# taz.de -- Neues Album von Balbina: Solitärin mit Soul
       
       > Die Berliner Musikerin Balbina überzeugt auf dem neuen Album „Fragen über
       > Fragen“ mit Pompös-Pop. Ihre Skills hat sie im HipHop gelernt.
       
 (IMG) Bild: Auch heilsbringerisch gestylt: Balbina
       
       Eine Sozialisation in der harten Schule des Berliner HipHop hat schon ihre
       Vorteile. Schließlich lernt man dort die wirklich wichtigen Dinge des
       Lebens: den Kopf oben halten, sich durchboxen und – in dieser Stadt
       besonders wichtig – nicht jedem Hype hinterherhecheln, denn das ist
       schlecht für die Zunge (und für die Lunge).
       
       Die Künstlerin Balbina, die auf der Bühne meist streng mittelgescheitelt in
       schweren Stoffgewändern mit Stola in Erscheinung tritt, würde man heute
       wohl nicht mehr mit HipHop in Verbindung bringen – zu weit entfernt davon
       wirkt ihr orchestraler, fast sakral anmutender Pompös-Pop, in dem
       Sprechgesang zwar vorhanden ist, aber nicht im Vordergrund steht.
       
       Diese Balbina aber, die mit ihrem jüngst erschienenen Album „Fragen über
       Fragen“ in aller Munde ist, hat ihre Anfänge genau dort gehabt – im Umfeld
       des Labels Royal Bunker von Marcus Staiger.
       
       Von dieser Zeit erzählt sie nun beim Interview in einem Café, während sie
       die Himbeeren in ihrer Fruchtschorle mit dem Strohhalm bearbeitet. „Es
       fühlte sich ganz selbstverständlich an, in diese Szene hineinzuwachsen – es
       gab dort keine so große Schwelle; du musstest nicht bestimmte Anforderungen
       erfüllen, wie ein Instrument spielen zu können. Wir haben damals alles
       autodidaktisch gelernt.“
       
       Die heute 33-Jährige hat als Jugendliche schon Gedichte geschrieben, auch
       wenn sich das „komisch anhört“. Im Royal-Bunker-Umfeld hat sie gelernt, wie
       man Beats dazu produziert. Noch milchgesichtig und pubertär war sie
       seinerzeit mit K.I.Z. auf Tour.
       
       In Warschau geboren und in Moabit und Neukölln aufgewachsen, schreibt
       Balbina – zunächst als Bina – seit Ende der Neunziger Texte und Songs. Erst
       2011 hat sie ihr Debütalbum in Eigenregie veröffentlicht, es war eine
       Sammlung ihrer bis dato geschriebenen Stücke. Ein BWL-Studium wurde nach
       dem Vordiplom abgebrochen, seit einigen Jahren setzt sie nun voll auf die
       Musikerinnenkarte. 2015 veröffentlichte ihr erstes „richtiges“ Studioalbum
       „Über das Grübeln“. Für den Nachfolger wird sie nun zuweilen als
       Heilsbringerin des deutschsprachigen Pop gefeiert.
       
       All das, was Balbina Monika Jagielska – so ihr voller Name – einst in der
       Subkultur aufgeschnappt hat, kann sie heute gut gebrauchen. Sie hat ihre
       eigene Sprache gefunden. Mit ihren poetischen Texten und ihrem Gesang – mal
       hauchend, mal flirrend, mal soulig, mal große Oper – polarisiert sie. Und
       ihre Songtitel – wie „Der Haken“, „Der Trübsaal“ und „Das Milchglas“ –
       erinnern ein bisschen an einen Kafka-Erzählband.
       
       Ihre Vorbilder hat Balbina, die in Schlabberklamotten im Café sitzt und im
       Plauderton spricht, tatsächlich aus der Literatur. „Ich habe immer gern
       Erich Kästner gelesen, also seine Kolumnen, seine Montagsgedichte und seine
       Lyrik insgesamt. Das hat einfach Witz und Ironie, ist voll auf den Punkt
       geschrieben. Und es hat immer einen direkten Alltagsbezug. Beeindruckend.“
       
       Dieses Faible für verspielte Lyrik ist überdeutlich zu hören auf „Fragen
       über Fragen“. In „Unterm Strich“ reimt sie über das eigene
       Künstlerinnendasein: „Das Radio will, dass ich meine Lieder kürze/ dann
       kürz ich lieber mich“ und „Ich will ’ne Diktatur in meiner Musik/ ist mir
       egal, wie eine Band das sieht“.
       
       Über ihre Songs sagt sie: „Gefühlt hat meine Musik auch viel vom R&B, also
       nicht im Sinne von Marvin Gaye, sondern von den musikalischen Elementen,
       die ich verwende – die perkussiven Grundschemata aus dem HipHop, die
       Melancholie im Gesang.“ Ihre Gesangslinien seien dagegen vom Jazz geprägt,
       einer ihrer Lieblingssänger sei Kurt Elling.
       
       ## Von Gleichberechtigung weit entfernt
       
       Balbina hat eine einzigartige Ästhetik geschaffen, und sie ist dazu bereit,
       diese erbittert zu verteidigen. Denn das, was im Mainstream gefragt ist,
       findet sie meist unglaublich flach und inhaltsleer – ohne dabei zu
       defätistisch klingen zu wollen: „Künstler neigen ja von jeher dazu, das
       Populäre schlechtzumachen. Aber derzeit scheinen wir in der
       Unterhaltungsindustrie wirklich an einem Tiefpunkt angekommen zu sein.“
       
       Nicht müde wird sie zu betonen, dass diese ihre Branche von
       Gleichberechtigung weit entfernt ist. „Da sprechen wir ja auch über Fakten.
       Im Booking werden männliche Künstler bevorzugt, die Vergütung von Frauen in
       der Branche ist schlechter – und in Führungspositionen findet man Frauen so
       gut wie nie.“
       
       Sie selbst sei – als Künstlerin, die vom Videoclip über die Produktion bis
       zur Choreografie alles selbst macht – meist staunenden Blicken ausgesetzt
       gewesen, wenn sie dies zur Sprache gebracht hat: „Nach dem Motto: ‚Ach
       krass, das kannst du alles selbst?‘“ Dezidiert politisch werde sie deshalb
       wohl vor allem dann, wenn es um Politik in der Musikbranche geht. Sonst
       schwinge „das Politische eher unterschwellig mit“.
       
       Ein möglichst durchschnittliches Frauenideal verkörpern, gut aussehen,
       darum gehe es im Biz. Für ihr Album-Artwork – auf dem Cover ist ein großes
       Porträtfoto einer geschminkten Balbina – habe sie auch Hass und Häme in den
       sozialen Netzwerken abbekommen. „Ich lösche das inzwischen, wenn es
       diskriminierend ist oder fremdenfeindlich. Oder ich frage zurück, ob die
       Leute die Welt mit ihrem Hass belästigen müssen. Ich habe keine Lust mehr,
       das zu ignorieren.“
       
       Balbina hat gelernt, die Ellbogen auszufahren; sie stammt aus einer Szene,
       die zwar eine Männerdomäne ist, die sie aber immer als offen und zugänglich
       erlebt hat. Und in gewisser Weise ist sie dieser Subkultur treu geblieben.
       Das Album hat sie gemeinsam mit Benjamin Bistram („Biztram“) produziert,
       mit dem sie schon im Alter von 17 erste Aufnahmen im Jugendzimmer gemacht
       hat. Seither sind wieder 17 Jahre vergangen. Und Balbina ist eine
       Musikerin, die ziemlich solitär in der hiesigen Musiklandschaft dasteht.
       
       23 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Popkultur
 (DIR) Pop
 (DIR) Pop
 (DIR) Stephin Merritt
 (DIR) Popmusik
 (DIR) Konzert
 (DIR) Pop
 (DIR) Popkultur
 (DIR) Pop-Kultur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Porträt der Sängerin Balbina: Liebe zur Opulenz
       
       Balbina phrasiert kühn wie noch nie. Sie ringt ihrer Stimme eine ungekannte
       Abgründigkeit und Stärke ab in ihrem neuen Album „Punkt“.
       
 (DIR) Neues Album von The Magnetic Fields: Lebenszwischenfazit in Songs
       
       Stephin Merritt hat seine Band wieder aktiviert. Er spendiert der Welt mit
       „50 Song Memoir“ ein fabelhaftes Konzeptalbum.
       
 (DIR) Happy Birthday, Monika Döring: Die Szeneveteranin
       
       Musikalisch bewegt von den Neubauten bis Goa-Trance: Die
       „Veranstalterlegende“ und Loft-Macherin Monika Döring feiert am Sonntag
       ihren 80.
       
 (DIR) Neues Album der Band Dirty Projectors: Die Loopings des Lovelife
       
       Das neue Album der New Yorker Band „Dirty Projectors“ ist nicht weniger als
       ein Meisterwerk. Es lädt zum Mitsingen und Mittanzen ein.
       
 (DIR) Synthie-Pop-Duo Virginia Wing: Kühle Beats und sphärischer Gesang
       
       Das englische Duo Virginia Wing überzeugt im Acud mit Songs seines neuen
       Albums „Forward Constant Motion“ – elektronisch, vibrierend, poppig.
       
 (DIR) Neues Album von Schnipo Schranke: „Ein Song ist bei uns nie nur ein Gag“
       
       Schnipo Schranke werden gerne auf ihren Fäkalhumor reduziert. Anlässlich
       ihres neuen Albums „rare“ erzählen die Musikerinnen, um was es ihnen
       eigentlich geht.
       
 (DIR) Musikerinnen gegen Trump: Songs to Save America
       
       Die Popwelt von Madonna bis zu den Gorillaz meldet sich wegen Trump zu
       Wort. Viele Künstlerinnen sammeln Geld für Bürgerinitiativen.
       
 (DIR) Festival „Pop-Kultur“ in Berlin: Die Kunst des Nebeneinanders
       
       Retro-Debatten im Vorfeld, dann drei Tage Kunst im Berghain: „Pop-Kultur“
       feiert als Nachfolger der Berlin Music Week eine gelungene Premiere.