# taz.de -- Debatte Sorgerecht: Kindeswohl statt Eltern-Egoismus
       
       > Jede Woche umziehen? Der Europarat meint, dass das Wechselmodell die
       > Regel nach einer Trennung sein sollte. Eine Gegenrede.
       
 (IMG) Bild: Immer nur Gast sein? Viele Kinder benötigen Kontinuität, Stabilität, Bindung
       
       Wenn es nach dem Europarat ginge, dann würde ein Kind nach der Trennung im
       Regelfall zu [1][gleichen Teilen bei Mutter und Vater] leben. Aus der Sicht
       der Eltern ist dieses sogenannte Wechselmodell eine prima Lösung: Vater und
       Mutter teilen sich die Verantwortung für ihr Kind, können beide weiterhin
       intensiven Kontakt zu ihm pflegen und den Alltag teilen. Beide haben aber
       auch kinderfreie Zeit und die Möglichkeit, eine neue Partnerschaft zu
       leben.
       
       Ob das Kind morgen mit seinen Freunden weiterspielen kann, die Aufführung
       im Kindergarten miterlebt, die grüne Lieblingshose anziehen kann, die jetzt
       gerade beim anderen Elternteil liegt, spielt keine Rolle. Auch nicht, ob es
       auf Dauer mit zwei wechselnden Erziehungsstilen umgehen kann, zumal wenn
       neue Partner der Eltern hinzukommen.
       
       Ganz abgesehen von der Frage, ob sich das Kind – am Ende gar zu Recht –
       überflüssig fühlt, wenn neue Familien entstehen, in denen andere Kinder
       kontinuierlich aufwachsen, während es selbst immer nur Gast bleibt? Gerade
       ganz junge Kinder benötigen Kontinuität, Stabilität, Bindung.
       
       Die Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags – das ist der
       gesammelte, an jahrzehntelanger Praxis geschulte Sachverstand deutscher
       Familienrichter – ist deshalb der Meinung, dass ein paritätisches
       Wechselmodell bei Kleinkindern praktisch kaum kindeswohlkonform
       durchführbar sei. Auch die Pubertät stellt besondere Anforderungen, die das
       Leben im Wechselmodell problematisch erscheinen lassen.
       
       ## Der Europarat liegt falsch
       
       Kinder halten zwar viel aus und können sich auf vielerlei Modelle
       einstellen, aber damit ist noch nicht gesagt, dass ihnen das stets auch
       guttut. Die gern zitierten schwedischen Studien helfen dafür übrigens nicht
       weiter. Wir brauchen endlich eine Studie, die das Ganze unter deutschen
       Gesamtlebensbedingungen sauber untersucht. Davon abgesehen müssen
       grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein: Beide Elternteile müssen in
       gewisser räumlicher Nähe zueinander und damit auch nahe der
       Bildungseinrichtungen, die das Kind besucht, wohnen. Sie müssen ihre
       Erwerbstätigkeit betreuungskompatibel gestalten, was oft mit
       Einkommenseinbußen verbunden ist. Natürlich muss auch die Wohnung groß
       genug sein – ebenfalls ein erheblicher Mehrkostenfaktor. Und überhaupt
       können nur Kinder kommunikationsfähiger und kooperativer Eltern auf Dauer
       im Wechselmodell leben.
       
       Man muss sich klarmachen, was der Gesetzgeber da von Eltern verlangt, die –
       was inzwischen die Regel ist – nach ihrer Trennung weiterhin gemeinsam
       sorgeberechtigt sind: Sie müssen Paarebene und Elternebene strikt trennen
       können. Die Paarebene mit allen erlittenen Verletzungen, Kränkungen,
       Trennungskrach beiseite schieben und als Eltern fair miteinander umgehen
       zum Wohl des Kindes. Schaut man sich diese Formulierungen an, dann fragt
       man sich manchmal, warum sich Eltern überhaupt trennen, die Derartiges
       hinbekommen.
       
       Das gemeinsame Tragen der Verantwortung für ein Kind verlangt den Eltern
       also aus Gründen des Kindeswohls ganz erhebliche Einschränkungen ihres
       Lebenszuschnitts ab. Bevor man über Rechte reden kann, sind erst einmal
       zahlreiche Pflichten zu erfüllen. Hierzu benötigen viele getrennt lebende
       Eltern staatliche Unterstützung, etwa durch Hilfe bei der Erstellung und
       Fortschreibung von Sorgeplänen und Angeboten für Mediation bei Konflikten.
       Und das Leben im Wechselmodell darf nicht an Fragen des Unterhalts- und
       Sozialrechts scheitern. Aber vorrangig ist in jedem Einzelfall immer zu
       prüfen: Entspricht das Leben im Wechselmodell gegenwärtig dem Wohl dieses
       konkreten Kindes?
       
       ## Kindeswohl statt Väterrechte
       
       Der Europarat liegt deshalb falsch, wenn er meint, dass das Wechselmodell
       die Regel nach einer Trennung sein sollte. Schon der Titel der 2015
       beschlossenen Resolution, „Gleichberechtigte und geteilte elterliche
       Verantwortung: Die Rolle der Väter“, führt in die falsche Richtung. Man
       hätte sie zum Beispiel auch „Stärkung des Kindeswohls: Kinder brauchen
       beide Eltern“ nennen können. Hat man aber nicht. Und auch der gesamte Text
       der Resolution verwendet den Begriff Kindeswohl nur recht sparsam.
       
       Wohlgemerkt: Das Kindeswohl ist seit den 1970er Jahren endlich zur
       zentralen Kategorie des deutschen und europäischen Kindschaftsrechts
       geworden. Das Kind wurde vom Objekt zum Subjekt. Und die „elterliche
       Gewalt“ über das Kind zur „elterlichen Sorge“, welche die Eltern
       treuhänderisch zum Wohl des Kindes auszuüben haben. Der Titel der
       Resolution ist also schon vielsagend.
       
       Damit ist freilich nicht gesagt, dass das Wechselmodell grundsätzlich
       ungeeignet ist und auch ansonsten im Kindschaftsrecht alles ideal geregelt
       wäre. Zum Beispiel erhalten nicht mit der Mutter verheiratete Väter in
       Deutschland noch immer nicht automatisch die elterliche Sorge für ihr Kind.
       Entweder müssen beide Elternteile eine Sorgeerklärung gegenüber dem
       Jugendamt abgeben oder – wenn das Familiengericht begründet – auf Antrag
       des Vaters nach einer Kindeswohlprüfung die gemeinsame Sorge.
       
       Sind die Eltern hingegen miteinander verheiratet oder wird die Ehe nach der
       Geburt des Kindes geschlossen, erhält der Vater ohne Weiteres das
       Sorgerecht. Durch die Eheschließung mit der Mutter scheint sich der Vater
       also als besonders geeignet zu erweisen. Problematisch hieran ist, dass
       nicht alle Beteiligten solche Erklärungen abgeben. Bei intakter
       Partnerschaft scheut der Vater – so die Mutter keine Sorgeerklärung abgeben
       möchte – oftmals den Gang zum Familiengericht. Solange alles gut geht, ist
       das kein Problem. Trennen sich die Eltern jedoch, fällt dem Vater womöglich
       erstmals auf, dass er überhaupt nicht sorgeberechtigt ist.
       
       Jedes Kind hat ein Recht auf die verantwortliche Sorge beider Elternteile –
       und damit einen Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber dies ermöglicht. Das
       beginnt nicht erst nach der Trennung der Eltern, sondern schon viel früher.
       Gleichberechtigung zwischen Müttern und Vätern ist ein wichtiges Anliegen.
       Aber nicht auf Kosten der betroffenen Kinder.
       
       10 May 2016
       
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