# taz.de -- Universität entlässt Andrej Holm: Gegen die Verdrängung
       
       > Die Präsidentin der Humboldt-Uni verkündet Holms Kündigung. Die
       > Studierenden reagieren empört und besetzen ihr Institut.
       
 (IMG) Bild: Studis protestieren während der Pressekonferenz der Humboldt-Universität für ihren Dozenten
       
       BERLIN taz Auf diesen Moment haben die Studierenden in den hinteren Reihen
       gewartet. Sabine Kunst, die Präsidentin der Humboldt-Universität, ergreift
       Mittwochmittag auf dem Podium im prächtigen Senatssaal der Uni Unter den
       Linden das Wort: „Ich habe heute entschieden, dass das Arbeitsverhältnis
       mit Herrn Dr. Holm ordentlich gekündigt wird …“ Laute Buhrufe schallen
       durch den Saal. Manche tröten, andere trommeln. Schließlich vereinen sich
       die Protestrufe zu einem lauten Sprechchor: „Holm bleibt! Holm bleibt!“
       
       Sabine Kunst dringt nicht mehr durch. Nicht in diesen Minuten in diesem
       Raum. An ihrer Entscheidung ändert das nichts: Holm wird nicht mehr als
       Stadtsoziologe an der Humboldt-Universität tätig sein. Vorerst zumindest.
       Es ist für ihn der zweite Rauswurf innerhalb von zwei Tagen: Erst am
       Dienstag hatte der rot-rot-grüne Senat Holms Entlassung als Staatssekretär
       für Wohnen beschlossen.
       
       „Ich bedauere diese Entscheidung sehr“, betont Sabine Kunst, als im Saal
       wieder etwas Ruhe einkehrt. Holm sei ein renommierter Wissenschaftler,
       dessen Lehrveranstaltungen die Studierenden besonders schätzten. Seine
       Entlassung bedeute einen Verlust für die Universität. Die HU habe versucht,
       sich mit Holm einvernehmlich auf einen Auflösungsvertrag zu verständigen,
       das habe er aber abgelehnt. Kunst selbst sagt, sie wolle nicht über seine
       Zeit bei der Stasi richten. „Die Kündigung beruht einzig darauf, dass er
       die HU hinsichtlich seiner Biografie getäuscht hat.“
       
       Andrej Holm war vom September 1989 bis Januar 1990 als Offiziersschüler bei
       der Stasi. In dieser Zeit verdiente er 675 DDR-Mark, das Vierfache dessen,
       was ein normaler Soldat erhielt. Auch ein handschriftlicher Text Holms mit
       dem Titel „Verpflichtung“ findet sich in seiner Stasi-Akte.
       
       Trotzdem hatte er bei seiner Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter
       der Humboldt-Universität 2005 angegeben, nicht für die Stasi tätig gewesen
       zu sein. In Klammern fügte er hinzu „siehe Wehrdienst“ und verwies auf das
       in der Öffentlichkeit als harmloser geltende Wachregiment Feliks
       Dzierzynski, zu dem er aber laut Akte nie gehört habe. Er kreuzte zudem an,
       keine finanziellen Zuwendungen von der Stasi erhalten und keine
       Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben.
       
       „Arglistige Täuschung“ 
       
       Auch in einem 2011 an die Uni versandten Lebenslauf habe Holm nicht auf
       seine Stasi-Zeit hingewiesen, sondern sie zu verschleiern versucht, so
       Kunst. Das werte die Uni als „arglistige Täuschung“. Die Falschangaben
       hätten das Vertrauensverhältnis zwischen Holm und der HU nachhaltig
       gestört. „Es gab kein Bedauern angesichts der falschen Angaben.“
       
       Hätte Sabine Kunst anders entschieden, wenn Holm gesagt hätte, dass ihm die
       falschen Kreuze im Fragebogen leidtäten? Die Antwort darauf ist klar: „Ja.“
       
       Immer wieder wird die Uni-Präsidentin von den Studierenden unterbrochen.
       „Mit dieser Begründung werden Sie nicht durchkommen!“ „Sie haben die
       Entscheidung nur getroffen, weil Sie in der gleichen Partei sind wie der
       Regierende Bürgermeister – der SPD!“ Larissa Klinzing, Mitarbeiterin am
       Institut für Sozialwissenschaften, spricht gegenüber der taz von einer
       „politischen Entscheidung“ – eine Abwägung sei durchaus möglich gewesen.
       
       ## Besetzung des Sowi-Instituts
       
       „Holm geht – wir bleiben“, heißt es auch am Nachmittag auf einem
       Transparent am Institut für Sozialwissenschaften. Präsidentin Kunst hat im
       Anschluss an die Pressekonferenz hierhin eingeladen, um ihre Entscheidung
       noch einmal zu erläutern. Mehr als 200 Studierende und Mitarbeiter des
       Instituts drängen sich in dem Raum.
       
       Nach etwa einer halben Stunde einer überwiegend sachlichen Diskussion
       erklären Studierende das Institut für besetzt. Ihre Forderung: eine
       Revision der Entscheidung oder „die Schaffung einer neuen, unbefristeten
       Stelle“ für Holm, den „beliebtesten Dozenten des Instituts“, wie Jan Meier
       von der Fachschaft Sozialwissenschaften sagt. Essen, Getränke und Musik
       werden gebracht. In den kommenden Tagen sollen von Studenten initiierte
       Lehrveranstaltungen stattfinden.
       
       Holm selbst kündigt am Mittwoch an, er werde arbeitsrechtlich gegen die
       Entlassung vorgehen. Weiter wolle er sich zunächst nicht äußern.
       
       Der Stadtsoziologe fällt nicht ins berufliche Nichts: Die Fraktion der
       Linkspartei, die ihn als Staatssekretär geholt hat, will den ausgewiesenen
       Fachmann nun als Berater beschäftigen. In welcher Form das stattfinden
       könnte, sei noch nicht klar, so Fraktionschef Udo Wolf. Holm habe sich erst
       einmal ein wenig Ruhe zum Nachdenken erbeten.
       
       Tatsächlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass Holm irgendwann wieder an
       der Humboldt-Uni lehrt: Präsidentin Sabine Kunst lobt ihn als
       Wissenschaftler am Mittwoch ausdrücklich. Sie sagt, eine Wiedereinstellung
       sei durchaus möglich. Vorausgesetzt, er fülle dann den derzeit immer noch
       von der Universität verwendeten Fragebogen richtig aus.
       
       18 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antje Lang-Lendorff
 (DIR) Erik Peter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Studentenproteste
 (DIR) Stasi
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) Die Linke Berlin
 (DIR) Andrej Holm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Stasi-Historiker Kowalczuk im Interview: „Ich hatte immer ’ne große Fresse“
       
       Ilko-Sascha Kowalczuk legte sich als 14-Jähriger mit den DDR-Institutionen
       an. Heute arbeitet er bei der Stasiunterlagenbehörde. Der Fall Holm ging
       ihm nahe.
       
 (DIR) Streit an der Humboldt-Universität: Wie du mir, so ich dir
       
       Die Fachschaft für Sozialwissenschaften wurde von der Uni ausgesperrt.
       Studierendenvertreter sehen darin eine Retourkutsche für die Besetzung.
       
 (DIR) Besetzung an der Humboldt-Uni in Berlin: Nachtschicht für eine bessere Uni
       
       Seit der Entlassung von Andrej Holm vor drei Wochen wird am Institut für
       Sozialwissenschaften protestiert. Doch wofür? Die taz hat dort eine Nacht
       verbracht.
       
 (DIR) Studenten besetzen Berliner Uni: Ganz nach Holms Lehre
       
       Aus Protest gegen die Entlassung Andrej Holms haben StudentInnen das
       Insitut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität besetzt. Sie
       wollen bleiben.
       
 (DIR) Koalitionskrise in Berlin: Alle vier Wochen zur Therapie
       
       Es war ernster als gedacht. Doch nun ist Trennung kein Thema mehr. SPD,
       Linke und Grüne wollen sich nach dem Rücktritt von Andrej Holm besser
       verstehen.
       
 (DIR) Als Folge der Stasi-Affäre: Humboldt-Universität wirft Holm raus
       
       Die HU wirft dem geschassten Staatssekretär „arglistige Täuschung“ vor –
       und entlässt ihn. Anders wäre es gekommen, hätte er Bedauern gezeigt.
       
 (DIR) Andrej Holm trifft Stadt-Initiativen: Wieder zu Hause
       
       Nach seinem Rückzug als Staatssekretär traf sich der Gentrifizierungsgegner
       mit Aktivisten. Gemeinsam wollen sie die Politik vor sich hertreiben.