# taz.de -- Porträt der Sängerin Balbina: Liebe zur Opulenz
       
       > Balbina phrasiert kühn wie noch nie. Sie ringt ihrer Stimme eine
       > ungekannte Abgründigkeit und Stärke ab in ihrem neuen Album „Punkt“.
       
 (IMG) Bild: Als Popsängerin hat sie eigene Vorstellungen von Inszenierung und Körperlichkeit
       
       Der Punkt ist ein seltsames Ding. Harsch und absolut kann er wirken, wenn
       er einen Satz beschließt. Und doch strahlt er inmitten all der
       Ausrufezeichen, die so in die Welt gerotzt werden, eine fast meditative
       Ruhe aus. „Der Punkt ist inhaltlich sehr aufgeladen, eine starke Metapher,
       das Essenziellste überhaupt“, sagt Balbina. „Zum einen kennt man ihn aus
       Redewendungen, die man benutzt, um etwas abzuschließen, zum Beispiel: Jetzt
       mach mal einen Punkt. Gleichzeitig symbolisiert er einen neuen Beginn.“
       
       Überhaupt, sei nicht auch der Urknall im Grunde aus einem Punkt entstanden?
       Besteht nicht alles auf der Welt aus Punkten, aus Atomen, die sich
       verschiedenartig zusammensetzen? Schon in ihrem Song „Nichtstun“ von 2014
       zählte die Berliner Sängerin die „Polkadots aus ihrem Glockenrock“, auch
       ihr kürzlich gegründetes Label heißt „Polkadot“, Pünktchen also.
       
       Wenn Balbina Monika Jagielska, wie die 36-Jährige wirklich heißt, ihr
       neues, viertes Album aber nun „Punkt.“ nennt, ist das ein Statement in
       vielerlei Hinsicht. Denn bislang ist Balbina eine Frau der Fragezeichen
       gewesen. [1][„Über das Grübeln“ hieß ihre zweite Platte von 2015, „Fragen
       über Fragen“ die dritte.] In zeitgeistigen Kunstliedern dachte Balbina nach
       übers Nachdenken, fragte so viel, wie es sonst nur Kinder tun.
       
       Geboren in Warschau, als Kind nach Berlin übergesiedelt, blieb Balbina in
       der Schule lange Außenseiterin, bis sie im Royal Bunker, der legendären
       Rap-Schmiede, den HipHop als Mittel zur Selbstermächtigung entdeckte.
       
       ## Das Genre ihrer Jugend ist nur noch Zitat
       
       Im neuen Song „Weit weg“ assistiert Balbina [2][die Rapperin Ebow,] sonst
       kommt das Genre ihrer Jugend nur noch als Zitat vor: „Punkt.“ ist groß
       gedachter, groß orchestrierter Pop und Soul, der mal gen R’n’B, mal gen
       Electronica ausschert, auf der Exzentrikskala aber oft näher bei Kate Bush
       als bei Lena Meyer-Landrut rangiert – was in Deutschland, wo Popstars eine
       optimierte Version des Durchschnittsbürgers statt „larger than life“ sein
       sollen, natürlich eine Frechheit ist.
       
       Zu allem Überfluss bedient sie sich auch noch beim Nationalheiligtum:
       [3][Rammsteins monumentaler Männersong] „Sonne“ wird bei ihr zum zarten
       Orchestralstück. Mit ihrem Faible für passgenau ausgestanzte Wortspiele und
       geometrische Outfits, skulpturale Kleider und kastige Riesenjacken,
       balanciert Balbina seit jeher auf der Grenze zwischen kunstvoll und
       verkünstelt. „Ich mag klare Formen, Farben und Strukturen, die ich
       überblicken kann“, sagt sie über ihre Ästhetik. „Ich möchte immer so
       angezogen sein, dass ein Comiczeichner sofort wüsste, wie mein Charakter
       aussehen soll.“
       
       Im Gespräch klingt Balbina anders als in ihren Songs, impulsiver, offener,
       direkter, man könnte fast sagen: lauter. So fasziniert die einen von ihrer
       ästhetisch ambitionierten Künstlerpersona sind, so viel Befremden löst sie
       bei anderen aus. Zu ausgedacht klinge ihre Musik, zu solipsistisch, zu
       verkopft, verschraubt, verspannt.
       
       ## Superkraft und Hemmnis
       
       Immer wollte man Balbina bewundern wie ein gut ausgeleuchtetes Kunstwerk in
       einem Raum voller Wandbilder von Ikea – und blieb doch oft seltsam
       unberührt von dieser klugen, manchmal neunmalklugen Musik. Balbinas formale
       Strenge ist zugleich Superkraft und Hemmnis.
       
       „Punkt.“ soll mit der alten Lesart ihrer Musik brechen. Das Album sei aus
       einer tiefen Depression heraus entstanden, sagt Balbina. Für sie war es
       Zeit, das innere Kind erwachsen werden zu lassen – ein wenig zumindest.
       „Auf den letzten Alben hatte ich eine infantile, neugierige Art, Fragen zu
       stellen. Jetzt habe ich mir mehr Emotionalität zugestanden, auch bei den
       Vocals“, sagt Balbina. „Ich war weniger streng mit mir selbst, indem ich
       mir klargemacht habe: Es ist wichtig, den Menschen eine Geschichte zu
       erzählen, und das passiert eben auch über die Stimme.“
       
       Bislang habe sie ihre Stimme den Worten untergeordnet, sich keine spontanen
       Ausbrüche erlaubt, Inhalt über Form gestellt, Konzept über Ausdruck. Das
       Zurückhaltende, Fragende ist aus ihren Songs verschwunden: Balbina
       phrasiert kühn wie noch nie, ringt ihrer Stimme eine ungekannte
       Abgründigkeit und Stärke ab. „Ich frage nicht mehr: Darf ich?“, sagt sie.
       „Ich darf.“
       
       ## Doch wieder großes Orchester
       
       Die triviale Erkenntnis, dass sie selbst diejenige ist, die sich die
       härtesten Regeln auferlegt – dass sie in ihrer Kunst tun und lassen kann,
       was sie möchte, veranlasste sie zu einer weiteren Neuerung: Erstmals flicht
       Balbina englische Passagen in ihre Texte ein, ohne den Anspruch, wie eine
       Muttersprachlerin klingen zu wollen, wie sie sagt. Ihre Liebe zur Opulenz
       treibt Balbina in den neuen Songs auf die Spitze.
       
       „Ich nehme mir immer wieder vor, ein minimalistisches, reduziertes Album
       aufzunehmen – aber dann ist am Ende doch wieder ein großes Orchester dabei,
       ich kann nichts dagegen tun“, sagt Balbina und muss ein bisschen lachen:
       Gerade noch komponiert man ein schlichtes Synthesizerstück, schon steht man
       mit dem Filmorchester Babelsberg auf der Bühne, wer kennt es nicht.
       
       ## Kritik an Pop-Deutschland
       
       Von ihrem Nimbus als große Komplizierte der deutschen Musiklandschaft ist
       Balbina trotz ihrer hochfliegenden Ambitionen genervt: Was ist schon so
       schrill daran, als Popsängerin eigene Vorstellungen von Inszenierung und
       Körperlichkeit zu haben?
       
       Total symptomatisch für das freudlose Verhältnis der Deutschen zu
       Exzentrik, findet sie, war die Aufregung um den damaligen FC-Bayern-Star
       Franck Ribéry, der sich im vergangenen Jahr ein 1.200 Euro teures Steak mit
       Blattgold gönnte. Während man sich anderswo über solche Bonvivant-Gesten
       amüsiert, sie vielleicht sogar als schrägen Popmoment gefeiert hätte, setze
       es hier Haue für solche Schrullen.
       
       Überhaupt gestehe Pop-Deutschland sich nicht zu, Individuen herauszubilden.
       „Eine erfolgreiche Künstlerin muss die ‚deutsche Britney Spears‘ oder die
       deutsche Sonstwer sein. Über mich wurde schon gesagt, ich sei die ‚deutsche
       Lady Gaga‘, dabei ist unsere einzige Gemeinsamkeit, dass wir
       extravagante Artworks haben. Und dann schreiben Internettrolle auf
       einmal: Die hält sich wohl für Lady Gaga!“, sagt Balbina. Natürlich mit
       Ausrufe- statt Fragezeichen.
       
       13 Jan 2020
       
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