# taz.de -- Global Pop-Festival in Berlin: Regenguss und Sufi-Trance
       
       > Das „By The Lake“-Festival ist wie ein Weltmusik-Festival für Leute, die
       > das Wort „Weltmusik“ hassen.
       
 (IMG) Bild: Reisten zwar nicht mit dem Rad an, spielten aber: Die 80er-Kultband Laid Back
       
       Das Vergnügen, das der geneigte Konzertgänger sonst an fast jedem Abend der
       Woche suchen kann, ist derzeit vom Sommerloch verschluckt. Die
       Festivalsaison sorgt dafür, dass Künstler und Publikum eher auf Äckern und
       an Badeseen zusammenfinden als in Clubs.
       
       Und auch die beiden Berliner Festivals, die nun ungünstigerweise zeitgleich
       stattfanden, tragen beide das Feiern am Wasser im Titel: „Down by The
       River“ und „By The Lake“. Schwere Entscheidung, attraktiv sind beide
       Line-ups. Doch weil bei „By The Lake“ eine schräge und eklektizistische
       Achse zwischen Skandinavien und Nordafrika aufgemacht wird und mit dem
       Weißen See zudem ein echtes Gewässer im Spiel ist, soll es das werden.
       
       Veranstalter ist übrigens ein Verein, der von der in Berlin arbeitenden,
       aus Dänemark stammenden Band Efterklang mitgegründet wurden. So erklärt
       sich auch der Fokus auf dänische Acts.
       
       ## Klatschnasse Hose
       
       Dooferweise kommt das Wasser am ersten Festivaltag, an dem die
       Freilichtbühne Weißensee bespielt wird, erst mal von oben und macht beim
       Auftritt der unbedingt sehenswerten Selvhenter alle so richtig nass:
       Gewitter, Hagel, das ganzen Programm.
       
       Irgendwie klar, dass die Elemente sich von diesem Sound herausgefordert
       fühlen: Das Frauen-Quintett aus Kopenhagen, das an diesem Tag nur zu viert
       ist, zeigt mit Posaune, Saxofon, Violine, verschiedenen Verzerr-Pedalen
       und Schlagzeug, dass Drone und Dynamik sich nicht ausschließen.
       
       Im Gegenteil: Zu ihren Kompositionen, die Free Jazz, Noise und
       Improvisation zusammenbringen und darüber ein luftiges Netz aus Rhythmen
       spannen – das indonesische Gamelan ist ein Einfluss –, will man sich
       unbedingt bewegen. Von den eher spärlich gefüllten Rängen drängt man vor
       die Bühne, statt Schutz vor dem Wetter zu suchen.
       
       Leider ist die Hose danach klatschnass und schwer wie ein Sack Kartoffeln.
       Wie gut, zuvor auf dem Hinweg mit dem Fahrrad die Augen aufgesperrt zu
       haben – so weiß man jetzt, wo es in Billigshops Jogginghosen gibt, die
       nicht teurer sind als ein Getränk. Jetzt wieder eine trockene Hose
       anzuhaben, hebt die Laune noch mehr als die hervorragenden Gin Tonics.
       Weiter geht es mit dem Tuareg-Gitarristen Mdou Moctar, der samt zweitem
       Gitarristen und Drummer Klangschleifen baut.
       
       Danach hypnotisieren The Master Musicians of Jajouka aus Marokko ihr
       Publikum. Ihr Sufi-Trance begeisterte schon den 1969 ertrunkenen Rolling
       Stone Brian Jones und motivierte ihn zu einem Projekt. Damals, als die
       Beatniks sich von dieser Tradition inspirieren ließen – Timothy Leary
       nannte sie „The four thousand year old rock band“ – führte der Vater des
       heutigen Bandleaders Bachir Attar die Gruppe an.
       
       Bei ihnen gibt es eine Mischung aus Drone und komplexen Rhythmen, die mit
       verschiedenen Trommeln erzeugt werden. Toll vor allem die Tröten mit Namen
       Ghaita, die dem munter kiffenden Publikum richtig ins Mark fahren.
       
       Zum Abschluss des Tages geht allen richtig das Herz auf, als Liss die Bühne
       betreten. Die vier jungen Dänen wirken wie eine Schülerband, sind aber
       vermutlich immerhin 20 und klingen, als würden sie seit 20 Jahren
       zusammenspielen, so catchy und auf den Punkt ist ihr Soul-Pop. Und diese
       Stimme! Sänger Søren Holm klingt wie das Wunschkind von Frank Ocean und
       Blood Orange.
       
       Am nächsten Tag kommt dann endlich der namensgebende See richtig ins Spiel,
       man trifft sich nämlich im Strandbad Weißensee. Das ist dann wirklich wie
       ein Tag am Meer, mit Schwimmen und Bootfahren, den Soundtrack dazu liefern
       – wie passend – unter anderem Laid Back („Sunshine Reggae“).
       
       Und als dann zum Abschluss der legendäre King Khan mit seinen Shrines ganz
       großes Tennis abliefert und zwischendurch erklärt, was man in einer immer
       schlechter werdenden Welt noch Gutes kann – etwa mit seinen transsexuellen
       Freunden thailändisch essen gehen, weil sie da vom Personal garantiert gut
       behandelt werden – fühlt sich die Welt gar nicht so übel an.
       
       8 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stephanie Grimm
       
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