# taz.de -- Christine Vachon über queere Filme: „Okay, ich bin ja nur die Dekopflanze“
       
       > Seit Jahren engagiert sich die lesbische Filmproduzentin Christine Vachon
       > für den Queerfilm. Ein Interview über Fairness im Geschäft und den Erfolg
       > von „Carol“.
       
 (IMG) Bild: Filmproduzentin Christine Vachon. Auf der Berlinale 2016 läuft ihr Film „Goat“.
       
       taz: Frau Vachon, bei den Berlinale-Pressekonferenzen sitzen
       Filmproduzenten immer am Rande des Podiums und werden nichts gefragt. Wie
       wichtig ist die Rolle des Produzenten eigentlich? 
       
       Christine Vachon: Ein Kollege sagte mal etwas zu mir, was ich sehr
       zutreffend für unseren Beruf finde: Ein Produzent zu sein ist so, als ob du
       die geilste Party schmeißen würdest, die Rechnungen begleichst, am nächsten
       Tag putzen musst, aber selbst überhaupt nicht eingeladen bist. Da ist schon
       etwas dran.
       
       Ist das fair? 
       
       Es geht ja nicht um Fairness. Wenn ich mit Nick Jonas auf dem Podium sitze,
       dann wollen die Leute eben mit Nick Jonas reden. Das ist die
       Celebritykultur. Wenn ich in Cannes auf die Bühne darf, denke ich mir auch
       immer: Okay, ich bin ja nur die Dekopflanze.
       
       Sind Sie am Set, wenn ein Film gedreht wird? 
       
       Wir teilen uns das auf. Ich habe ja zwei Partner bei Killer Films, Pam
       Koffler und David Hinojosa. Ein Killer ist immer am Set. Beim Dreh zum
       neuen Film „Goat“, den wir auf der Berlinale vorstellen, war ich nur die
       erste Woche vor Ort, den Rest hat David übernommen.
       
       Wie sind Sie an den Stoff von „Goat“ gekommen? 
       
       Die Geschichte stammt aus den Memoiren von Brad Land von 2004. Ich habe das
       Buch kurz nach Veröffentlichung gelesen, und es hat mich gleich gepackt. Es
       spricht von Männlichkeit in einer Form, die es so noch nicht gab. Es gab
       Probleme bei der Realisierung und Finanzierung, weshalb es über zehn Jahren
       dauerte, bis ich Andrew Neel fand und damit den perfekten Regisseur für
       diesen Film.
       
       Es geht um Gewalt in Studentenverbindungen. 
       
       Viele Leute sagen, der Film wird in Europa nicht gut laufen, weil es hier
       keine Studentenverbindungen gibt. Aber gibt es hier denn keine Männer, die
       sich treffen, um gemeinsam schreckliche Dinge zu tun? Überall gibt es
       Gruppierungen, die sich als „Gemeinschaften“ tarnen, [1][aber in denen es
       eigentlich nur um Ausgrenzung und Gewalt geht.]
       
       Wie wichtig sind Ihnen Awards? Ihr Film „Carol“ war für neun Baftas
       (British Academy of Film and Television Arts Award) nominiert und ging leer
       aus. Sind Sie traurig? 
       
       Natürlich bin ich nicht glücklich. Für Independent-Filme wie „Carol“ ist
       das schon wichtig, weil ein Award mehr Leute ins Kino zieht. Aber meine
       Erfahrung mit diesem Film geht über Awards hinaus, er ist wie ein Wunder
       für mich. Wir haben so viel damit erreicht. Manchmal macht man einen Film
       und man weiß, er wird sehr lange leben. Bei „Velvet Goldmine“ war das so,
       und auch bei „Kids“. Manchmal kommen Leute zu mir, die waren gar nicht
       geboren, als „Kids“ rauskam, und sie sagen: „Dieser Film ist mein Leben!“
       
       „Carol“ gehörte zuletzt zu den meistdiskutierten und beliebtesten Filmen.
       Wie erklären Sie sich den Erfolg?
       
       Na ja, wir haben zwei Stars, das macht viel aus. Darüber hinaus glaube ich,
       dass Todd Haynes einfach ein außergewöhnlicher Regisseur ist. Und am Ende
       ist es eben ein großartiger Film über die Liebe, mit dem sich viele
       identifizieren können, obwohl die Hauptfiguren lesbisch sind. Weil die Art,
       wie er von Liebe spricht, ganz universell ist.
       
       Sie haben sehr viele Filme mit schwulen und lesbischen Protagonisten
       produziert und standen am Anfang des New Queer Cinema. War das queere
       Publikum Ihnen immer wohlgesinnt? 
       
       Nein, überhaupt nicht. Mittlerweile mag es so sein, dass manche meiner
       Filme zum Kanon gehören, aber als [2][„Poison“], „Swoon“ und „I Shot Andy
       Warhol“ erschienen, wurden wir sehr heftig attackiert. Als die Aids-Krise
       begann, gab es eine Art Dringlichkeit unter jungen Filmemachern wie Todd
       Haynes, Isaac Julien oder Tom Kalin, ihre Geschichten so schnell wie
       möglich zu erzählen, bevor es zu spät ist. Man muss sich vorstellen: Man
       ist Ende zwanzig und um einen herum sterben alle Freunde weg. Gleichzeitig
       gab es aber eine Art Militanz unter manchen Aktivisten, die forderten, dass
       Bilder von der Queer Community immer positiv sein mussten. Meine Filme
       waren das nicht. Deshalb warf man mir vor, ich würde der Community schaden.
       
       Und jetzt kriegen Sie den Ehren-Teddy-Award. 
       
       Klar, aber Berlin mochte es ja schon immer, wenn meine Filme besonders
       gemein waren.
       
       Viele Filme mit queeren Inhalten schaffen es heute vor ein großes Publikum,
       werden für Oscars nominiert. Ist das Queer Cinema im Mainstream angekommen? 
       
       Ich weiß nicht, ob das so ist. Ich meine, was ist ein Mainstreamfilm über
       Schwule und Lesben? „Brokeback Mountain“? Okay, aber darin zahlen die
       Figuren ihren Preis fürs Schwulsein. Vielleicht kommt „Carol“ der Sache
       näher, weil in diesem Film die Figuren ja am Ende tatsächlich
       zusammenkommen. Carol zahlt den Preis, indem sie ihr Kind verlässt. Aber
       sie hat ihr Schicksal in der eigenen Hand. Das passiert in solchen Filmen
       eigentlich nicht, vor allem nicht den weiblichen Figuren.
       
       Hatten Sie es im Filmgeschäft schwer als offene Lesbe? 
       
       Ich weiß nicht, wie es ist, keine Lesbe zu sein. Ich hatte eine tolle
       Karriere und kann mich nicht beschweren. Dennoch finde ich die derzeitigen
       Diskussionen um Diversity in Hollywood sehr nötig und wichtig.
       
       In den USA haben Sie nicht dieselben Filmfördermöglichkeiten wie in Europa.
       Als Produzentin müssen Sie da stets eine Balance finden zwischen kreativen
       und kommerziellen Entscheidungen … 
       
       … ja und das ist der interessante Part an meinen Job. Ich glaube, ihr
       Europäer könntet mehr von dieser Balance gebrauchen …
       
       … meinen Sie, in Europa gibt es mehr beschissene Filme wegen der
       Filmförderungen? 
       
       Das darf ich jetzt natürlich so nicht sagen. Aber man merkt vielen
       Produktionen an, dass sie den Förderern gefallen wollen und nicht dem
       Publikum. Der Film ist eine Interaktion zwischen Filmemacher und Publikum.
       Es gibt einen Grund, dass man vom „Filmgeschäft“ spricht.
       
       19 Feb 2016
       
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