# taz.de -- Gläubischenfantasie: Bethlehems Krippe, Norddeutschlands Stall > Der zentrale Ort des Weihnachtsmythos ist der Stall. Heute freilich dient > er einer Produktionsoptimierung, die sich kaum als erfülltes Leben > bezeichnen lässt (IMG) Bild: Hat wenig mit der landwirtschaftlichen Realität zu tun: Die Weihnachtskrippe im Wohnzimmer Weihnachten steht ein sonst eher wenig beachteter landwirtschaftlicher Zweckbau im Zentrum: der Stall. Selbstverständlich ist er theologisch nicht die Hauptsache und es ist bekannt, dass ihn die kanonischen Schriften noch nicht einmal erwähnen: Was vorkommt, ist der Futtertrog oder die Krippe, phatné, in den das neugeborene Kind Jesus gelegt wird, von dem Christen glauben, es wäre Gott und sein Sohn. In für einen literarischen Text typischer Unterdeterminierung überlässt das Lukas-Evangelium den LeserInnen, sich vorzustellen, wo sich dieses Notbett befindet. Nur eins stellt es ironisch klar: Ein Empfangs- oder Gastraum war’s nicht. Eher humorfrei konventionell hat die Gläubischenfantasie diese Leerstelle ausgefüllt: Eine Futterkrippe steht in einem Stall. Schon im vierten Jahrhundert etabliert sich dieses Setting in der christlichen Ikonografie – und mit ihr wird, eher unbewusst, die Reflexion der Tierhaltungspraxis und der agrarischen Kultur zum Bestandteil weihnachtlicher Rituale. Im byzantinischen Raum sind Grotten und Felshöhlen die üblichen Schutzstätten, im Westen findet man oft rohe Holzkonstruktionen mit Schrägdach. Der imaginäre Stall dient, gerade weil er sich, funktional konstant, genremalerisch den jeweiligen regionalen Gepflogenheiten anpasst, als Verbindung zwischen erzähltem antik-orientalischem Geburts-Mythologem und eigener, landwirtschaftlich geprägter Wirklichkeit: die Fülle des Lebens einschließlich der wirklich dreckigen Tiefen, mein Gott, im Koben! Das Weihnachtsfest ist womöglich auch deshalb stets populärer gewesen als die theologisch bedeutendere Passionszeit. Deren Accessoires, zumal die radikal aus der Mode gekommene Hinrichtungsmethode der Kreuzigung, konnten auch im Mittelalter nicht direkt im eigenen Leben und Sterben wiedergefunden werden. Die historische Distanz lässt sich bei ihr deshalb nicht ignorieren – anders als bei Weihnachten, dessen Mythos so lange auch jenseits des Rituals in der Wirklichkeit projiziert werden kann, bis sich der Stall vom Lebensraum für Haustiere zu einer durchgetakteten Sondereinrichtung entwickelt hat. Die kann man als eine Fabrik verstehen, deren Maschinen auf einen einzigen Zweck beschränkte Tiere sind – Nutztiere. Diese Ställe sind reine Funktionsräume, optimiert im Hinblick darauf, den Stress der Tiere zu minimieren: Es geht ausdrücklich nicht um Qual in diesen Einrichtungen. Im Gegenteil, viele Wissenschaftler setzen Stressminimierung mit Tierschutz gleich. Das ist richtig, so lange man von einer Autonomie des Tiers absieht, es also wirklich nur als fühlendes Ding betrachtet und auf seinen Nutzen als Eier- oder Fleischlieferant reduziert. In den aus diesem Geist entwickelten Ställen realisieren Tiere ein Maximum an Reproduktion oder an Gewichtszunahme in möglichst kurzer Zeit – was sie wirklich nicht täten, wenn sie messbar litten. Allerdings, auch wer das für praktisch hält, sicher, gut und sauber, kann kaum behaupten, dass diese Frist mit dem gleichgesetzt werden kann, was der Begriff Leben bezeichnet: Genau wie Religion spielt dieses Konzept in Norddeutschlands Ställen keine Rolle. Dort gibt es kein Weihnachten. Lesen Sie mehr über tierfreundliche Ställe im aktuellen taz.nord-Schwerpunkt der Druckausgabe oder [1][hier] im E-Paper. 23 Dec 2016 ## LINKS (DIR) [1] /!114771/ ## AUTOREN (DIR) Benno Schirrmeister ## TAGS (DIR) Landwirtschaft (DIR) Weihnachten (DIR) Nutztiere (DIR) Rinder (DIR) Vogelgrippe (DIR) Landwirtschaft ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Am liebsten schön weich: Unromantisch, aber tiergerecht Große moderne Ställe ermöglichen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Rinder. Die mögen das, weil sie fast nie schlafen (DIR) Infektionsrisiko Putte: Engel jetzt wegsperren! Ein länderübergreifender Erlass verpflichtet ab heute und bis auf Widerruf sämtliche HalterInnen Norddeutschlands, ihre Putten einzusperren. (DIR) Grünen-Politiker über Tierhaltung: „600 Kühe sind viel zuviel“ Nicht alle großen Bauernhöfe sind schlecht, sagt Grünen-Agrarexperte Ostendorff. Doch für Vieh und Anwohner sei es besser, die Zahl der Tiere zu begrenzen. (DIR) Rinderfreundliche Rinderzucht: Landwirtschaftsminister will mehr Licht Niedersachsen Agrarminister Gert Lindemann (CDU) wirbt für Rinder-Auslaufställe. So müssten die Tiere nicht mehr das ganze Jahr angebunden sein. (DIR) Agrarindustrie in Niedersachsen: Sind so viele Euter Der Riesenkuhstall im niedersächsischen Barver wird jetzt nicht für 3.200 Milchkühe gebaut, sondern für 1.600. Eine Weide sehen die Tiere nie, die Molkereien und die Futtermittelindustrie profitieren.