# taz.de -- Krise im Kosovo: Es ist zum Heulen in Prishtina
       
       > Politische Auseinandersetzungen entladen sich immer häufiger in Gewalt.
       > Der Hauptstreitpunkt sind spezielle Rechte für die serbische Minderheit.
       
 (IMG) Bild: Gut gerüstet für den nächsten Einsatz von Tränengas: Abgeordnete im Parlament in Prishtina.
       
       PRISHTINA taz | Tränengasschwaden im Parlament, Abgeordnete mit Gasmasken,
       Angriffe militanter Demonstranten im Zentrum der Hauptstadt Prishtina,
       Polizisten, die Abgeordnete der Opposition gewaltsam aus dem Saal
       entfernten: Alle diese Bilder gehören seit Monaten zum Alltag des
       politischen Lebens in Kosovo. Doch jetzt ist es um das von Stacheldraht
       umzäunte und nach dem Unabhängigkeits-Krieg 1998/99 wieder aufgebaute
       moderne Parlamentsgebäude ruhiger geworden.
       
       Vielleicht haben die Worte der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini vom
       vergangenen Sonntag, „Gewalt ist inakzeptabel – egal in welcher Form und
       wer auch immer der Urheber ist“, zur Beruhigung der Lage beigetragen. Doch
       entscheidend dürfte sein, dass vor einer Woche der bisherige Außenminister,
       Expremier und Vorsitzende der Demokratischen Partei ( PDK) des Landes,
       Hashim Thaci, trotz aller Störversuche und eines Polizeieinsatzes gegen
       protestierende Abgeordnete der Opposition mit 81 von 120 Stimmen zum
       Präsidenten des Landes gewählt wurde.
       
       Die Opposition wollte seine Wahl verhindern und Neuwahlen erzwingen. „Diese
       Strategie ist zunächst gescheitert“, sagt Bujar Bukoshi, ein Elder
       Statesman und ehemaliger Premier gegenüber der taz. „Die Positionen auf
       beiden Seiten scheinen unversöhnlich zu bleiben, das ist nur eine
       Atempause.“
       
       Anders als die Opposition denkt das Regierungslager gar nicht daran, sich
       dem Risiko von Neuwahlen auszusetzen. Es ist, als „rasten zwei Züge
       aufeinander zu, die niemand mehr aufhalten kann“, erklären kosovarische
       Journalisten. Es herrsche eine „aufgeheizte Atmosphäre“, die den Dialog
       erschwere, konstatierte auch Mogherini.
       
       ## Unerträgliche Arroganz
       
       In einem Gespräch mit der taz erklärt einer der Führer der Opposition, der
       Vorsitzende der Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) Ramush Haradinaj, er
       habe vor zwei Wochen sein Abgeordnetenmandat nieder gelegt, weil „die
       Arroganz der herrschenden Politiker unerträglich“ sei. Die Regierung sei
       nicht bereit, ernsthaft über die Konflikte zu diskutieren. Es ginge vor
       allem um eine Übereinkunft mit Serbien über den Status der serbischen
       Gemeinden im Lande.
       
       Nach dem bisher bekannten Verhandlungsstand sollen die serbischen Gemeinden
       in Kosovo, die bei einem Bevölkerungsanteil von 6 Prozent über 23 Prozent
       des Territoriums umfassen, weitgehende Rechte zur Selbstverwaltung
       erhalten. Dies wäre Haradinaj zufolge ein Staat im Staate, eine Art
       „Republika Srpska“ nach bosnischem Vorbild.
       
       Die Opposition aus AAK und der Partei „Selbstbestimmung“ wolle die Rechte
       der serbischen Minderheit nicht beschneiden, sagt er. Die serbischen
       Gemeinden hätten schon jetzt große Gestaltungsmöglichkeiten. So sei die
       serbische Minderheit im Parlament überproportional vertreten, sie stelle
       Vertreter in der Regierung und könne schon jetzt spezielle Beziehungen zu
       Serbien unterhalten. „Alles das wollen wir gar nicht antasten.“ Aber die
       Schaffung eines serbischen Gemeindeverbandes, wie jetzt verhandelt, ginge
       zu weit.
       
       „Dieser Vorschlag dient Serbien, das damit in den Kosovo hineinregieren
       kann“, sagt Haradinaj. Deshalb habe das Verfassungsgericht dieses Abkommen
       als nicht mit dem „Geiste der Verfassung vereinbar“ bezeichnet und in 21
       Punkten Veränderungen verlangt.
       
       ## Verhandlungen noch möglich
       
       „Wir alle müssen diese Empfehlungen des Verfassungsgerichtshofs
       berücksichtigen“, sagt Enver Hoxhaj, der ehemalige Außenminister, der nach
       dem Amtsantritt Thacis als Präsident voraussichtlich auf seinen Posten
       zurückkehren wird, Zunächst hätten die Premierminister Kosovos und Serbiens
       ein Abkommen über die Prinzipien eines serbischen Gemeindeverbandes
       erreicht. Doch zweitens müsse noch ein Statut dafür erarbeitet werden.
       Schließlich gelte es noch eine Regierungsentscheidung zu treffen.
       
       „Zwischen dem ersten und zweiten Schritt kann noch verhandelt werden. Nach
       den Bedenken des Verfassungsgerichts wird es keine „Republika Srpska“ wie
       in Bosnien geben. „Regierung und Opposition können noch über die Inhalte
       des Abkommens reden“, sagt Hoxhaj. Vielleicht sind doch noch nicht alle
       Türen zugeschlagen.
       
       5 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
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