# taz.de -- Buch über Hitlers Kunsthändler: Ist der „Fall Gurlitt“ geklärt?
       
       > In einer Biografie fragen Meike Hoffmann und Nicola Kuhn, wie Hildebrand
       > Gurlitt seine Kunstsammlung erwarb. Dort liegt die Stärke des Buches.
       
 (IMG) Bild: Der Düsseldorfer Oberbürgermeister und Hildebrand Gurlitt 1949 (von links gesehen)
       
       Im „Fall Gurlitt“ verbinden sich zwei Geschichten, die wir besser
       voneinander trennen, um sie verstehen zu können. Die eine ist die Biografie
       des Museumsmannes und Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der 1956 gestorben
       ist. Die zweite Geschichte betrifft dessen Sohn Cornelius Gurlitt, der bis
       zu seinem Tod 2014 die Kunstsammlung seines Vaters Hildebrand in einer
       Wohnung im Verborgenen hütete.
       
       Erinnern wir uns: Am 2. November 2013 meldete der Focus, es sei in
       München-Schwabing eine bisher unbekannte Sammlung mit „NS-Raubkunst“
       entdeckt worden. Der so klassifizierte Bestand umfasse circa 1.500 Werke,
       überwiegend Papierarbeiten. Er war bereits 2012 von der Staatsanwaltschaft
       Augsburg sichergestellt worden, da man Devisenvergehen vermutete.
       
       In der Öffentlichkeit entstand schnell eine Hysterie, der Sohn Cornelius
       Gurlitt wurde als Wiedergänger „des Bösen“ behandelt, bis eine Reporterin
       des Spiegels herausfand, dass es sich um einen alten Herrn mit Herzleiden
       handelte, der regelmäßige Besuche beim Arzt hinter sich brachte.
       
       In den Folgemonaten ging es darum, ob und wie die Sammlung an die – so die
       Vermutung – jüdischen Besitzer zurückgegeben werden könne. Eine Taskforce
       wurde eingerichtet. Cornelius Gurlitt erklärte sich bereit, in Fällen
       nachgewiesenen Unrechts die Werke zurückzugeben.
       
       ## So weit bekannt
       
       Dem allgemeinen Wunsch, „wiedergutzumachen“, stehen nur wenige Kunstwerke
       gegenüber, für die rechtmäßige jüdische Vorbesitzer belegt sind. So kam es,
       dass bis zum Ende der Taskforce 2015 lediglich fünf Werke restituiert
       werden konnten, darunter Max Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“ und ein
       Matisse. So weit ist die Geschichte bekannt.
       
       Bietet das Buch von Meike Hoffmann und Nicola Kuhn hierzu neue Einsichten?
       Im Klappentext heißt es, Hildebrand Gurlitts Name stehe für das ungesühnte
       Unrecht „der geraubten Kunst“, „seit die Welt von seiner lange verborgenen
       Kunstsammlung erfuhr“.
       
       Unsere Aufmerksamkeit richtet sich daher auf die Geschichte des
       Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt und des Sammlungsbestands, den er über 35
       Jahre hinweg versammelt hatte. Es bedurfte einer mehrjährigen Erforschung
       der Lebensgeschichte, die auch Erwerbszusammenhänge einschloss. Hier liegt
       die Stärke des Buches.
       
       ## Der persönliche Kunstgeschmack
       
       Ankäufe und Verkäufe ergeben ein differenziertes Bild vom persönlichen
       Kunstgeschmack, von Geschäftsinteressen und Verwicklungen in
       kunstpolitische Projekte der Zeitgenossenschaft des „Dritten Reiches“,
       davor in den Kunstpluralismus der Weimarer Republik.
       
       Hildebrand Gurlitt war Teil einer Familie des deutschen Bildungsbürgertums,
       die mit Professoren, Kunsthändlern und Künstlern Anteil am kulturellen
       Leben hatte. Sein Vater galt als bedeutender Architekturhistoriker an der
       TH Dresden und Begründer des Denkmalschutzes, politisch
       deutschnational-patriotischer Gesinnung.
       
       Von ihm unterschied sich Hildebrand in den 1920er Jahren durch eine eher
       republikanische, aber eben zugleich nationale Überzeugung, die zeitweise
       der SPD zuneigte. Großvater Louis Gurlitt hatte im 19. Jahrhundert als
       Landschaftsmaler Bedeutung erlangt. Hildebrands Schwester muss eine
       fulminante expressionistische Künstlerin gewesen sein, die jung Selbstmord
       beging.
       
       Im Ersten Weltkrieg hatte Hildebrand nach einem Fronteinsatz im Westen in
       einer Propagandaabteilung in Wilna mit Karl Schmitt-Rottluff, Arnold Zweig
       oder Richard Dehmel „Kulturarbeit“ gemacht.
       
       ## Interesse für den zeitgenössischen Modernismus
       
       1925 erhielt der nun ausgebildete Kunsthistoriker am Zwickauer Museum seine
       erste Wirkungsstätte. Er engagierte sich für die Moderne, stellte Pechstein
       aus, kaufte Bauhausmöbel, versuchte die kulturkonservative Mehrheit in der
       Industriestadt für den zeitgenössischen Modernismus zu interessieren.
       
       Bald dem Druck der politischen Rechten ausgesetzt, wurde er im April 1930
       zur Demission gezwungen. Er wechselte bereits kurz darauf nach Hamburg als
       Direktor des Kunstvereins. Als zum 1. Mai 1933 Beflaggung mit der
       Hakenkreuzfahne erwartet wurde, kam er dem nicht nach und musste als
       Direktor aufgeben.
       
       Nun begann er sich als Kunsthändler geschäftlich zu etablieren. Allerdings
       geriet seine Familie nach 1933 durch die Rassepolitik und den geforderten
       „Ariernachweis“ unter Druck. Großvater Louis Gurlitt hatte eine Frau
       jüdischer Herkunft geheiratet, wodurch Vater Cornelius nunmehr als
       „Halbjude“ galt und trotz „Frontkämpferprivileg“ bis 1938 aus seiner bis
       dahin ehrenvollen Stellung ausgegrenzt wurde. Hildebrand galt damit als
       „Vierteljude“, mit der Unsicherheit, ob dies Konsequenzen habe.
       
       Nach 1933 behielt er als Händler einen Schwerpunkt auf moderner Kunst, die
       vom kulturkonservativen Flügel der NSDAP zunehmend erfolgreich als
       „entartet“ bekämpft wurde. Gurlitt handelte auf eigene Rechnung, kaufte an,
       was auf dem Markt war, verkaufte und behielt manches in der eigenen
       Sammlung. Sein Talent, Kontakte zu knüpfen, kam ihm bei dem im
       Propagandaministerium für bildende Kunst zuständigen Referenten Rolf Hetsch
       zugute. 1937/38 wurde er als Händler in die Verwertungsaktion der
       beschlagnahmten modernistischen Werke aus Staatsbesitz einbezogen.
       
       ## Geschäftsfeld Führermuseum
       
       Nach deren Ende öffneten die Besetzung Frankreichs oder der Niederlande
       durch deutsche Truppen neue Märkte, in denen er bis 1944 unterwegs war. Der
       „Sonderauftrag“ zur Beschaffung hochkarätiger Kunst für das geplante
       „Führermuseum“ in Linz, der von Museumsdirektoren wie dem Dresdner Hans
       Posse und danach dem Wiesbadener Hermann Voss geleitet wurde, bot auch für
       Gurlitt ein Geschäftsfeld. Hat sich der „Vierteljude“ Hildebrand Gurlitt
       durch Ankäufe „von Raubkunst“ unter Wert am Unrecht gegenüber Juden
       bereichert? In begrenztem Maße sind Geschäfte mit hohen Gewinnen
       nachweisbar.
       
       Gurlitts Hamburger Galerie wird ausgebombt, er kann seine Sammlung in die
       Nachkriegszeit retten. Sie wird von amerikanischen Kunstoffizieren
       überprüft und belassen. Bereits 1948 wird Gurlitt zum Direktor des
       Düsseldorfer Kunstvereins berufen. Seine Hauptenergie geht in den
       Kunstbetrieb. Er macht 1954 erneut eine Beckmann-Ausstellung und wird von
       der Presse wegen seines Mutes gelobt, diesen expressiven Künstler noch 1936
       in seiner Privatgalerie präsentiert zu haben.
       
       Einzelne Anfragen durch NS-verfolgte Sammler oder auch deren Erben werden
       von der Familie abgewehrt, mit der falschen Behauptung, die Unterlagen
       seien im Krieg verbrannt. Gurlitt war offenbar Teil einer Mentalität der
       Selbstbereicherung, die in Teilen der damaligen gesellschaftlichen Eliten
       vorherrschte.
       
       Das Hauptergebnis des Buches besteht darin, zu zeigen, dass sich der ganz
       überwiegende Teil der Sammlung des Kunsthändlers aus Nachlässen des
       Großvater, der Schwester, Werken zahlreicher befreundeter modernistischer
       Künstler sowie Ankäufen aus mehreren Jahrzehnten zusammensetzt. Das ändert
       nichts daran, dass ein kleiner Teil als unrechtsbedingt zurückgegeben
       wurde.
       
       ## Fehlendes oppositionelles Bewusstseins
       
       Durch die weitere Erforschung könnten bis zu 20 hinzukommen, so wird
       vermutet. Für diese auf Hildebrand Gurlitt bezogene Geschichte bringt das
       Buch neue Fakten. Man kann hieraus folgern, dass er über eine wache
       Wahrnehmung für gute Kunst verfügte, geschickt Geschäfte machte und die
       Nähe zu den jeweiligen Entscheidungsträgern suchte.
       
       Weshalb aber diese Dämonisierung im November 2013? Um nicht „mitzumachen“
       hätte es eines oppositionellen politischen Bewusstseins bedurft, das er wie
       die ganz überwiegende Mehrheit des national eingestellten deutschen
       Bürgertums nicht hatte. So mag die Erkenntnis der Kontinuität über die
       1950er Jahre hinweg, als Hildebrand erneut als Direktor des Düsseldorfer
       Kunstvereins amtierte, bis zur Gegenwart der Sammlung einen Teil des
       Erschreckens unserer Zeitgenossen ausmachen.
       
       30 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Ruppert
       
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