# taz.de -- Fanchor-Meisterschaft in Braunschweig: Stadionrock im Theatersaal
       
       > Das Theater Braunschweig hat Fußballfans zur Fanchor-Meisterschaft
       > geladen. Künftig will man auch sängerisch mit den künftigen Zweitligisten
       > im Norden mithalten.
       
 (IMG) Bild: So sehen Sieger aus: Der „Club der 67er“
       
       BRAUNSCHWEIG taz | Eben noch dem Schwarzen „du Blinder“ zugerufen, schon
       kommt Farbe ins eigene Fußballerleben: Rote Karte wegen Beleidigung. Dabei
       dürfen Schiedsrichter blind sein. Sie würden immer wieder einem knallharten
       Fitness-, aber nie einem Sehtest unterzogen – wenn sie gut pfeifen, sei es
       also egal, was sie sehen, verrät Ronald Schober, Weltmeisterjahrgang 1974,
       in seinem Doku-Theatersolo „Schiri, wir wissen wo dein Auto steht“.
       
       Es ist eine Art Vorspiel zur 1. Fanchor-Meisterschaft, zu der das
       Staatstheater Braunschweig von 1690 die Eintracht von 1895 geladen hat,
       also die Begegnung zweier Spielvereinigungen mit Tradition.
       
       Schober ist von Beruf Schauspieler und genießt als Hobby die Machtfülle auf
       dem Bolzplatz, nämlich Ankläger und Richter, also der Mann mit der Pfeife
       zu sein. Zumindest in der Ober- und Regionalliga. Er sagt, man müsse nur 17
       Fußballregeln kennen. Mehr existierten gar nicht. Sie füllen nur deswegen
       ein 120-seitges Gesetzesbuch, weil sie mit der Exegese der Fifa und den
       Kommentaren des DFB garniert sind. Leckerbissen für die Juristenpingel
       unter den Schiris, ungenießbar für Fans.
       
       Die schlüpfen auf der Theatertoilette aus ihren Bürouniformen und legen
       blau-gelbe Trachten an. Einige ließen sich vorab Pinwandsticker in den
       Vereinsfarben an die Schläfe tackern, andere zeigen das Eintracht-Wappen
       als Tattoo oder lassen den Braunschweiger Löwen am Ohr baumeln. Da der
       Abend Teil eines „Festivals für Vielfalt & kulturelle Teilhabe“ ist, hängen
       an den Wänden Fotos von Fans im Rollstuhl, in schwuler Umarmung posierend
       oder als Muslima mit Kopftuch.
       
       Während sonst zum Anpfiff vereinzelte Weingläser viertelvoll auf den
       Bistro-Tischen des Theaters verlassen werden, quellen diese nun über mit
       randvoll geleerten Heimatbierkrügen. Im Parkett werden Schals geschwenkt,
       Oberkörper geschunkelt, es wird geklatscht und die La-Ola-Welle gemacht –
       ohne Regieanweisung werden Lieder und Parolen angestimmt. Hätte sich das
       Publikum zur Fanchor-Meisterschaft angemeldet, der erste Platz wäre ihm
       nicht zu nehmen gewesen.
       
       Das Theater spendiert Nebel, Vorhänge in blau-gelb sowie ein
       Moderatoren-Duo in Superman-Kostüm und gehäkeltem Blüten-Kleid mit
       brachial-dilettantischer Animation. Am Regietisch sitzt die Jury: eine
       Schiedsrichterin, der Opernchorchef und der Dezernent für Finanzen,
       Stadtgrün und Sport.
       
       Die 109 Teilnehmer quellen peu à peu in sechs Chorformaten auf die Bühne.
       „Ännie und die Worst trip boys“ aus Block 8 grölen sich hüpfend durch ihren
       Gospel-Vortrag. Zu einem billigen Karaoke-Track reimen die „Leine Löwen“
       „Herz“ auf „Schmerz“ und auf Verein „wird immer meine Liebe sein“. 30
       Schüler des „Blaugelben Klassenzimmers“ haben zwei Monate geübt, ein
       tapferer Klampfer versucht Megafoneinwürfe und wogenden Gesang auf einer
       Melodie zu verorten. Die „Jägi Jungs“ stampfen präzise einen Rhythmus in
       den Bühnenboden und ignorieren ihn singend. Sehnsucht nach vorgestern
       artikuliert der „Club der 67er“: „Eintracht Braunschweig, deutscher Meister
       1967, wir waren dabei“, so dichten die 13 Senioren Rod Stewarts „Sailing“
       um – das bringt 300 Euro plus Pokal.
       
       Aber den musikalischen Höhepunkt liefern „Schorse und das Fanprojekt“. Sie
       kommen mit formidabler Band, können Gesang und Songstruktur zur Deckung
       bringen, haben mit wallendem Stadionrock genau das richtige Genre gewählt.
       
       Davon waren die Veranstalter so euphorisiert, dass sogleich beschlossen
       wurde, einen professionellen musikalischer Direktor zur Gründung des
       Eintracht-Bürgerchores zu suchen, damit die Gesangsdarbietungen bald reif
       sind, auch Zweitligabegegnungen gegen Werder Bremens Massenchöre und
       96er-Hymnen aus Hannover zu gewinnen.
       
       14 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
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