# taz.de -- Fehler bei Terrorermittlungen: Nicht der Mann mit dem Hut
       
       > „Das wird man nie wieder los“, sagt Adnan Ahmad. Er wurde nach den
       > Attentaten in Brüssel als Terrorist verdächtigt.
       
 (IMG) Bild: Voll gerüstet für die Terrorbekämpfung – doch trotzdem trifft es manchmal die Falschen
       
       HASSELT taz | Das Donnern gegen die Haustür ist so wuchtig, dass Adnan
       Ahmad mit einem Mal aufrecht im Bett sitzt. Seine zwei Töchter sind bereits
       wach und gucken Fernsehen. Es ist Sonntag, der 27. März 2016. Ahmad, 29
       Jahre alt und alleinerziehender Vater, hat bis eben im Haus seiner Eltern
       im belgischen Städtchen Hasselt geschlafen. Wer macht einen solchen Lärm
       morgens um halb neun? Im Flur schaut er aus dem Fenster. Vor der Haustür
       steht eine Polizeieinheit.
       
       „Was habe ich mit der Polizei zu tun“, denkt er, während er verwundert
       etwas zum Anziehen sucht. Seine Mutter hat die Tür geöffnet, und schon
       stehen die Polizisten im Obergeschoss neben ihm. „Dies ist eine
       Hausdurchsuchung“, verkündet einer der Beamten. Ahmad ist perplex. Eine
       Hausdurchsuchung, bei ihm, wie kommen sie darauf? Er übergibt ihnen, wonach
       sie fragen: die Schlüssel von Wohnung und Betrieb, Autoschlüssel, Telefon,
       Portemonnaie.
       
       „Worum geht es eigentlich, Meneer?“, fragt er einen Polizisten. – „Du wirst
       gesucht wegen Terrorismus. Du musst mitkommen.“ Er erschrickt, zugleich
       muss er lachen, daran erinnert er sich noch genau. Absurd ist das. Warum
       sollte man ihn, den friedfertigen Inhaber einer Ambulanzfirma, der noch nie
       mit Politik zu tun hatte, der schon jahrelang nicht mehr in die Moschee
       geht, mit Extremismus in Zusammenhang bringen?
       
       Zum Lachen ist das freilich nicht. Ehe er sich versieht, wird er in
       Handschellen die Treppe heruntergeführt. „Sie können Papa doch nicht
       einfach so mitnehmen“, wird seine siebenjährige Tochter später sagen.
       
       ## Stundenlanges Warten
       
       Adnan Ahmad landet in einer Zelle im Keller der Bundespolizei, Abteilung
       Hasselt. Er bekommt ein Glas Wasser und die Antidepressiva, die er schon
       seit Längerem gegen Stress schluckt. Nach Essen fragt er vergeblich. Einmal
       verlegt man ihn in eine andere Zelle. Dann wartet er wieder, stundenlang,
       und ohne eine Ahnung, wie es weitergeht. Längst ist es dunkel geworden, als
       sich die Zellentür öffnet. Es ist fast Mitternacht. Zwei Beamte, die ihrem
       Akzent nach nicht von hier sind, bringen ihn in Handschellen in ein karges
       Verhörzimmer. Eine schwere Tür, ein Tisch, ein Schreibtisch mit Computer,
       an der Decke eine Kamera.
       
       „Wo waren Sie am 22. März?“, fragt einer der beiden Beamten. Der Tag, als
       der Terror nach Brüssel kam. Ahmad weiß es nicht genau. Sein Alltag ist so
       eng getaktet, dass er sich kaum je erinnert, was er am Abend zuvor gegessen
       hat. Doch zugute kommt ihm jetzt, dass er, der lange als Informatiker
       gearbeitet hat, über ein Telefon verfügt, auf dem ständig alle Kanäle auf
       „on“ stehen. GPS, Wi-Fi, Blue Tooth. Darauf weist er die Polizisten hin.
       Das Telefon müssten sie längst untersucht haben. Seine Wege zu
       rekonstruieren ist ein Leichtes. Die zweite Frage macht ihm Angst. „Sind
       Sie der Mann mit dem Hut?“
       
       Das ist ein schlimmer Verdacht. Weit schwerwiegender als der Vorwurf,
       radikalisiert zu sein oder entsprechende Freunde zu haben. Dies ist der
       konkrete Verdacht, Adnan Ahmad könnte der meistgesuchte Terrorist des
       Landes sein. Der dritte, verhinderte Attentäter bei dem Anschlag auf den
       Flughafen Zaventem, dessen Bild in den letzten Tagen überall in den
       Nachrichten war.
       
       Ein Foto im Übrigen, über das sich Adnan Ahmad ereifert hatte. Wenn ich im
       Auto geblitzt werde, dachte er, bin ich auch bei Tempo 250 scharf zu
       erkennen. Aber die Kameras auf dem nationalen Flughafen liefern eine
       Qualität wie ein Handyfoto aus dem Jahr 2000. Eine Schande, befand der
       IT-Experte Adnan Ahmad. Der Terrorverdächtige Adnan Ahmad realisiert
       plötzlich, wie gefährlich dieses verschwommene Foto ist, denn irgendeine
       Gesichtspartie gleicht fast bei jedem dem Mann mit dem Hut.
       
       ## Türen aufgebrochen, Computer konfisziert
       
       „Ich habe kein Hut. Ich weiß nichts davon“, hört er sich sagen. Was soll er
       sonst antworten? Und was für ein seltsames Verhör ist das eigentlich? Schon
       ist es vorbei, sie bringen ihn zurück in die Zelle und kurz darauf in einen
       Polizeibus, der wenig später vor dem Haus seiner Eltern hält. Man lässt ihn
       aussteigen und öffnet ihm wortlos die Handschellen. Die Türen des Busses
       schließen sich, dann fährt er davon. Es ist etwa ein Uhr in der Nacht.
       
       Die Eltern, 1991 als politische Flüchtlinge aus Pakistan gekommen, sind
       noch wach, sie drücken ihn an sich und sagen, dass alles gut wird. Aber das
       wird es nicht.
       
       Dass man Ahmad freigelassen hat, bedeutet weder, dass man ihm glaubt, noch,
       dass der Horror vorbei ist. Man sieht das wenige Stunden später: In der
       Dämmerung untersuchen Polizisten den Krankenwagen, den Adnan Ahmad vor dem
       Haus der Eltern geparkt hat. Sie öffnen Türen und Motorhaube, durchsuchen
       das Auto. 2015 kaufte der Jungunternehmer den fast bankrotten
       Ambulanzbetrieb auf, in dem sein Vater schon seit sechs Jahren gearbeitet
       hatte, und machte daraus den größten der Region.
       
       Das ganze Ausmaß eines Terrorverdachts entfaltet sich erst, als er am
       nächsten Tag ins Büro kommt. Obwohl sie die Schlüssel ja hatten, haben die
       Beamten die Türen aufgebrochen und Computer und Geschäftsunterlagen
       konfisziert. Sämtliche Krankenwagen wurden beschlagnahmt, auch die
       Privatautos aller 18 Angestellten. Etwa 12 Abschleppwagen müssen im Einsatz
       gewesen sein, während Ahmad in der Zelle wartete. Sogar die Ausfallstraße
       zwischen Stadtzentrum und Autobahn, an der sein Betrieb Ambumedical liegt,
       wurde gesperrt. Mitarbeiter, die zur Arbeit erschienen, ließen die Beamten
       mit vorgehaltener Pistole aussteigen.
       
       Später erst wird Adnan Ahmad von der Staatsanwaltschaft erfahren, wie er
       ins Blickfeld der Fahnder geriet. An dem Tag, an dem man ihn festgenommen
       hat, sollte in Brüssel eine große Gedenkfeier für die Opfer der Anschläge
       stattfinden. Die Antiterrorbehörde OCAD hatte einen anonymen Hinweis
       bekommen, dass dort eine Bombe explodieren sollte, die in einem
       Krankenwagen versteckt wäre. Adnan Ahmad ist anscheinend der Einzige aus
       einer Migrantenfamilie, der hierzulande eine Ambulanzfirma betreibt. Als
       Informatiker, der schon in jungen Jahren für internationale IT-Unternehmen
       arbeitete, ist ihm klar: Statt auf Intelligenz zu setzen, wurde hier
       ethnisch profiliert.
       
       „In dieser Zeit kurz nach den Anschlägen wurden viele potentielle
       Verdächtige gescreent“, erläutert Yves Driesen, Kommissar der Bundespolizei
       Hasselt. Es ist Sommer, und der Mann mit dem Hut ist längst gefasst. Im
       Büro von Ahmads Firma hängt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft, dass die
       Ermittlungen eingestellt sind. Und doch steht Ahmad vor einem
       Trümmerhaufen. Sein Betrieb ist beinahe bankrott. Als er unter
       Terrorverdacht geriet, kündigte ein Krankenhaus die Zusammenarbeit,
       Geschäftspartner beglichen die Rechnungen nicht mehr. Lange konnte Ahmad
       nicht einmal Rechnungen stellen, weil die Geräte konfisziert waren. Zwei
       Drittel der Mitarbeiter sind inzwischen entlassen.
       
       Auch in Ahmads eigenem Appartement in der Stadt fand im März eine Razzia
       statt. Zahlreiche Geräte wurden beschlagnahmt, ohne dass eine exakte
       Inventarliste angelegt worden wäre. Wochenlang musste sich Ahmad mit den
       Behörden herumschlagen. Noch immer sind nicht alle Computer wieder
       freigegeben, andere bekam er nur zurück, weil er einen Anwalt einschaltete
       und Klage gegen die Behörden einreichte: „Weil sie mir meinen Besitz nicht
       zurückgeben, wegen körperlichem und emotionalem Schaden sowie
       Geschäftsschädigung. Und wegen Rassismus.“ Beamte der Föderalen Polizei
       nannten ihn „brauner Affe“, Ahmad kennt dieses Schimpfwort seit seiner
       Schulzeit.
       
       ## Drei weitere Verhaftungen
       
       Seit der Klage fühlt er sich jedoch mehr denn je „wie ein Wild im
       Scheinwerferlicht“. Dreimal schon wurde er kurzfristig verhaftet und nach
       einigen Stunden wieder freigelassen. „Einmal wollte ich ein Sandwich
       kaufen. Ein Polizist kam auf mich zu, fragte mich nach meinem Ausweis. Dann
       drückte er mich auf den Bordstein, legte mir Handschellen an, meine Kleider
       waren zerrissen, die Lippe geschwollen, ich hatte eine Wunde am Arm. Ein
       paar Stunden in der Zelle, dann konnte ich wieder gehen.“ Die
       Staatsanwaltschaft Hasselt weiß auf Nachfrage der taz nichts von dem
       Vorfall. Seit Wochen wartet Adnan Ahmad vergeblich auf eine Kopie seiner
       Verhörprotokolle.
       
       Am Ende dieser Geschichte steht die totale Entfremdung. „Mit Belgien bin
       ich fertig“, sagt Ahmad, und einmal mehr fällt auf, wie sehr er den lokalen
       Tonfall angenommen hat. „Ich habe einen Teil meiner Identität hinter mir
       gelassen, in Pakistan, und einen Teil von hier habe ich angenommen. Den
       haben sie mir weggenommen.“ Eine Entschuldigung für alles, was ihm
       widerfuhr, hat er nie bekommen.
       
       Bekannte, ehemalige Mitarbeiter, Eltern aus der Schule seiner Töchter gehen
       auf Abstand. „Wo Rauch ist, ist auch Feuer, denken sie“, sagt Adnan Ahmad.
       „Terrorismuserdacht, das wird man nie wieder los.“ Eine Annäherung an die
       muslimische Identität seiner Eltern kommt für ihn, der sich selbst einen
       Atheisten nennt, nicht infrage. „Ich fange doch nicht wieder an zu glauben,
       weil ich ungerechtfertigt festgenommen wurde.“
       
       Sein Beschluss, wegzugehen, steht fest. Wohin, das weiß er noch nicht, nur
       dass ihm der Abstand zu Belgien kaum groß genug sein kann. Für die Zukunft
       seiner Töchter. Und wenn er selbst sich je wieder als freier Bürger fühlen
       soll, kann das nicht hier sein. „Dieses Gefühl haben sie mir genommen. Und
       das Gefühl von Zuhausesein, das ich hier hatte.“ Was ihn noch umtreibt, ist
       die Suche nach seinem früheren Ich. „Wie kann ich wieder frei sein, der
       glückliche, friedliebende Mensch, der ich früher war? Diesen Adnan habe ich
       verloren.“
       
       21 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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