# taz.de -- Haltung zu Aleppo: Mit zweierlei Maß
       
       > An der Syrien-Frage zeigt sich, wie fehlgeleitet so manche
       > antiimperialistische Linke sind: Sie feiern Putin und Assad und verhöhnen
       > die Opfer des Kriegs.
       
 (IMG) Bild: Ehemals Aleppo, jetzt Friedensprojekt von Putin und Assad
       
       „Aus Aleppo erhalten wir Fragen wie folgende: ‚Darf ein Mann seine Ehefrau
       oder Schwester töten, bevor sie vor ihm von Assad-Truppen vergewaltigt
       wird?‘ “, schreibt der syrisch-islamische Religionsgelehrte Muhammad
       Al-Yaqoubi via Twitter. Seit 2013 lebt er im marokkanischen Exil. Nachdem
       er sich der syrischen Revolution anschloss und Präsident Assad und dessen
       Baath-Partei öffentlich kritisierte, musste er Syrien verlassen.
       
       Während Aleppo brennt und nahezu vollständig von Assads Armee und seinen
       Verbündeten eingenommen wurde, sind es Menschen wie Yaqoubi, denen Hass
       entgegenschlägt. In vielen Fällen sind die Verleumder jene Linken, die sich
       selbst als „antiimperialistisch“ betrachten – und die Einnahme Aleppos als
       „Befreiung“ feiern.
       
       Assads Sieg wird – wie kann es anders sein – als Erfolg gegen die
       US-Aggression im Land betrachtet. Dass hauptsächlich russische Bomben in
       den letzten Monaten in Syrien Krankenhäuser zerstört haben, wird nicht nur
       zur Nebensache verklärt. Die Angriffe werden sogar gerechtfertigt, indem
       etwa behauptet wird, „Terroristen“ würden die Kliniken als „Schutzschilde“
       missbrauchen. Als im vergangenen Jahr ein Krankenhaus von Ärzte ohne
       Grenzen im afghanischen Kundus von US-Kampfjets angegriffen wurde, wurde
       das Bild von den „Terroristen“ – zu Recht – nicht bemüht. Doch sobald die
       Bomben aus Moskau kommen, legen viele Antiimperialisten und angebliche
       Friedensaktivisten ein anderes Maß an.
       
       De facto hat die westliche Linke damit die Rhetorik jener angenommen, die
       sie kritisiert. Der „War on Terror“ wird plötzlich notwendig, sobald er von
       Assad, Putin und ihren Propagandastellen konstruiert wird. Hauptsache, er
       passt ins eigene Weltbild.
       
       In Syrien sieht das wie folgt aus: Alle Syrer, die gegen Assad sind, werden
       zu „Terroristen“, „Werkzeugen des US-Imperialismus“ oder „Marionetten“
       Saudi-Arabiens oder der Türkei erklärt. Sie haben praktisch keinen eigenen
       Willen, kein Leid erlebt und werden vollständig entmenschlicht. Assad
       selbst hingegen wird als legitimer Präsident eines souveränen Staats
       betrachtet, als [1][„stiller, nachdenklicher Mann“, wie Jürgen Todenhöfer
       ihn nannte].
       
       Zeitgleich werden seine ausländischen Gehilfen, ohne die er schon längst
       gefallen wäre, ausgeblendet oder relativiert. Dies betrifft nicht nur den
       Iran oder Russland, sondern auch die zahlreichen Söldner und Milizen aus
       dem Libanon, dem Irak, Pakistan oder Afghanistan.
       
       Nur, woher kommt der Glaube, Putin sei das personifizierte Gute? Die
       Antwort ist einfach: aus ideologischer Verblendung und historisch
       Gelerntem. Nehmen wir die sowjetische Afghanistan-Invasion in den 1980ern
       und den Krieg in Syrien heute. Auch damals wurde Moskaus Einmarsch in Kabul
       von vielen Linken im Westen begrüßt, natürlich noch viel stärker im
       Schatten des Ost-West-Konflikts. Der Einmarsch der Amerikaner, 2001, wurde
       allerdings kritisiert. Viele antiimperialistische Linke sind aufgrund der
       Erfahrungen der letzten Jahre in Afghanistan, Irak und Libyen der Meinung,
       dass das Böse schlechthin nur seitens Washington kreiert werden kann. Alle
       anderen politischen Akteure haben einen Freischein.
       
       Der syrische Diktator kann sich somit die Hände reiben. Sein Regime hat mit
       all seinen Propagandalügen gewonnen. Wer sich in diesen Tagen weiterhin
       darüber aufregt, dass man den Diktator „Diktator“ nennt, in jedem bärtigen
       Syrer einen „Terroristen“ sieht oder sich darüber wundert, dass sich
       Menschen unter diesen dystopischen Zuständen radikalisieren, ist
       schuldiger, als er sich bewusst ist.
       
       15 Dec 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.merkur.de/politik/interview-syrischen-praesidenten-todenhoefer-berichtet-ueber-sein-gespraech-assad-2383606.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emran Feroz
       
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