft“ in den 1950er Jahren.
       
       ## Bisher kaum in Deutschland ausgestellt
       
       Während Kunstwerke von Alfredo Jaar, Guillermo Kuitca, Jorge Macchi oder
       Vik Muniz bereits weltweit zirkulieren, bietet „Dark Mirror“ auch die
       seltene Gelegenheit Künstlerinnen und Künstler kennenzulernen, deren
       Arbeiten bisher kaum in Deutschland ausgestellt waren, wie Donna Conlon
       (*1966) aus Panama, René Francisco (* 1960) aus Kuba oder Victor Grippo
       (1936–2002) aus Argentinien.
       
       Gerne würde man auch von ihnen mehr zu sehen bekommen, wie von Guillermo
       Kuitica. Dessen großformatige Matratzenlandkarte „Afghanistan“ (1990)
       rahmen einige seiner Skizzen und Grundrisszeichnungen aus dem Bestand der
       Schweizer Sammlung.
       
       Die 33 Exponate von Luis Camnitzer bilden da eine Ausnahme. Dem 1937 in
       Lübeck geborenen uruguayischen „Pionier der Konzept- und Objektkunst“ ist
       ein eigener Raum gewidmet. Tatsächlich nimmt der in den USA lebende
       gesellschaftskritische Künstler innerhalb der lateinamerikanischen
       Konzeptkunst historisch eine Schlüsselrolle ein.
       
       ## Die bestehenden Verhältnisse hinterfragen
       
       Seine Objekte und Installationen aus Alltagsfundstücken, Textstücken und
       Druckgrafiken fordern das Publikum die bestehenden Verhältnisse zu
       hinterfragen. Camnitzers Bedeutung und sein Einfluss auf andere
       künstlerische Szenen hätte kuratorisch in der Ausstellung noch deutlicher
       werden können.
       
       Zahlreiche Beiträge von „Dark Mirror“ spielen bewusst mit der bunten und
       plakativen Ästhetik US-amerikanischer Pop-Art, die sie neu interpretieren.
       Zu ihren beeindruckendsten Beiträgen zählt jedoch „La manzana de Adán“
       (Adamsapfel) – eine kleinformatige, schwarz-weiße Serie, die 1987 noch
       während der Militärdiktatur Transvestiten aus der Prostituiertenszene
       Santiagos porträtierte. Die Fotografin Paz Errázuriz ( geboren 1944)
       richtet in ihren zurückhaltenden Aufnahmen einen empfindsamen Blick auf ein
       bis heute ignoriertes Chile der Marginalität und der sexuellen Differenz.
       
       Allerdings hält die narrative Ausrichtung der Lateinamerika-Ausstellung
       auch einige Fallstricke bereit. Im Themen-Raum „Machismo, Marianismo und
       die Suche nach Identität“ gerät die Projektion des Videos „La Piñata“
       (2003) der mexikanischen Künstlerin Teresa Serrano, in deren Inszenierung
       ein Mann eine Piñata aus Pappmaché und in Frauengestalt zerschlägt zur
       klischeehaften Illustration der Frauenmorde in Ciudad Juárez und eines
       Teils der mexikanischen Wirklichkeit.
       
       Doch glücklicherweise bietet der großzügig angelegte Ausstellungsrundgang
       eine facettenreiche, wenn auch nicht repräsentative Auswahl
       zeitgenössischer Kunst aus Lateinamerika, in der wir mehr finden als „immer
       nur Dinge“.
       
       10 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva-Christina Meier
       
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