# taz.de -- Die Wahrheit: Krone der Köpfung
       
       > Es gibt viel zu viele Unfälle im Straßenverkehr. Allerdings übersehen
       > würdelose Radfahrer gern das Elend der Insekten.
       
 (IMG) Bild: Schmackel, schmackel – schmackhafte Insekten schmecken nicht nur Radfahrern
       
       Rad- und Autofahrer passen einfach nicht zusammen. Die Niederländer haben
       das jetzt begriffen und einen Kniff erfunden, der unlängst auch im
       Deutschlandradio Wissen auftauchte. Mit ihm vermeiden Autofahrer das
       Ärgernis, dass immerzu Radfahrer an die unachtsam geöffnete Tür prallen.
       Zwanzig Radler, so wird der einfache Kniff angekündigt, verunglücken pro
       Jahr auf ebendiese Weise in Deutschland tödlich, 290 werden schwer und
       2.000 leicht verletzt.
       
       Der Mensch ist so egoistisch. Stets sorgt er sich nur um den wertvollen
       Lack seines blöden Autos. Vielleicht auch noch um das schlimme Geröchel des
       Radlers, das einen schon mal kurz runterziehen kann, sowie um mögliche
       Scherereien mit Behörden, Angehörigen und Versicherungen. Vor allem aber
       geht es ihm um sich selbst, also den Menschen, den er in
       anthropozentrischer Verblendung für die kostbare Krone der Schöpfung hält.
       
       ## Hohe Unfallquote bei Insekten
       
       Insekten würden sich angesichts einer solchen Unfallquote an den Kopf
       greifen. Für zwanzig Tote nähmen die nicht mal einen Stift in die Hand, um
       das entsprechende Säulendiagramm zu zeichnen. Denn wie viele Insekten
       sterben jedes Jahr auf Windschutzscheiben – übrigens ohne deshalb gleich
       ein Riesentrara zu veranstalten –, nur weil rücksichtslose Fahrzeugführer
       auf sie zurasen, als wären sie überhaupt nicht da! Anstatt auszuweichen
       oder wenigstens Tempo und Aufmerksamkeit dergestalt anzupassen, dass
       Insekten eine realistische Chance haben, rechtzeitig beiseite zu hopsen, zu
       fliegen oder zu kriechen, töten sie jedes Jahr leichtfertig 17
       Quadrillionen Insekten, verletzen 200 Quintilliarden schwer und 3
       Oktillionen leicht. Das sind noch Zahlen, die sich Zahlen nennen dürfen.
       Echte Zahlenzahlen und keine ein- bis zehnstelligen Zifferchen, mit denen
       man allenfalls Vorschüler beeindrucken kann.
       
       Was man darüber hinaus keinesfalls vergessen darf, ist die seelische
       Belastung der Augenzeugen. Auch die erreicht bei Insekten ja ganz andere
       Dimensionen, ob qualitativ oder quantitativ. Beim Menschen ist das Problem
       vernachlässigbar, denn bei jedem Unfall werden im statistischen Mittel kaum
       anderthalb Radler Zeuge. Der Fahrradfahrer ist einsam und böse, genauso wie
       der Autofahrer und besonders im Herbst.
       
       Ganz anders die Insekten: Die geselligen und sozialen Tiere machen
       schließlich immer alles gemeinsam: Nahrung sammeln, Nester bauen,
       rumschwärmen. Daher müssen auch jedes einzelne Windschutzscheibenunglück
       all dieser tödlich verunglückten, schwer und leicht verletzten jeweils
       weitere 50 Trillionen Insekten mitansehen. Nun auszurechnen, wie viele
       zutiefst traumatisierte Kerbtiere das insgesamt zurücklässt, überlassen wir
       den Mathematikern. Dann haben sie mal was zu tun und pinkeln nicht in
       U-Bahn-Eingänge oder belästigen Frauen mit dem schlecht imitierten Geschrei
       ranziger Kater.
       
       Dass von dem Elend unserer kleinen Freunde keiner etwas mitbekommt, liegt
       zum einen an mangelnder Empathie, zum anderen aber auch daran, dass sich
       Insekten eben extrem zusammenreißen. Nur wer sämtliche Antennen ausfährt,
       bemerkt, wie sich lautlose Schreie und stille Tränen zu einer stummen
       Anklage summieren. Das würdelose Geheul eines Radfahrers um seine Knochen,
       die erbärmliche kleine Sorge des Autolenkers um seinen Lack, machen
       dramatisch natürlich viel mehr her.
       
       Noch gewaltiger ist die Diskrepanz, wenn Straßenlaternen mit im Spiel sind.
       Im Schnitt nur lächerliche 0,8 Radfahrer jährlich sterben im Straßenverkehr
       unter, meist passiver, Mitwirkung einer Straßenlaterne, während weltweit
       eine knappe Bombastilliarde Insekten an den langbeinigen Mörderinnen aus
       Eisen ihr Leben aushauchen, verbrutzeln, verschmurgeln, verbrennen.
       Aneinandergereiht ergäben die Insekten eine Kette, die zehnmal zum Saturn,
       als Freundschaftsbändchen um alle Ringe herum und wieder zurück reichen
       würde.
       
       ## Dauerhupen als Warnung an Mehrbeiner
       
       Zum Glück machen sich heute immer mehr Leute über solche Dinge Gedanken. So
       sollen manche in dieser verrückten, postmodernen Zeit, in der wir leben,
       sogar gar keine Tiere mehr essen. Andere wiederum wollen eben auch keine
       Tiere mehr überfahren und sich Lösungen ausdenken, wie zum Beispiel nur
       noch unter Dauerhupen zu fahren, um die notorisch harthörigen Insekten, für
       die das Motorengeräusch oft nicht laut genug ist, zu informieren, zu warnen
       und abzuschrecken.
       
       Selbstverständlich sollten auch Straßenlaternen, sämtliche Lampen und
       überhaupt alles Licht zumindest bei Dunkelheit konsequent ausgeschaltet
       bleiben. Der Kniff geht übrigens so: Als Autofahrer die Tür immer mit der
       rechten Hand öffnen, dann blickt man automatisch über die eigene linke
       Schulter hinweg!
       
       2 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
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