# taz.de -- Die Wahrheit: Mensch, cool!
       
       > Im Vergleich mit Tiefseefischen hat unsere Spezies doch einige
       > entscheidende Vorteile – und sei es nur das Aussehen.
       
 (IMG) Bild: Womöglich vor Fressfeinden geflüchtet. Allerdings in die falsche Richtung: ein Lanzenfisch
       
       Vor etwa 4,5 Millionen Jahren kollidierte ein Himmelskörper von der Größe
       des Mars mit der Protoerde, dem Vorgängermodell unseres Planeten. Es war
       kein Frontalzusammenstoß, mehr ein Streifschuss. Sonst gäbe es uns nicht:
       Denn dabei wurde Materie, vorwiegend aus der Erdkruste und dem Mantel des
       einschlagenden Körpers, in eine Erdumlaufbahn geschleudert, ballte sich
       zusammen und formte den Mond. Der Großteil des Himmelskörpers vereinte sich
       mit der Protoerde zur heutigen Erde. Der Rest ist Geschichte: Gravitative
       Differenzierung des Erdkörpers in Erdkern und Erdmantel, Entstehung der
       Atmosphäre, Evolution, Hitler, Mondlandung, C64, Schnitzel für den Toaster.
       
       Der Autor Henning Boëtius hat mal gesagt: „Am Besten wäre es, wenn die
       Spezies Mensch aussterben würde.“ Fragt sich natürlich: Für wen? Da Boëtius
       zuvor ein Buch über die Tiefsee verfasst hatte, meinte er wohl: für die
       Tiefseefische. Selbstverständlich kann jeder Einzelne seine Ökobilanz enorm
       verbessern, indem er sich umbringt. Für mich persönlich kommt das derzeit
       allerdings nicht infrage.
       
       Ich habe nichts gegen Tiefseefische, aber: Ich möchte mal eine Lanze für
       die Menschheit brechen. Sogar für das Arschloch, das mich heute morgen
       angerufen hat, wegen Marktforschung. Was wäre denn hier los ohne uns: Ein
       paar Arten, die sich gegenseitig auffressen und in perfekt funktionierenden
       Ökosystemen ihr instinktgesteuertes Dasein fristen. Gähn! Ein Paradies,
       aber wer hat was davon? Wir definieren das Paradies. Oder hat man schon mal
       davon gehört, dass ein Tier eine Gegend total schön findet? Ist das die
       wahre Motivation der Zugvögel? „Spatz, da fliegen wir nächstes Jahr wieder
       hin!“
       
       Zugegeben hat die Anwesenheit der Menschheit für ein paar andere Arten
       diverse Nachteile. Für Hähnchen, Tiefseefische oder Feldhamster, um nur
       einige zu nennen. Die Sache mit den Dinosauriern kann uns jedenfalls
       niemand in die Schuhe schieben. Wir hatten weder Motiv noch Gelegenheit.
       
       Noch mal: Wären wir auf den Bäumen geblieben und hätten uns um nichts
       anderes als die verdammte Arterhaltung gekümmert, wie die anderen sehr,
       sehr dummen Säugetiere auch, die Welt wäre öde.
       
       Wir haben die Schrift erfunden, die Philosophie, das Dressurreiten, die
       Musik. Diesen Scheißwalgesang kann sich doch kein vernünftiger Mensch
       anhören. Das kommt halt dabei raus, wenn man sich ausschließlich von
       Plankton ernährt.
       
       Ja, wir haben auch Fehler gemacht. Kriege, Kreuzzüge, Scripted Reality und
       Folter gehören nicht zu unseren Glanzleistungen. Aber am Ende erforschen
       wir die Tiefseefische und nicht umgekehrt. Und das ist jetzt vermutlich so
       ein Ding, was jede Spezies hat, also so eine Art Rassismus gegen andere
       Spezies, Speziesismus. Aber, und das muss man doch noch sagen dürfen, wir
       sehen auch besser aus als Tiefseefische. Alle von uns. Selbst wenn ich
       manchmal an der Menschheit verzweifle, ja mit großen Teilen nichts zu tun
       haben möchte. Von der Anlage her sind wir eine coole Spezies.
       
       15 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Gottschalk
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Menschheit
 (DIR) Evolution
 (DIR) Artenvielfalt
 (DIR) Fische
 (DIR) Wirtschaft
 (DIR) Charlotte Roche
 (DIR) Senioren
 (DIR) Kinder
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) Technologie
 (DIR) Udo Jürgens
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Tropische Tiefseefische: An die Küste von Oregon gespült
       
       Eigentlich leben sie in anderthalb Kilometer Tiefe in wärmeren Gewässern.
       Jetzt wurden einige großmäulige Lanzenfische an Stränden im Norden der USA
       gefunden.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Adler der rosigen Umsätze
       
       Die Wahrheit-Berufsberatung nimmt die Heißluftbranche der prall
       aufgeblasenen Motivationsredner unter die Lupe.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Erbrochenes vom Acker
       
       Burn-out, Verspannungen, Darmbeschwerden: Charlotte Roche sucht das Idyll
       auf dem Land und schmäht in einem Machwerk die Stadt.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Befreite Greise
       
       Weil immer mehr Menschen keinen Kontakt zu ihrem inneren Greis finden,
       bietet ein Age-Coach nun Kurse in altersgerechtem Verhalten an.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Perfect CV
       
       Wenn die Kleinen ihre Kita einzig zur Vorbereitung auf die Unternehmenswelt
       nutzen wollen, kann das schon mal einen Frühburnout einleiten.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Meine No-Go-Areas
       
       Es gibt Orte, an denen gelten Arschloch-Mantras. Flohmärkte gehören dazu.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die Sofa-Lüge
       
       Neue Technologien sollen private Daten überallhin senden. Mit „Smarter than
       you“ kann man ein richtiges Leben im falschen vorgaukeln.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Leonard und die Luschen
       
       Achtzigjährige Männer sollte man nicht unterschätzen. Heißen sie Leonard
       Cohen, werden sie von jüngeren Frauen nicht von der Bettkante gestoßen.