# taz.de -- Debatte Krieg in Syrien: Beim Sterben wegsehen
       
       > Präsident Assad begeht mit Hilfe Russlands einen Massenmord im Osten
       > Aleppos. Die Friedensbewegung schaut weitgehend tatenlos zu.
       
 (IMG) Bild: Der Osten von Aleppo am Montag
       
       Fast sechs Jahre währt der Konflikt in Syrien. Hunderttausende sind dabei
       ums Leben gekommen, Zehntausende verschwunden, über die Hälfte der
       Bevölkerung befindet sich auf der Flucht und über eine Million Menschen ist
       unter Belagerung. Es handelt sich um die weltweit größte humanitäre Krise
       dieser Tage – und sicherlich um die medial am besten dokumentierte. Die
       Auswirkungen bekommt ganz direkt die Region zu spüren, aber indirekt auch
       Deutschland, das seit 2011 rund eine Million Flüchtlinge aus Syrien
       aufgenommen hat.
       
       Niemandem kann das Drama, das sich in Syrien abspielt, entgehen, und
       dennoch gibt es keinen Aufschrei. Die geringe Zahl der öffentlichen
       Kundgebungen gegen das Morden in Syrien stimmt selbst Kanzlerin Angela
       Merkel nachdenklich, und auch Volker Kauder wunderte sich, dass es still
       wird auf deutschen Straßen, wenn es darum geht, gegen Russlands
       Kriegsverbrechen in Syrien zu demonstrieren.
       
       Als im vergangenen Jahr Russland seine direkte und bis heute andauernde
       militärische Intervention begann, drehte ein Aktivist ein Video mit dem
       verheißungsvollen Titel: „Exklusiv: Protest in Berlin vor der russischen
       Botschaft!“ – zu sehen darauf: gähnende Leere, abgesehen von ein paar
       unbeteiligten Passanten.
       
       Ein wenig hat sich in den vergangenen Wochen geändert: Angesichts dessen,
       dass das bislang von Rebellen gehaltene Ostaleppo ausgelöscht wird, riefen
       prominente SchriftstellerInnen zu einer Demonstration vor der russischen
       Botschaft in Berlin auf, zu der immerhin einige Hundert kamen. Die
       Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner und Norbert Röttgen starteten
       eine Onlinepetition gegen das Wegschauen – selbst im Netz bleibt die
       Unterstützung überschaubar.
       
       ## Das Besserwissersofa
       
       Wo also sind sie, die Friedensbewegten, während sich ein in jedem Jahr
       maßloser gewordener Massenmord abspielt? Ein Teil von ihnen ist auf dem
       heimischen Besserwissersofa damit befasst, zu bedauern, dass der Aufstand
       in Syrien sich bewaffnet hat. Sie wünschen sich die lupenreinen,
       friedfertigen Demokraten als Aufständische, die auch die andere Wange
       hinhalten.
       
       Dabei übergehen sie geflissentlich, dass die syrischen Proteste in den
       ersten Monaten 2011 im Wesentlichen genau daraus bestanden: aus Menschen,
       die zum Zeichen dessen, dass sie unbewaffnet sind, mit erhobenen Händen
       „Silmi, silmi“ – „friedlich, friedlich“ – skandierend durch Syriens
       Innenstädte zogen und dafür immer brutaler von der Armee angegriffen und
       vom Geheimdienst verfolgt wurden.
       
       Selbst wenn die Friedensbewegung sich aufmacht, laufen ihre Anhänger mit
       Verve in die falsche Richtung. Statt zu kritisieren, dass die USA und
       Europa ihren Forderungen nach einem Rücktritt Assads keine Taten haben
       folgen lassen und damit sehenden Auges in die Katastrophe gestolpert sind,
       werden Initiativen wie Hands Off Syria nicht müde, hinter dem Volksaufstand
       eine amerikanische Strategie zum Sturz des Regimes zu wittern, verwahren
       sich Pazifisten gegen eine noch nie wirklich diskutierte Intervention des
       Westens, nicht aber gegen die unübersehbare, brutale Intervention Russlands
       oder Irans.
       
       Die Erinnerung daran, dass man es als Bevölkerung mit einem Diktator zu tun
       haben kann, den man nicht aus eigenen Kräften los wird, scheint aus den
       europäischen Gesellschaften geschwunden. Dabei spielt eine Rolle, dass
       einige die Welt weiterhin entlang längst obsolet gewordener Schemata
       begreifen, deren hartnäckigstes vielleicht der Glaube daran ist, dass
       allein die USA verwerflich und imperialistisch agieren und Russland dagegen
       Widerstand leiste.
       
       An die Stelle einer Verantwortungsmoral ist die Gesinnungsmoral getreten.
       Lieber bleibt man seinem schlichten Weltverständnis treu, nachdem westliche
       Waffen keinen Frieden schaffen, als sich damit auseinanderzusetzen, dass
       nicht jeder Konflikt sich lösen lässt, ohne militärische Optionen auch nur
       zu erwägen. Das syrische Regime hat an keiner Stelle Konzessionen gemacht.
       Es nutzt das internationale Feigenblatt der Verhandlungen, um in seinem
       Schatten eine gnadenlose Militäroffensive gegen die eigene Bevölkerung zu
       vollstrecken – etwas, das gerade Pazifisten umtreiben sollte.
       
       Doch weite Teile von ihnen schweigen oder suchen die Schuld an anderer
       Stelle, um keine Konfrontation mit Russland einzugehen. Damit einher geht
       die Bereitschaft, Propaganda aufzusitzen – absurderweise meist mit der
       Behauptung, besonders kritisch zu sein und daher den Mainstreammedien nicht
       zu glauben.
       
       ## Hartnäckige Lügen
       
       Das syrische Regime hat eben diese Vorliebe für das Abwegige brillant
       genutzt. Von Anfang an hat es diejenigen, die angetreten waren, um Würde,
       Reformen und ein Ende der Korruption einzufordern, als Terroristen
       diffamiert. Mehr als die tatsächliche Zerstrittenheit der syrischen
       Opposition und aller Verbrechen der mit ihr assoziierten Gruppen ist es das
       Muster einer hartnäckigen Lüge, die nur oft und schamlos genug wiederholt
       werden muss, damit genügend Leute sie glauben.
       
       Jede Diskussion über das, was sich in Syrien abspielt, läuft Gefahr, mit
       den Totschlagargumenten, es sei komplex und man könne ja nicht so genau
       wissen, abgebügelt zu werden. Vieles kann man in der Tat nicht genau
       wissen, doch dass ein Massenmord stattfindet, dass über 90 Prozent der
       getöteten ÄrztInnen, JournalistInnen, ZivilistInnen auf das Konto des
       syrischen Regimes und seiner Verbündeter gehen, schon. Mutige
       BürgerjournalistInnen und syrische MenschenrechtsaktivistInnen
       dokumentieren das Geschehen minutiös – und unter Berücksichtigung aller
       Opfer. Westliche Journalisten haben große Risiken in Kauf genommen, solide
       Recherchen aus dem Herzen des Konfliktes zu liefern.
       
       In den Kommentarspalten der Artikel tönen aber diejenigen, die lieber
       irrlichternden Verschwörungstheoretikern und der Propaganda des Regimes und
       seiner Unterstützer glauben. So können sie das der eigenen Tatenlosigkeit
       geschuldete schlechte Gewissen ignorieren. Das ist, als würde man bei einem
       Unfall die Schaulustigen, die die Rettungsarbeiten behindern, als
       eigentliche Helden bejubeln.
       
       10 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bente Scheller
       
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