# taz.de -- Raubkunst aus der Nazizeit: Sammleroase Schweiz
       
       > Das Kunsthaus Zürich will in einem neuen Anbau Werke aus der Stiftung
       > Bührle zeigen. Weil viele als Raubkunst gelten müssten, ist das
       > umstritten.
       
 (IMG) Bild: Emil Bührle (r) bei einer Waffendemonstration im schweizerischen Walenstadt.
       
       Als hätten sich die Schweizer Eliten in den vergangenen Jahrzehnten
       politisch, rechtlich, moralisch nicht genug ins sumpfige Abseits
       manövriert, spielt sich derzeit auf juristischer Ebene eine Angelegenheit
       ab, die diesen Eindruck verstärkt. Diesmal geht es um Raubkunst. Und die
       Frage, wie man in der Schweiz zwischen Raubgut und Fluchtgut bei
       Kunstwerken differenzieren kann.
       
       Den Hintergrund für diese fragwürdige Unterscheidung bildet das Projekt des
       Kunsthauses Zürich, das einen 155 Millionen Franken teuren Anbau des
       Stararchitekten David Chipperfield bauen lassen möchte, um ab 2020 rund 190
       Werke der „Sammlung Stiftung Bührle“ auszustellen. Diese Sammlung ist
       hochumstritten: Emil Georg Bührle, ein Schweizer Industrieller deutscher
       Herkunft, hat während des Zweiten Weltkriegs erwiesenermaßen Kunstwerke von
       Flüchtlingen angekauft, die durch diese Notverkäufe ihr Leben retteten. In
       13 Fällen ordnete das Gericht nach dem Krieg die Rückgabe der Werke an –
       neun kaufte er, nun legal, zurück.
       
       Für den Anbau des Kunsthauses und das Zeigen der Sammlung haben Zürcher
       Bürgerinnen und Bürger einer Subvention von 88 Millionen Franken
       zugestimmt. Die Details des Vertrags zwischen der „Sammlung Stiftung
       Bührle“ und der Stadt Zürich sind allerdings geheim. Bekannt ist nur, dass
       der Vertrag für die Leihgaben bis 2034 unkündbar ist.
       
       Die Schweizer Rechtsauffassung sieht eine Besonderheit vor: Bei
       Kunstwerken, die aus Not „freiwillig“ verkauft wurden, würde es sich
       demnach um „Fluchtgut“ handeln– im Unterschied zu eindeutigem Raubgut, das
       den Besitzern unter dubiosen Umständen mit rechtswidrigen Methoden wie der
       Fluchtgelderpressung oder mittels Sondergesetzen gegen jüdische
       Staatsbürger geraubt wurde.
       
       ## Großkunde Nazi-Deutschland
       
       Einen „fairen und gerechten“ Umgang bis hin zu freiwilliger Rückgabe sehen
       das Washingtoner und das Theresienstädter Abkommen von 2008 und 2009 nur
       für „Nazi confiscated art“ vor. Daraus schließen nun Schweizer Juristen und
       Politiker, dass Notverkäufe von entrechteten Flüchtenden nicht unter
       „Raub“- sondern „nur“ unter „Fluchtgut“ fallen – denn die Notverkäufe
       hätten in der Schweiz stattgefunden, also unter rechtsstaatlichen
       Rahmenbedingungen. Sofern ein Käufer zwischen 1933 und 1945 gutgläubig
       einen Kaufvertrag abgeschlossen hat, sind demnach Entschädigung oder gar
       Rückgabe ausgeschlossen.
       
       Das von Thomas Buomberger und Guido Magnaguagno herausgegebene „Schwarzbuch
       Bührle. Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?“ soll nun eine Debatte über
       diese juristisch korrekte, aber politisch-moralisch anfechtbare
       Rechtsauffassung auslösen.
       
       Darin wird zunächst die Biografie Bührles geschildert: 1890 in Pforzheim
       geboren, studierte Bührle Philosophie und Kunstgeschichte. Er war Offizier
       der kaiserlichen Armee im Ersten Weltkrieg, schloss sich 1919 dem Freicorps
       des Infanteriegenerals Dieter Hermann von Roeder an und heiratete 1920 die
       Bankierstochter Charlotte Schalk. Er arbeitete in der Magdeburger
       Werkzeugmaschinenfabrik, die 1923 die in einem Stadtteil von Zürich
       gelegene Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon kaufte.
       
       1927 erwarb Bührle die Oerlikon-Fabrik mit dem Geld seines Schwiegervaters
       und wurde Mehrheitsaktionär. Das Erfolgsprodukt der Firma war die
       20-Millimeter-Flugabwehrkanone („Becker-Kanone“), die die Schweizer Fabrik
       in 24 Länder exportierte. Ein Großkunde war Nazi-Deutschland, das Waffen
       für 300 Millionen Franken kaufte. Bührle wurde 1937 in der Schweiz, die
       gerade Tausende von jüdischen und anderen Flüchtlingen an der Grenze
       abwies, eingebürgert.
       
       ## Krisensichere Meisterwerke
       
       Bührle sicherte sein Privatvermögen wie das der Firma durch Ankäufe von
       teuren Kunstwerken, die ihm von Hermann Goerings Kunstexperten Andreas
       Hofer und teilweise vom Luzerner Kunsthändler Fischer, der in Deutschland
       konfiszierte „entartete Kunst“ in der Schweiz verwertete, vermittelt
       wurden. Das Schweizer Bundesgericht bescheinigte Bührle 1948/49
       Gutgläubigkeit beim Notverkauf von Kunstwerken durch Flüchtlinge.
       
       Das Schauspielhaus Zürich, das während des Krieges vielen linken und
       jüdischen Emigranten Zuflucht gewährte, lehnte 1941 eine Spende Bührles von
       4 Millionen Franken ab wegen des „Odiums des Blutgeldes“ (Charles
       Linsmayer), das der Spende anhafte. Auch andere Projekte des Sponsors
       Bührle scheiterten, weil Kritiker wie der Journalist Hans Schwarz am
       Bührles Geld den „Leichengeruch der Massengräber“ witterten. Bei Kriegsende
       war Bührle dank des blühenden Waffenhandels der reichste Schweizer; sein
       Vermögen legte er krisensicher vor allem in impressionistische Meisterwerke
       an. Er profilierte sich als Mäzen.
       
       Bereits 1953 plante das Kunsthaus Zürich einen Erweiterungsbau, in dem
       Bilder aus der Sammlung Bührle ausgestellt werden sollten. Aus der
       ursprünglichen Absicht des „edlen Sammlers“, dem Kunsthaus die Sammlung zu
       schenken, wurde nichts, weil Bührle kurz vor der Einweihung des Trakts 1956
       starb. Buomberger ging auch der Legende vom „edlen Spender“ Bührle nach und
       nennt ihn einen „Steueroptimierer“. Er fand heraus, dass der Industrielle
       nicht nur sehr genau auf die steuerliche Abzugsfähigkeit seiner Wohltaten
       bedacht war, sondern für 1945 einen Verlust von 2,7 Millionen Franken
       geltend machte, obwohl die Steuerbehörden von 53,1 Millionen Einkommen
       ausgingen.
       
       ## Akten wurden vernichtet
       
       Um einen „Rabatt“ zu erzielen, drohte er dem Kanton Zürich erfolgreich, den
       Firmensitz in eine innerschweizerische Steueroase zu verlegen. 1956
       verfügte Bührle über ein Vermögen von 188 Millionen Franken. Bis heute
       betreibt das Kunsthaus Zürich die historische Forschung nach der
       tatsächlichen Herkunft der Bilder Bührles unzureichend. Bei 20 Bildern der
       Sammlung gibt es offene Fragen. Bei zwölf Werken handelt es sich um
       „Fluchtgut“ nach Schweizer Rechtsauffassung, wobei klare Kriterien für die
       Abgrenzung von „Raubgut“ weiterhin nach wie vor nicht bestehen. Bei Claude
       Monets „Mohnfeld bei Vétheuil“ handelt es sich offensichtlich um einen
       Notverkauf, der formalrechtlich korrekt abgewickelt wurde, aber
       politisch-moralische Fragen genauso offen lässt wie die Herkunft von Manets
       „La Sultane“.
       
       Magnaguagno belegt, dass Bührle während des Krieges mehrfach in Paris war
       und dort Bilder erwarb, die mit dem Kürzel „ERR“ gekennzeichnet waren. Vor
       Gericht behauptete Bührle, das Kürzel verweise auf den berühmten
       Kunsthändler Paul Rosenberg, „der früh von Notverkäufen vieler jüdischer
       Familien“ (Magnaguagno) profitierte und bürge für einen legalen Kauf. ERR
       steht jedoch auch für „Einsatzstab Reichsführer Rosenberg“. Der fanatische
       Nationalsozialist, im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilte Alfred
       Rosenberg plünderte im Auftrag Hitlers Museen, Privatsammlungen und
       Bibliotheken in ganz Europa.
       
       Die Autoren des „Schwarzbuchs“ verlangen die Offenlegung des Vertrags des
       Kunsthauses mit der „Sammlung Stiftung Bührle“ und eine völlige Transparenz
       der Herkunft der Bilder, die in der öffentlichen Sammlung ausgestellt
       werden wie auch jener Werke, die in den Privatbesitz der Bührle-Erben
       transferiert wurden, um Nachforschungen zu erschweren. Das Archiv der
       Stiftung ist zwar für 632 Werke digitalisiert und öffentlich zugänglich,
       wird aber von Experten als lückenhaft eingestuft. In zugänglichen
       Dokumenten ist häufig von „regulären Verkäufen in schwieriger Zeit“ die
       Rede.
       
       Im Jahr 2001 erhielt eine nationale Untersuchungskommission zum Thema
       Raubkunst, von der „Sammlung Stiftung Bührle“ die Auskunft, „Akten, wie zum
       Beispiel Rechnungen … wurden vernichtet“. Zum Archiv erhielt die
       Aufklärungskommission keinen Zutritt. 2010 präsentierte das Kunsthaus
       jedoch Dokumente aus dem Archiv, die neun Jahre zuvor als „vernichtet“
       galten.
       
       14 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Walther
       
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