# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Jubel der Geschlechter
       
       > Im Leistungssport werden bei Erfolg unterschiedliche Fratzen- und
       > Hampelgesten vollführt. Männer und Frauen verhalten sich unterschiedlich.
       
 (IMG) Bild: Spiderman-Jubel: Der damalige Herthaner Änis Ben-Hatira nach seinem 1:0 gegen Schalke am 14. März in Berlin
       
       Als die Tennisspielerin Angelique Kerber am vergangenen Samstag nach dem
       gewonnenem Matchball bei den Australian Open fassungslos erst umfiel und
       danach so schön ratlos war vor der erdrückenden Kraft dieses Moments, kamen
       mir auch ein paar Tränen. Ich wusste nicht recht, ob ich sie vor meinem
       Sohn Lionel (9) zeigen sollte.
       
       Der saß da staunenden Auges, freute sich und bejubelte anschließend die
       unterlegene Serena Williams. Wie die sich gefreut hatte mit Kerber! Seinem
       Kumpel Anton erzählte er nachher, dass Williams seine Lieblingsspielerin
       geworden sei. Jubel, Empathie, dazu große authentische Gesten der
       Verliererin – auch wenn bei jemandem aus den Vereinigten Staaten von
       Hollywood Restzweifel immer bleiben.
       
       Sehr ergreifend das alles. Tags später die Handball-Männer: Bei jedem Tor
       aufgerissene, verzerrte Münder, die mit etwas kulturellem Wohlwollen an
       Edvard Munchs „Der Schrei“ erinnerten. Ein Machogesicht nach dem anderen.
       Soll Entschlossenheit bekunden und anstachelnd wirken. Meinetwegen.
       Sympathisch ist das nicht.
       
       Jetzt zum Bundesligawochenende wird es ähnlich ätzend weitergehen. Lassen
       wir den geplant-inszenierten Torjubel weg wie die alberne Baby-Schaukel,
       den Kuss auf Ehering oder Unterarm, die Fotogesten, Daumenlutscher, die
       Salti. Und nehmen stattdessen den weitgehend spontanen Alltagsjubel: Wieder
       wird es diese abstoßenden Fratzen geben. Heraushängende Zungen dazu, affig,
       verzerrt, wirr. Wie Gefangene, die plötzlich befreit sind.
       
       Der Exwolfsburger Diego (und andere auch) gab mal zu Protokoll: „Ein Tor zu
       bejubeln ist wie ein Orgasmus.“ Neurologen nicken das ab: Der Botenstoff
       Dopamin wird wie beim Sex plötzlich und heftig in die Nervenbahnen
       geschüttet. Die Folge: Wohlbefinden, Glückskaskaden, Rausch. Von
       „Explosionen im Körper“ nach Torerfolg spricht der Geck Cristiano Ronaldo.
       Die Folge: Fratzen. Auch Trainer im „Testosterongeschäft Fußball“ (Katja
       Kraus) werden erfasst: etwa Jürgen Klopp, der jetzt in Liverpool das
       Gesicht verzerrt, falls seine Mannschaft mal trifft. Machen Männer im Bett
       auch so ein Gesicht?
       
       Wenn Simone Laudehr nach wichtigem Tor ihr Trikot hochzieht und ihr
       Bauchmuskelarrangement entblößt, sieht man dabei ein glückseliges Gesicht.
       Das gleiche Dopamin, aber: ganz andere Reaktion. Tiefenpsychologisch gilt
       beim Manne der ödipale Konflikt als Motivationsquelle. Demnach ist das
       gegnerische Tor das Objekt der Libido. Diesmal ist nicht mehr der Vater der
       gemeine Zielverhinderer, sondern die gegnerische Abwehr.
       
       Vulgärpsychologisch sind die Parallelen noch schlichter erklärt: Das
       Ballgeschoss sei ein Schwanzsymbol und das erzielte Tor der „Orgasmus des
       Fußballs“, schrieb Eduardo Galeano einmal. Luisa Francia sieht einen
       Initiationsritus: „Fußball illustriert die einzige gemeinsame Aufgabe aller
       männlichen Erdbewohner: befruchten. Bring ihn rein. Irgendwie. Überwinde
       die Abwehr. Kämpf dich durch.“ Und dann: triumphal herumhampeln.
       
       Zum sexuellen Zusammenhang passt, dass es ihn bei fußballernden Kindern
       nicht gibt. Lionel gibt bei seiner E-Jugend nach Torerfolg den Supercoolen.
       
       6 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Müllender
       
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