# taz.de -- Kunstsammlung E.G.Bührle: Abweichungen vom Manuskript
       
       > Eine Studie über die umstrittene Sammlung E. G. Bührle im Kunsthaus
       > Zürich wurde abgeändert – und das wurde zu einem Historikerstreit
       > aufgebauscht.
       
 (IMG) Bild: Im Kunsthaus Zürich wird die Sammlung Emil Bührle ausgestellt
       
       „Gebrannte Kinder scheuen das Feuer“, heißt es sprichwörtlich. Zumindest
       diese Lektion haben die Schweizer Behörden in Zürich für den Umgang mit
       Kunstmäzenen gelernt. Vor 20 Jahren stieß der Erbe und [1][Kunstsammler
       Friedrich Christian Flick] mit seinem Plan, mit dem Geld einer zur
       Steuerersparnis auf den britischen Kanalinseln angesiedelten
       Briefkastenfirma in Zürich ein Museum für seine 2.500 Kunstwerke zu bauen,
       auf Widerstand der städtischen und kantonalen Behörden und auf entschiedene
       Kritik von Künstlern, Intellektuellen und Medien.l
       
       Mit dem Geld und dem Namen des Enkels eines in Nürnberg verurteilten
       Kriegsverbrechers, der sich damals weigerte, in einen Entschädigungsfonds
       für Zwangsarbeiter:innen einzuzahlen, wollte man in Zürich nichts zu tun
       haben. Die Einsicht, dass jedes Produkt von Kultur, Kunst und Zivilisation
       Spuren seiner Entstehungs- und Herkunftsbedingungen enthält, verschwindet
       nicht.
       
       Momentan lassen Stadt und Kanton Zürich einen vom Stararchitekten David
       Chipperfield entworfenen Erweiterungsbau des Kunsthauses errichten, der
       über 200 Millionen Franken kosten wird. Hier soll auch die
       [2][Kunstsammlung des Zürcher Waffenfabrikanten und Mäzens Emil Georg
       Bührle (1890–1956) ausgestellt werden.] Ein Projekt, das 1968 scheiterte,
       weil der illegale Waffenexport nach Südafrika und Nigeria das Land
       erschütterte.
       
       Die Person Bührles und seine Kunstsammlung, die zwischen 1936 und 1956 – im
       Schatten der illegalen Aufrüstung der deutschen Reichswehr, des Zweiten
       Weltkriegs, des Koreakriegs und des Kalten Kriegs – für 36 Millionen
       Franken (heutiger Schätzwert: rund 3 Milliarden) zusammengekauft wurde, war
       schon oft Gegenstand heftiger Debatten. [3][Die Herkunft der Werke und die
       Umstände ihres Kaufs/Verkaufs sind teilweise nicht restlos geklärt.] Die
       Person des „Opportunisten und Kriegsgewinnlers“ Bührle (Jakob Tanner) ist
       politisch und moralisch – gelinde gesagt – umstritten.
       
       Die Zürcher Behörden waren deshalb gut beraten, einen Auftrag für ein
       Gutachten über die politisch belastete Kunstsammlung und den Sammler Bührle
       erstellen zu lassen. Im August 2017 erhielt der Zürcher Historiker
       Professor Matthieu Leimgruber den Auftrag, die „Voraussetzung und
       Entstehung der Sammlung E. G. Bührle“ im historischen Zusammenhang zu
       begutachten. Und „ausgehend vom Sammler und Unternehmer Emil Bührle (…) zu
       untersuchen und dazustellen, welche Verbindungen, Interessenkonvergenzen
       und Interessenkonflikte zwischen Wirtschaft, Politik und Kunstmarkt vor,
       während und nach dem Zweiten Weltkrieg herrschten“.
       
       Explizit ausgeklammert vom Forschungsauftrag wurde die zeitlich sehr
       aufwändige Provenienzforschung, also der genaue Nachweis der Herkunft und
       der Umstände des Kaufs und Verkaufs jedes Bildes.
       
       Die Behörden stellten für die beim Forschungsprojekt beschäftigten
       wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen 182.000 Franken zur Verfügung.
       Der Projektverantwortliche Leimgruber übernahm den Auftrag honorarfrei, als
       zusätzliche Arbeit neben seinen Pflichten als Lehrstuhlinhaber. Als
       Co-Autor gewann Leimgruber den Historiker Erich Keller.
       
       Zum Forscherteam gehörten zeitweise auch die beiden Historikerinnen Lea
       Haller (2017/18) und Cécile Amstad (2017/19). Außerdem beriefen die
       Behörden einen international besetzten wissenschaftlichen Beirat und einen
       sogenannten „Steuerungsausschuss“ mit der Stadtpräsidentin und der
       Regierungsrätin sowie zwei Spitzenbeamten aus Stadt und Kanton sowie je
       einem Vertreter der „Stiftung Sammlung Emil Bührle“, des Kunsthauses Zürich
       und der Zürcher Kunstgesellschaft.
       
       Zwischen dem „Steuerungsausschuss“ und dem Forscherteam gab es einen „regen
       Kontakt“. Substanzielle inhaltliche Eingriffe des Ausschusses waren nicht
       vorgesehen. Wohl aber „Hinweise“ und „Rückmeldungen an die Auftragnehmer“
       zu deren Entwürfen, Zwischenberichten und dem eigentlichen Bericht mit 228
       Seiten, der am 20. Juli 2020 mit zwei abgeschlossenen Kapiteln und einem
       Kapitel in der Rohfassung unter dem Titel „Kriegsgeschäfte, Kapital und
       Kunsthaus“ vorlag.
       
       ## Vermutung: Beschönigung
       
       In dieser Fassung entdeckte der Co-Autor Erich Keller Abweichungen von der
       Manuskriptfassung, die der Projektleiter und Mit-Autor Leimgruber nach
       Korrekturen und Hinweisen aus dem „Steuerungsausschuss“ ohne Absprache mit
       Keller vorgenommen hatte. Am 12. Juli 2020 verlangte Keller von Leimgruber
       die Streichung seines Namens als Autor des Berichts. Nachdem
       Verständigungsversuche zwischen den beiden Autoren gescheitert waren,
       wandte sich Keller an die Presse, die den „Zürcher Geschichtsstreit“
       aufgriff und vermutete, „Bührle wird beschönigt“ (Die Wochenzeitung).
       Dieses Urteil über den Forschungsbericht ist jedoch bestenfalls
       oberflächlich und voreilig.
       
       Die Universitätsleitung hatte ihre Lektion gelernt und reagierte schon drei
       Wochen vor der Presse. Sie berief den Historiker Jakob Tanner und die
       Historikerin Esther Tisa Francini als Gutachter. Die Gutachter halten den
       Bericht mit rundum überzeugenden Gründen für „inhaltlich substanziell und
       insgesamt gelungen“ (Tanner). Und, was „die Verflechtungen und
       Wechselwirkungen“ von Waffenproduktion, persönlichen Netzwerken und
       Kunstsammlung, „die in der Forschung erstmalig gemeinsam betrachtet
       werden“, für „gut dargestellt“ (Esther Tisa Francini).
       
       Den beiden Gutachtern lagen alle Akten und Briefe des Forscherteams sowie
       die Hinweise und Rückmeldungen aus dem Steuerungsausschuss vor. Keller
       erhob den Pauschalvorwurf, Leimgruber habe „die wissenschaftlich
       unhaltbaren, politisch teilweise brisanten Kommentare und Sprachregelungen“
       von zwei Ausschussmitgliedern „willfährig übernommen“.
       
       Der Gutachter Tanner hält dieses Urteil für unbegründet und überzogen.
       Anhand von nicht weniger als 18 Änderungen weist er im Detail nach, dass
       die Textänderungen Leimgrubers rein formaler Art oder inhaltlich irrelevant
       waren.
       
       Der Verdacht auf unzulässige Eingriffe vonseiten des Steuerungsausschusses
       kam auf, weil eines seiner Mitglieder anmerkte, „Freikorps“ gehöre in die
       Kategorie „falscher Begriffe“. Daran knüpfte sich die Suggestion, die
       Mitgliedschaft Bührles in einem Freikorps zur „Niederwerfung der
       Kommunistenaufstände“ 1918/19 solle verschwiegen oder geleugnet werden.
       Leimgruber hat den Begriff „Freikorps“ lediglich durch die historisch
       korrekte Bezeichnung ersetzt: Bührle war Mitglied im „Freiwilligen
       Schützenkorps von General von Roeder“.
       
       ## Der heikelste Punkt
       
       Der Gutachter Tanner rügt allerdings die Tatsache, dass es der „best
       practice der historischen Auftragsforschung widerspricht“, dass
       Änderungswünschen von Auftraggebern entsprochen wird.
       
       Und das ist der heikelste Punkt in der „Affäre“. Die Installierung eines
       „Steuerungsausschusses“ war von Anfang an so falsch und irreführend wie der
       Name des Gremiums, was Tanner zu Recht betont. In professioneller
       Auftragsforschung gibt es nach der präzisen Formulierung und vertraglichen
       Regelung des Auftrags für den Auftraggeber gar nichts mehr zu „steuern“.
       
       Insofern war der 51-jährige Auftragsforscher und freie Autor Keller „mit
       Recht um seine Reputation besorgt“ angesichts der „Hinweise“ und
       „Rückmeldungen“ des „Steuerungsausschusses“, denen Leimgruber nicht, mit
       Präzisierungen oder nur formal folgte. Kellers Klage über einen inhaltlich
       „verstümmelten Forschungsbericht“ bleibt zwar unberechtigt und „lässt sich
       nicht nachvollziehen“ (Tanner). Aber Kellers Sorge um seinen guten Ruf als
       Wissenschaftler war gerechtfertigt, da sprichwörtlich immer etwas hängen
       bleibt.
       
       Tanner: „Aus meiner Sicht war es ein Fehler, (…) eine Steuerungsgruppe
       einzurichten. (…) Auch wenn die Einflussnahme auf der inhaltlichen Ebene
       wenig wirksam war, erwies sie sich unter Reputationsaspekten als
       destruktiv.“
       
       15 Dec 2020
       
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