# taz.de -- Kämpfe in Kurdengebieten: Massaker befürchtet
       
       > In einem Haus in Cizre sollen 28 Personen ums Leben gekommen sein. Die
       > Regierung spricht von russischen Waffen in Verstecken der PKK.
       
 (IMG) Bild: Kriegsähnliche Zustände und zerlöcherte Hausfassaden: ein Gebäude im Raum Cizre.
       
       ISTANBUL taz | Im Kampf zwischen aufständischen militanten Kurden und den
       türkischen Sicherheitskräften verdichten sich die Indizien, dass es in der
       Stadt Cizre zu einem Massaker gekommen ist. Dabei handelt es sich nach
       Angaben der kurdisch-linken HDP um 28 verwundete kurdische Zivilisten, die
       vor knapp zwei Wochen im Keller eines Hauses in dem umkämpften Stadtteil
       Cudi Zuflucht gesucht hatten.
       
       Vor drei Tagen wurden auf einer nationalistischen türkischen Webseite mit
       dem Namen „Jitem“ Fotos getöteter Menschen gepostet, die angeblich aus dem
       Keller des Hauses in Cizre stammen sollen. Gleichzeitig berichtet der
       regional zuständige HDP-Abgeordnete Faysal Sarıyıldız, seit dem 30. Januar
       gebe es kein Lebenszeichen der Eingeschlossenen mehr.
       
       Osman Baydemir, früherer Bürgermeister von Diyarbakır und jetziger
       Parlamentsabgeordneter von Urfa, hat in einer parlamentarischen Anfrage an
       den zuständigen Innenminister Efkan Âlânbehauptet, es habe am 30. Januar
       einen militärischen Zugriff in dem fraglichen Wohnblock 23 gegeben und zwar
       zu dem Zeitpunkt, als die Verwundeten aufgefordert worden seien, den Keller
       zu verlassen, weil mehrere Krankenwagen bereit stünden, um sie abholen.
       
       „Seit diesem Moment am 30. Januar um 12:30 Uhr gibt es zu den
       Eingeschlossenen keine Verbindung mehr“, schreibt Baydemir. „Wie erklären
       Sie das?“, will er vom Innenminister wissen. Am Mittwoch kündigte der
       Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, dann an, er plane, mit einem
       kleinen Team das fragliche Gebäude in Cizre zu besichtigen, um sich
       Klarheit zu verschaffen.
       
       ## Internationaler Notruf
       
       Am selben Tag bezweifelte Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu in einer Rede,
       ob es in dem Keller von Wohnblock 32 überhaupt jemals Verwundete gegeben
       hat und ob dort überhaupt Zivilisten gewesen seien. Nach Meinung der
       Regierung haben sich dort hochrangige PKK-Kämpfer versteckt, um unter dem
       Deckmantel, sie seien verwundete Zivilisten, aus dem vom Militär umstellten
       Viertel zu fliehen. „Trotzdem“, so Davutoğlu, habe man Krankenwagen zur
       Verfügung gestellt die die Leute abholen sollten, „doch niemand ist aus dem
       Keller gekommen“.
       
       Mitte letzter Woche hatte die HDP erstmals in einem internationalen Notruf
       um Hilfe gebeten, weil in dem Keller 28 teils schwer verletzte Menschen
       medizinisch nicht versorgt würden. Sieben von ihnen seien bereits
       gestorben, hieß es vor dem Abbruch des Kontakts. HDP und Regierung werfen
       sich wechselseitig vor, der Zugang sei deshalb nicht möglich, weil entweder
       die Gendarmerie oder die PKK durch Beschuss einen Einsatz von Krankenwagen
       unmöglich machen würde.
       
       Der formal zuständige Innenminister Efkan Âlân hat mittlerweile
       angekündigt, die Kämpfe in Cizre könnten nach mehr als sechs Wochen
       Ausgangssperre in wenigen Tagen beendet sein, weil die Stadt bis dahin von
       „Terroristen“ gesäubert sei.
       
       Davutoğlu und Präsident Erdoğan haben in den vergangenen Tagen im Kampf um
       die kurdischen Gebiete noch eine weitere Propagandafront eröffnet. Erdoğan
       sagte, alle Waffen, die in Verstecken der PKK gefunden worden seien, seien
       russischer Herkunft. Davutoğlu behauptete, in Cizre seien mehrere serbische
       Söldner getötet worden, die dort als Scharfschützen zur Unterstützung der
       PKK eingesetzt worden seien. Seit die türkische Luftwaffe am 20. Dezember
       einen russischen Bomber an der syrischen Grenze abgeschossen hat, befinden
       sich die Türkei und Russland quasi in einem Kalten Krieg.
       
       4 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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