# taz.de -- Unabhängige Medien in der Türkei: Von der EU im Stich gelassen
       
       > Immer mehr kritische Journalisten werden verfolgt. Mit einer Kampagne
       > will Reporter ohne Grenzen nun mehr Druck auf die Regierung ausüben.
       
 (IMG) Bild: Die Demonstrantin hält ein Exemplar der Zeitung „Cumhuriyet“ hoch: „Ein schwarzer Tag für die Presse“ lautete die Schlagzeile am Tag nach der Verhaftung des Chefredakteurs.
       
       ISTANBUL taz | Mit einer weltweit angelegten Kampagne hat die Organisation
       Reporter ohne Grenzen eine Petition gestartet, die erreichen soll, dass der
       türkische Staat etliche inhaftierte Journalisten freilässt. Letzter Anlass
       dazu ist die Verhaftung des Chefredakteurs von Cumhuriyet, Can Dündar, und
       des Leiters des Hauptstadtbüros derselben Zeitung, Erdem Gül. Ihnen wird
       vorgeworfen, sie seien „Spione und Mitglieder einer terroristischen
       Vereinigung“.
       
       Um die Petition zu promoten, war der Pariser Generalsekretär von Reporter
       ohne Grenzen, Christophe Deloire, am Mittwoch nach Istanbul gereist.
       Gemeinsam mit Vertretern des türkischen Journalistenverbandes präsentierte
       er die Kampagne und warf der türkischen Regierung vor, alle kritischen
       Journalisten des Landes erbarmungslos zu verfolgen. „Man hat den Eindruck“,
       so Deloire, „in der Türkei werden Journalisten schärfer verfolgt als
       Dschihadisten des Islamischen Staates“.
       
       Angesichts der starken Unterstützung der Petition – zu den
       Erstunterzeichnern zählen Noam Chomsky, Carl Bernstein, Thomas Piketty,
       Günter Wallraff und Cem Özdemir – droht die Verhaftung der beiden
       Cumhuriyet-Redakteure für die türkische Regierung besonders peinlich zu
       werden. Das hat auch damit zu tun, was Can Dündar und Erdem Gül vorgeworfen
       wird. Ende Mai dieses Jahres hatten sie Fotos und Dokumente aus einem
       Prozess veröffentlicht, in dem es darum geht, dass der türkische
       Geheimdienst Waffen an syrische Islamisten liefert.
       
       Der geheime Waffentransport war aufgeflogen, weil die Gendarmerie die Lkws
       kurz vor der syrischen Grenze auf Anordnung zweier Staatsanwälte gestoppt
       hatte. Die türkische Regierung tat alles, um den Vorfall zu vertuschen, und
       behauptete, es habe sich nur um eine humanitäre Lieferung an die syrischen
       Turkmenen gehandelt. Umso erboster war StaatschefErdoğan,als Cumhuriyet
       Fotos publizierte, die eindeutig zeigten, dass die Lkws mit Waffen beladen
       waren. Der ganze Vorgang ist auch deshalb so pikant, weil er zu belegen
       scheint, was der russische Präsident derzeit lautstark
       behauptet:Erdoğanliefere Waffen an den IS.
       
       Doch die U-Haft für Can Dündar und Erdem Gül, deren Freilassung vom
       zuständigen Haftrichter erst am Montag verweigert worden war, ist nicht die
       einzige Aktion gegen Journalisten, die derzeit Furore macht. Ebenfalls vor
       Gericht stehen drei leitende Redakteure der linken Tageszeitung Birgün,
       denen Beleidigung des Staatsoberhauptes vorgeworfen wird, eine Anklage, die
       seitErdoğansWahl zum Staatspräsidenten im August 2014 geradezu inflationär
       erhoben wird. Den drei Angeklagten,BarişInce, Berkant Gültekin und CanUğur,
       wird vorgeworfen,Erdoğanbeleidigt zu haben, weil sie Demonstranten,
       dieErdoğanals Dieb und Mörder bezeichnet hatten, in einer Schlagzeile
       zitierten. Ihnen droht 4 Jahre Haft, das Urteil soll am 10. Dezember
       gefällt werden.
       
       Reporter ohne Grenzen hofft, mit der Kampagne, wenn schon nicht Recep
       TayyipErdoğan,so doch die europäischen Regierungen unter Druck setzen zu
       können, damit diese endlich vernehmlich gegen die massive Unterdrückung der
       Medien in der Türkei protestieren. Viele kritische Journalisten sind
       enttäuscht und fühlen sich von der EU im Stich gelassen, weil diese wegen
       der „Flüchtlingskrise“Erdoğanan „einen roten Teppich ausrollen“, wie Ahmet
       Hakan von Hürriyet schrieb, ohne sich noch um Meinungsfreiheit und
       Demokratie in der Türkei zu kümmern. „Kein Wort“ sei dazu in Brüssel beim
       EU-Türkei Gipfel gefallen, kritisierte gestern auch der Kolumnist und
       ehemalige Europaabgeordnete Joost Lagendijk.
       
       3 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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