# taz.de -- Entmietung im Leipziger Westwerk: Demo für die Utopie
       
       > Mietsteigerungen und zahlreiche Kündigungen im Plagwitzer Kulturjuwel
       > betreffen vor allem Kunstprojekte in Leipzig.
       
 (IMG) Bild: Die Kulturschaffenden aus dem Leipziger Westwerk kämpfen
       
       LEIPZIG taz | Ein Flugblatt flattert an einem Laternenpfahl in Plagwitz.
       Das Westwerk als Ort von „selbstorgansierter Kunst und Kultur“ mit
       „unkommerziellem, kreativem und auch subversivem Charakter“ sei bedroht,
       steht darauf. Es ist ein Aufruf zur Demonstration. Seit 2007 zogen über 100
       Mieter in die Gebäude des ehemaligen VEB Industriearmaturen – eine bunte
       Mischung aus Künstlern, Handwerkern, kleinen Unternehmen, Gastronomie und
       Vereinen. Viele von ihnen arbeiten nichtkommerziell.
       
       Seit Ende des vergangenen Jahres häuften sich Veränderungen. Im November
       erhielt der Kunstraum Westpol A.I.R. Space samt den umliegenden Ateliers
       eine Kündigung. Anfang Januar wurde dem Sublab Hackerspace gekündigt. Dort
       realisieren viele kleinere Gruppen unterschiedlichste Projekte: Es gibt
       eine Techniksprechstunde, ein Cybersecurity-Team, Freifunker und einmal in
       der Woche Volksküche. Zehn Mietverhältnisse wurden beendet. Zusätzlich
       erhöhten sich bei den bestehenden Gewerbemietverhältnissen die Nebenkosten,
       was die bislang sehr günstigen Mieten um bis zu 60 Prozent steigen ließ.
       
       „Zu neuen Vermietungen und Umstrukturierungen ist noch nichts festgelegt,
       es gibt bislang keine konkreten Verträge“, erklärt Peter Sterzing,
       Geschäftsführer der verwaltenden Westwerk GmbH. „Wir suchen für die freien
       Räume etwas, das viele im Stadtteil anspricht.“ Es gebe Gespräche mit
       Einzelhandelsunternehmen. Die Spekulation, dass ein Supermarkt ins Westwerk
       einziehen soll, bestätigte er nicht.
       
       ## Spekulationen gibt es viele
       
       Auch ob der Einzug einer Billardhalle in die 500 Quadratmeter große
       ehemalige Mensa stattfinden wird, steht nicht fest. Dort hatte in den
       vergangenen fünf Jahren der Westpol 61 Ausstellungen realisiert. Jetzt soll
       saniert werden. Zudem werden die Parkmöglichkeiten im Osthof durch ein
       Parkdeck erweitert. Auf der Rückseite des Geländes an der Weißenfelser
       Straße ist der Neubau eines dreigeschossigen Atelierhauses geplant.
       Sterzing betont immer wieder, dass der Charakter der Vielfalt im Westwerk
       durch die Neuentwicklungen nicht zerstört wird. Es habe immer ein
       Nebeneinander von nichtkommerzieller und kommerzieller Kultur gegeben und
       auch immer die Notwendigkeit, wirtschaftlich zu bestehen.
       
       Mitte Dezember teilte die Corpure GmbH, der das Westwerk gehört, dem Sublab
       Hackerspace eine Mieterhöhung von etwa 60 Prozent durch Erhöhung der
       Nebenkosten mit. Da das nicht mit dem bestehenden Mietvertrag vereinbar
       war, legte der Vereinsvorstand formalen Widerspruch ein – mit dem Resultat,
       dass am 10. Januar fristgerecht zum 31. Juli 2017 gekündigt wurde. Warum
       die Nebenkosten so stark steigen, ist dem Verein nicht erklärbar.
       
       Seit 2008 mietet der Sublab e. V. etwa 200 Quadratmeter im vierten
       Obergeschoss des Turms. Als sie einzogen, gab es keine Heizung, die Fenster
       waren marode und die „alte gelbe DDR-Farbe platzte von der Decke“, erinnert
       sich Pressesprecher Olf. In Eigenleistung verlegten sie Strom-, Glasfaser-
       und Wasserleitungen. Der Vermieter ergänzte schließlich Toiletten und
       einige Heizkörper. Die nun anstehende Mietsteigerung findet das Sublab
       unfair: „Es wird zu wenig honoriert, wie stark wir diesen Raum nutzbar
       gemacht haben“, sagt Olf. Die Gruppe diskutiert nun, wie es weitergehen
       soll, und schaut sich auch nach anderen Räumen um.
       
       ## Symbolischer Miete wird Markt angepasst
       
       In den vergangenen drei Monaten hat das Team des Kunstraums Westpol alles
       versucht, um die Kündigung abzuwenden. Sie wollten sich als reguläre Mieter
       beweisen – ihre ehrenamtliche Arbeit war bislang möglich, da nur eine
       symbolische Miete von einem Euro gezahlt wurde. Sie bemühten sich um
       finanzielle Unterstützung, konsultierten das Kulturamt sowie den Plagwitzer
       Stadtbezirksbeirat, organisierten Mietertreffen und sprachen mit der
       Verwaltung. Vergebens: „Vermutlich kriegen wir es nicht hin, hier zu
       bleiben“, sagt die Künstlerin Marlet Heckhoff aus dem kuratorischen Team.
       Ab Januar 2017 sei ein Minimum von 2.500 Euro Miete im Monat fällig – eine
       Summe, die ohne institutionelle Unterstützung unmöglich zu stemmen ist.
       
       Durch die Bemühungen des Westpols wurde eine breite Öffentlichkeit auf die
       Vorgänge aufmerksam. Immer mehr Mieter und Interessenten kamen zu den
       Treffen. Aus den Kreisen der ideellen Unterstützer des Westwerks als Ort
       freier Kultur ging zuletzt unter dem Titel „Westen Wehrt sich“ der Aufruf
       zur Demonstration hervor. Es ist der Versuch, ein weiteres Dialogforum zu
       schaffen.
       
       An einem offenen Dialog scheint es zu hapern. Laut Heckhoff möchte die
       Corpure GmbH sich nicht an den Mietertreffen beteiligen, während Verwalter
       Sterzing seine Gesprächsbereitschaft betont. Einige der gekündigten Mieter
       wollten gegenüber der taz keine Stellungnahme abgeben, weil ihnen ihre
       Situation und ihre Möglichkeiten selbst nicht wirklich klar sind. Die
       Entwicklungen sind unüberschaubar. Das erzeugt Unsicherheit. „Es gibt keine
       Transparenz und zu viele mündliche Vereinbarungen“, sagt Lisa Herms aus der
       Unterstützer*innengruppe. Bei den Treffen wurde immer wieder der Wunsch
       nach einer Einigung deutlich, und das Bewusstsein dafür, dass das Westwerk
       auch wirtschaftlich funktionieren müsse, verfestigte sich.
       
       Viele freie Kulturschaffende investieren den Großteil ihrer Zeit mit
       Leidenschaft in ihre Projekte, verdienen damit aber kein Geld. Oft nehmen
       sie für minimale Mieten marode Bausubstanz und fehlende Heizungen gern in
       Kauf. Der Raum für nichtkommerzielle Kultur schrumpft mit steigenden
       Mieten. Die Planung eines neuen Atelierhauses im Westwerk zeigt, dass es
       ein Ort für Kultur bleiben soll. Ob dieselbe freie Szene, die den Charakter
       in den letzten Jahren mitgestaltet hat, sich diese Ateliers wird leisten
       können, bleibt abzuwarten.
       
       Die offenen Mietertreffen gehen weiter. Am 5. Februar sind alle
       Interessierten zu Vortrag und Diskussion ins Westwerk eingeladen. Am 11.
       Februar wird dann demonstriert – für die Utopie, die im Westwerk ein
       Zuhause finden wollte.
       
       7 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tabea Köbler
       
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