# taz.de -- Kommentar Brexit und EU: Es lebe die Republik!
       
       > Der Brexit ist ein Weckruf. Europa sollte endlich aufhören, nur eine
       > Union zu sein. Es muss zu einer echten Republik der Bürger werden.
       
 (IMG) Bild: Hat Europa eine Zukunft? Ja, meinen Mitglieder politischer Jugenorganisationen und demonstrieren am Freitag in Berlin
       
       Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die EU ist kaputt. Höchste Zeit,
       Europa neu zu denken. Es gibt zwei unangenehme Wahrheiten. Zum einen sind
       es nicht nur die Briten, die die Nase voll von der Europäischen Union
       haben, Marine Le Pen und Geert Wilders stehen schon in den Startlöchern.
       Zum anderen haben die sogenannten Populisten einfach recht, wenn sie, wie
       Nigel Farage in seiner ersten Reaktion auf das Ergebnis, anführen, dass
       dies ein Bürgerprotest gegen ein undemokratisches System sei. Denn genau
       das ist die EU: ein politisches System, das den Mindeststandards dafür, wie
       eine Demokratie zu organisieren ist, nicht genügt.
       
       Und wie reagieren EU-Vertreter darauf? Mit Durchhalteparolen, trockenen
       Binnenmarktargumenten und dem Verweis darauf, dass der Brexit primär „nur“
       ein britisches Problem sei. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.
       Die Börsen europaweit rutschen ab, der Euro ist auf Tiefflug, die Menschen
       sind stark verunsichert. Beim Brexit sitzen alle in einem Boot – der
       Kontinent und ganz besonders die EU werden sich von den Folgen nicht frei
       machen können.
       
       Wer jetzt noch nicht kapiert hat, dass Europa und seine Demokratie den
       Neustart braucht, der hat von den Krisen der letzten Jahre – von denen
       Brexit nur der jüngste Auswuchs ist – wirklich nichts verstanden.
       
       Das große Problem der gegenwärtigen Demokratie ist die Krise der
       Repräsentation. Die Bürger Europas sind schlichtweg nicht der Souverän des
       politischen Systems. Im Maastrichter Vertrag wurde geregelt, dass die EU
       zugleich Bürgerunion und Staatenunion ist. De facto ist die EU aber nur
       Staaten- und keine Bürgerunion. Und die EU-Bürgerschaft ist keine
       unmittelbare, sondern nur eine nachgeordnete. Sie ist an die jeweilige
       Staatsbürgerschaft gekoppelt. Anders formuliert: In der jetzigen EU zählen
       nur die Staaten. Ihre Regierungen entscheiden im Europäischen Rat, und
       gegen diese Ratsentscheidungen kann das Europaparlament, das ohnehin kein
       Legislativrecht hat, praktisch nichts tun.
       
       In jeder normalen Demokratie westlicher Prägung können die Bürger
       opponieren und eine Regierung abwählen. In der EU können sie das nicht.
       Trotzdem entscheidet die EU über viele Dinge, die sich unmittelbar auf den
       Lebensalltag auswirken.
       
       ## Gleiche soziale Rechte für alle
       
       Wenn wir die EU nicht abwickeln wollen, brauchen wir eine Demokratie, die
       das Prinzip der Gewaltenteilung endlich ernst nimmt und den allgemeinen
       Grundsatz der politischen Gleichheit respektiert. Das heißt, die Bürger
       sind gleich vor dem Recht, bei Wahlen, bei Steuern und beim Zugang zu
       sozialen Rechten.
       
       Cicero spricht in seiner Definition der Republik von ius aequum. Daraus
       ergäbe sich zum einen ein komplett neu gestalteter europäischer
       Parlamentarismus, der dem Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ genügen würde.
       Dann wäre es nicht mehr möglich, die Bürger Europas dauernd gegeneinander
       auszuspielen, während die Unternehmen fröhliches Steuer- und Lohnshopping
       betreiben. Aus dem gleichen Zugang zu sozialen Rechten ergäbe sich
       schließlich eine europäische Arbeitslosenversicherung, die das soziale
       Desaster in Südeuropa infolge der Eurokrise verhindert hätte.
       
       Wann immer sich Bürger zu einem politischen Projekt zusammengeschlossen
       haben, haben sie eine Republik gegründet. Keines der alten Traktate
       verlangt dabei, dass es dafür ein „nationales Staatsvolk“ geben müsse. Der
       Begriff der Republik ist damit die perfekte Gussform für ein politisches
       Emanzipationsprojekt in Europa auf der Grundlage des allgemeinen
       politischen Gleichheitsgrundsatzes. Wenn 1789 „Gleichheit jenseits von
       Klassen“ die Forderung war, dann geht es heute in Europa – ohne Blut und
       Gewalt, sondern mit Sinn und Verstand – um die Gleichheit der europäischen
       Bürger „jenseits von Nationen“.
       
       Die Zeit für echte Demokratie in Europa ist gekommen. Zeit für die
       Europäische Republik!
       
       24 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Guérot
       
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