# taz.de -- Flüchtlingshilfe durch Theater: Ein kulturelles Obdach
       
       > Sprachkurse, Kleiderspenden, Unterkünfte: Die Theater in Deutschland
       > setzen sich für Flüchtlinge ein. Sie wollen damit ein Zeichen setzen.
       
 (IMG) Bild: Das Schauspielhaus Bochum positionierte sich mit einer Mahnaktion für Flüchtlinge.
       
       Ende Oktober, Premiere am Deutschen Theater Berlin: Beim Schlussapplaus
       tritt die Schauspielerin Judith Hofmann vor und bittet das Publikum um
       Spenden für den Unterhalt der acht Schlafplätze für Flüchtlinge, die das
       Haus in den Garderoben bereitstellt.
       
       Was vor einem halben Jahr noch aufsehenerregend wirkte – eine
       Schauspielerin, die auf der Bühne um Spenden wirbt –, ist jetzt fast
       selbstverständlich geworden. Die deutschen Theater setzen sich
       flächendeckend für Geflüchtete ein, von Wilhelmshaven bis München, von
       Bochum bis Cottbus. Die Berliner Festspiele und das Karlsruher
       Staatstheater stellen Flüchtlingsfotos aus, in Stendal bietet man Fahrräder
       und Sprachkurse an, in Senftenberg lesen Flüchtlinge Brecht, Regensburg
       organisiert ein Konzert mit Refugees. Das Schauspiel Köln übernimmt die
       Patenschaft für zwei Flüchtlingsunterkünfte, das Hamburger Thalia hat über
       40.000 Euro gesammelt.
       
       [1][Das Onlineportal „Nachtkritik.de“ führt eine lange Liste, eine Art
       öffentliches Theater-Klassenbuch], das diese guten Taten der Theater
       festhält. Aber auch jenseits der Liste, das ergaben eigene Recherchen, regt
       sich überall Hilfsbereitschaft – im Osten etwa von Meiningen, Bautzen und
       Gera bis Rudolstadt. Wo immer man nachfragt: Es findet sich kein
       Schauspielhaus, das nicht zumindest Kleider gespendet oder Freikarten
       verschenkt hat.
       
       Bemerkenswert ist der praktische Einsatz der Häuser. Hatten sich viele
       Theater bisher hauptsächlich ästhetisch und diskursiv mit dem
       Flüchtlingsthema beschäftigt, so werden seit dem Sommer Probebühnen zu
       Schlaflagern umgestaltet und Deutschkurse angeboten.
       
       So auch am Hamburger Schauspielhaus vis-à-vis dem Hauptbahnhof. Weil dort
       regelmäßig Flüchtlinge auf der Durchreise nach Skandinavien stranden,
       stellen die Theaterleute seit acht Wochen 40 Schlafplätze zur Verfügung.
       „Nacht für Nacht finden sich Mitarbeiter, die alles organisieren“, so
       Intendantin Karin Beier. „Es ist eine freiwillige Aktion, aus dem
       persönlichen Engagement unserer Mitarbeiter heraus entstanden und
       durchgeführt.“
       
       In erster Linie bestehe der Auftrag der Theater zwar darin, mit solchen
       Themen künstlerisch auf der Bühne umzugehen. „Das ist unsere Expertise.“
       Aber in einer Notsituation seien eben jeder Mensch und jede Institution
       aufgerufen, zu helfen. Überbewerten will man das eigene Engagement jedoch
       nicht: „Es gibt glücklicherweise viele andere Akteure, die sich noch
       stärker und auch schon viel länger engagieren. Deshalb wollen wir unsere
       Aktion nicht höher hängen, als sie ist.“
       
       ## In Dunkeldeutschland
       
       Etwas anders liegen die Dinge am Staatsschauspiel Dresden, mitten in
       Dunkeldeutschland: Hier packt das ganze Haus mitsamt seiner Bürgerbühne
       unermüdlich an, man will gleichermaßen Zeichen gegen die Pegida-Anhänger
       setzen, die Notlage der Flüchtlinge lindern und die Bühnenkunst
       aufklärerisch nutzen. Miriam Tscholl, die zupackende Leiterin der
       Bürgerbühne, kann endlos aufzählen: Es gibt einen Verteiler mit 150
       Ehrenamtlichen, fast 40 Lehrer, die täglich acht Deutschkurse auf den
       Probebühnen bestreiten, ein Montagscafé mit rund 200 Geflüchteten und 50
       Ehrenamtlichen, wo syrische Friseure Haare schneiden, Koch- und
       Fotoworkshops verabredet, Essenseinladungen ausgesprochen, Konzerte geplant
       oder Formulare ausgefüllt werden.
       
       „Normalerweise lege ich als Regisseurin großen Wert darauf zu sagen: Im
       Theater machen wir Kunst – aber das hier ist etwas anderes. Wenn jemand vor
       einem steht, der ein riesiges Problem hat – dann weiß man, dass man nicht
       stumpf sein Theaterprojekt durchziehen kann.“
       
       Im Sommer, erklärt Intendant Wilfried Schulz, als das Flüchtlingsproblem in
       Dresden sichtbar wurde, habe das Theater beschlossen, die
       Überbau-Diskussion zu verlassen und unmittelbar zu helfen – weil es auch
       die Aufgabe der Theater sei, soziale Zusammenhänge mitzugestalten.
       
       Ähnlich sieht man das im thüringischen Rudolstadt, wo das Theater beim
       Anruf der taz gerade Aktionen gegen den Neonazi-Aufmarsch vorbereitet, der
       wenige Tage später am Haus vorbeiziehen wird. Zu dem Flüchtlingsheim im
       nahen Saalfeld-Beulitz ist im August eine weitere Unterkunft für fast 400
       Geflüchtete im Stadtzentrum hinzugekommen. Seit zwei Jahren engagiert sich
       das Theater für Asylbewerber, gibt Deutschunterricht und lädt zu
       Vorstellungen ein. „Über die konkrete Hilfe werden Vorurteile am ehesten
       abgebaut. Mit guten Worten und Appellen ist nicht viel getan“, sagt
       Intendant Steffen Mensching.
       
       Aber wie sehr profitieren die Flüchtlinge tatsächlich vom gut gemeinten
       Engagement der Theater? Petra Maar, die Leiterin der Asylunterkünfte in
       Rudolstadt, ist sehr froh über den Einsatz: „Ich sehe es als Intensivierung
       eines sozialen Netzwerks, mit dem man Leute überzeugen kann, dass
       voneinander lernen in den verschiedenen Kulturen eine wichtige Sache ist.
       Einmalige Aktionen und anonyme Spenden sind bei weitem nicht so wichtig wie
       Verbindungen, aus denen menschliche Beziehungen wachsen.“
       
       Bei der Bürgerinitiative „Moabit hilft!“ in Berlin ist man über jede Hilfe
       gleichermaßen dankbar. Das Einzige, was der Freiwillige László Hubert
       „manchmal skurril“ findet, sind die Anfragen von Künstlern, ihnen
       Flüchtlinge für Kunstaktionen zu vermitteln.
       
       ## Rückwirkung fürs Theater
       
       Der Berliner Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier hält das ästhetisch ohnehin
       für problematisch: „Um sich politisch Gedanken zu machen, muss man nicht
       unbedingt Flüchtlinge auf die Bühne stellen, die unsere Veranstaltungen
       kontextualisieren.“ Die Schaubühne engagiert sich in der Notunterkunft am
       Fehrbelliner Platz, arbeitet mit dem „Refugee Club Impulse“ zusammen und
       organisiert im Dezember eine Benefizveranstaltung für Pro Asyl. „Als
       politisch denkender Mensch ist das für mich eine selbstverständliche und
       ganz nüchterne Arbeit. Ich bin nicht in dieser Betroffenheitssemantik – es
       kann einen ja nicht wirklich überraschen, was gerade passiert.“
       
       Doch hat das Theater nicht auch ohne Flüchtlinge auf der Bühne selbst
       Vorteile von seinem Engagement – positive Außenwirkung, gesteigerte
       Relevanz? Wäre das schlimm? Intendant Mensching glaubt an eine Rückwirkung
       fürs Theater – und findet nichts Schlechtes daran: „Wir stehen nicht nur
       für eine offene Gesellschaft, wir brauchen sie. Deshalb ist es für uns
       nicht nur eine humanistische Forderung, Flüchtlinge aufzunehmen, sondern
       eine Notwendigkeit unseres Tuns.“
       
       Miriam Tscholl von der Dresdener Bürgerbühne sieht ebenfalls Chancen fürs
       Theater: „Die Geschichten der Geflüchteten sind wahnsinnig interessant und
       auch wichtig, wenn das Theater in Zukunft zu diesen Thematiken arbeiten und
       zum Beispiel eine islamkritische Debatte aufmachen möchte. Wir betreiben
       hier also auch eine Recherche für unsere weitere Arbeit.“
       
       3 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=11497%3Aimmer-mehr-theater-engagieren-sich-fuer-fluechtlinge&catid=1513%3Aportraet-profil-die-neuen-deutschen&Itemid=85
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Behrendt
       
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