# taz.de -- Collage fiktiver Medienberichte: Die Brille des Grauens
       
       > Die fiktive Dokumentation von Mario Sixtus nutzt Spott über Datenbrillen
       > für eine Mediensatire. „Operation Naked“ wird am Montag im ZDF gezeigt.
       
 (IMG) Bild: Satire über Datenbrillen: Der Geografielehrer zieht sich erst mal nackt aus im „aspekte“-Studio.
       
       BERLIN taz | Es handelt sich vermutlich um die größte Fleißarbeit in der
       Geschichte des deutschen Fernsehens: „heute-journal“ mit Claus Kleber; „zdf
       mo:ma“ mit Dunja Hayali; „Kulturzeit“ mit Tina Mendelsohn; „Neo Magazin
       Royale“ mit Jan Böhmermann und William Cohn; „heute-show“ mit Oliver
       Welkde; „Aktenzeichen XY“ mit Rudi Cerne; „Markus Lanz“ mit Markus Lanz …
       Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
       
       Für sein fünfzigminütiges Mockumentary (am Dienstag liefen auf Arte schon
       „Der digitale Patient“ und „Ich weiß, wer Du bist“) hat der „Elektrische
       Reporter“ und netzpolitische Tausendsassa Mario Sixtus beinahe das gesamte
       ZDF-Universum mit allen seinen Formaten und Moderatoren abgeklappert. Oder
       besser gesagt: gekapert. Es fehlt eigentlich allein Maybrit Illner –
       gefragt hat er sie bestimmt.
       
       Sixtus erzählt die Handlung seines Films ausschließlich als Collage
       fiktiver Medienberichte, Interviews und Talk-Runden. Er selbst nennt das
       von ihm begründete Genre „TV-Timeline-Forward-Zapping“. Mehr als ein
       Superlativ pro Text geht wirklich nicht – aber so etwas gleichzeitig
       Experimentelles, Aktuelles, Unterhaltsames und Reflektierendes ist im ZDF
       nun einmal sehr selten.
       
       „Finden Sie nicht auch, dass jeder Einzelne darüber entscheiden sollte, wie
       weit seine Privatsphäre an die Öffentlichkeit kommt?“, fragt Jo Schück
       Michelle Spark (Sarah Rebecca Gerstner), Gründerin des
       Berlin-Mitte-Start-ups, das allen Konkurrenten in Asien und Palo Alto
       zuvorgekommen und mit der Real-o-Rama die erste technisch wirklich
       ausgereifte Datenbrille entwickelt hat.
       
       Sie hatte ja eigentlich nur den Nutzwert ihrer Erfindung beim
       Schnäppchen-Shoppen demonstrieren wollen – live im „zdf mo:ma“. Also: Sie
       muss nur einen beliebigen Passanten (Gábor Biedermann) auf der Straße
       fokussieren, schon identifiziert ihre Brille dessen Klamotten: die Brands
       und wo sie das im Internet am schnellsten und billigsten sofort kaufen
       kann.
       
       Die Brille erkennt aber noch viel mehr: dass der Passant Pablo Rothmann
       heißt, 35 Jahre alt ist und Geografielehrer im Internat Griebsburg. Und
       dass die Kundenzufriedenheit für den „Golden Gay Club“, „Members Only!“,
       den er gerade betritt – für den man die Mitgliedschaft übrigens auch gleich
       per Brille beantragen könnte – mit vier von fünf möglichen Sternen bewertet
       wird. Bis zum Abend ist Pablo Rothmann seinen Job los.
       
       Jetzt sitzt er also bei „aspekte“ Michelle Spark gegenüber, um sich von ihr
       belehren zu lassen: „Ja, aber genau diese Preisgabe des Privaten ist doch
       ein politischer Schritt. Geheimniskrämerei stärkt immer die Diskriminierer.
       Die Unterdrücker. Die Spießbürger. […] Ich hab mir in den letzten Jahren
       wirklich viele Gedanken gemacht über das Spannungsverhältnis von Geheimnis,
       Offenheit, Privatsphäre, Macht und Freiheit. Und genau um dieses
       Spannungsverhältnis endlich mal in einen Ausgleich zum Wohle aller Bürger
       zu bringen, existiert jetzt ein konkreter Plan. Und dieser Plan heißt:
       ,[1][Operation Naked‘!]“ Pablo Rothmann zieht sich dann erst mal nackt aus,
       im „aspekte“-Studio.
       
       Es wird ein Verein „Wider die digitale Entblößung“ gegründet, und
       „Anonymous“-Wiedergänger mit Alu-Masken treten in Aktion. Politiker hängen
       ihr Fähnchen in den Wind und praktizieren die 180°-Meinungswende nicht nur
       einmal. Transparenz contra Datenschutz.
       
       Mario Sixtus hat die bestens bekannten Verhaltensmuster und
       Argumentationsstrategien zu einer nur etwas verdichteten und überzeichneten
       Dystopie gemixt, die als Medien- und Gesellschaftssatire tadellos
       funktioniert. Die aber so natürlich nie Realität werden wird.
       
       Weil sie – Verdichtung und Überzeichnung abgezogen – schon längst Realität
       ist. Der Schritt von Tinder zur Datenbrille, die ihrem Träger die
       Paarungsbereitschaft der Menschen in seiner Umgebung anzeigt, ist doch
       wirklich kein so großer mehr.
       
       22 Feb 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.zdf.de/operation-naked/operation-naked-42141132.html
       
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 (DIR) Jens Müller
       
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