# taz.de -- Jahresauftakt der Linkspartei: Oskar und die Selbstmordbomber
       
       > Exparteichef Oskar Lafontaine legitimiert beim Jahresauftakt der Linken
       > Attentate. Über Assad und den Iran wird geschwiegen.
       
 (IMG) Bild: Selbstmordattentäter zeigen die Perversion der Weltordnung, meint Oskar Lafontaine.
       
       BERLIN taz | Das war einer der Momente, bei denen man sich als Reporter
       fragt, ob man richtig gehört hat. Hatte Oskar Lafontaine gerade
       Selbstmordattentate legitimiert? Doch, er hat: „Was sollen die Armen machen
       im Vorderen Orient, die seit Jahren dem Kolonialismus ausgesetzt sind? Sie
       haben keine Bomben, sie haben keine Raketen, sie haben keine Heere, die sie
       auf den Weg bringen können, um ihre Interessen zu wahren – und dann greifen
       sie zum Selbstmordattentat. Das zeigt doch die ganze Perversion unserer
       Weltordnung, dass sich Menschen nur so noch wehren können“, sagte er.
       
       Lafontaines Rede war der Schlusspunkt beim Jahresauftakt der Linkspartei am
       Sonntag in Berlin. Bei der dreistündigen Veranstaltung tritt traditionell
       die gesamte Parteiprominenz auf.
       
       Die Linke, das muss man nach diesem Wochenende konstatieren, ist wenige
       Monate nach dem Rücktritt von Fraktionschef Gregor Gysi zurück auf dem Weg
       zu einfachen Wahrheiten. „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf“,
       das Motto des DKP-Barden Franz Josef Degenhardt, hätte über der
       Veranstaltung stehen können, stand aber nicht da. Stattdessen hieß es:
       „Erkämpft das Menschenrecht: Gegen Nato, Freihandelsdiktate und andere
       Fluchtursachen“.
       
       Das versprach erstens Spannung. Der Jahresauftakt der Partei wird von
       Diether Dehm geplant und moderiert, Schatzmeister der Europäischen Linken
       und Bundestagsabgeordneter. Innerparteilich zählt er zum harten linken
       Flügel. Noch im letzten Jahr hatte Parteichefin Katja Kipping ein ähnlich
       krudes Motto des Jahresauftakts gekippt.
       
       Würden die Parteirealos nun wenigstens auf der Bühne Stellung gegen das
       Motto beziehen? Und zweitens versprach der Veranstaltungstitel eine
       intellektuell anspruchsvolle Aufgabe: Wie würde es die Linke schaffen, auch
       für Syrien, wo die wichtigsten Fluchtursachen nach Aussagen aller
       relevanten Menschenrechtsgruppen Assads Bomben und islamistische Gruppen
       sind, die Schuld der Nato zuzuschieben?
       
       ## Der Westen ist schuld
       
       Antwort auf Frage eins: Nein, es gab keinen Protest gegen das Motto.
       Antwort auf Frage zwei: Drei Stunden lang war Assad einfach kein Thema.
       Auch der Iran oder die Hisbollah, die Assad unterstützen, wurden nicht
       erwähnt. Parteichefin Katja Kipping wagte sich noch am meisten vor, indem
       sie auch Russland als Problemfaktor im Syrienkrieg erwähnte – wenn auch
       erst nach den USA und Europa. Den „Islamischen Staat“ (IS) schlug die Linke
       dagegen einfach dem Westen zu, weil er zumindest anfänglich Unterstützung
       aus Saudi-Arabien, Katar und der Türkei erhalten hat. Egal, was in der Welt
       passiert – am Ende ist immer der Westen schuld, war die Botschaft.
       
       Die schwierigste Pirouette schlug ausgerechnet Realo Dietmar Bartsch, der
       die kurdische PKK und ihren syrischen Ableger YPG lobte: „Es sind die
       Einzigen, die mit Waffen gegen den IS kämpfen.“ Dass die Kurden Kobane nur
       halten konnten, weil sie ihren Bodenkampf mit den Bombardements der
       US-Luftwaffe koordinierten, erwähnte Bartsch nicht.
       
       Das Problem Assad einfach totzuschweigen, ist vermutlich der Realo-Umgang
       in der Linken mit der Syrienfrage. Die linke Variante hatte am Vortag
       Diether Dehm auf einer Diskussion der Europäischen Linkspartei aufgeboten.
       Auf dem Podium unter anderem: Gregor Schirmer, zu DDR-Zeiten Vizeminister,
       und Domenico Losurdo, ein italienischer Philosoph, der sich an einer
       Stalin-Rehabilitierung versucht.
       
       ## Die Medien, die Medien
       
       Schirmer sprach vom „Selbstverteidungsrecht Assads“, der auch das Recht
       habe, „russische Militärberater an seine Seite“ zu holen: „Aggressoren sind
       die, die auf seinem Territorium herumbomben“, sagte er unter Beifall.
       Losurdo lieferte schließlich eine höchst eigenwillige Interpretation,
       weshalb der Westen gegen Syrien vorgehe, nicht aber gegen Saudi-Arabien.
       Damaskus habe eine antikoloniale Revolution hinter sich, Saudi-Arabien
       nicht.
       
       Auch beim Jahresauftakt klagte die Linkspartei über fehlende oder falsche
       Berichterstattung in den Medien. Daher ein Vorschlag an die ARD: 2016 alles
       im Ersten live und ungeschnitten übertragen, zur besten Sendezeit:
       Lafontaine und Bartsch, Losurdo und Schirmer. Das Klagen über fehlende
       Berichterstattung dürfte danach aufhören.
       
       11 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reeh
       
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