# taz.de -- Studie zu weiblichen Orgasmen: Wissen macht ooohjaaaah
       
       > Frauen, die mit Frauen schlafen, haben häufig einen Orgasmus als Hetera –
       > verkündet eine Studie. Und woran liegt’s? Am Diskurs natürlich!
       
 (IMG) Bild: Mehr Orgasmen sind praktisch garantiert
       
       Dieser Text beginnt mit den magischen fünf Wörtern, die so oft in einer
       Redaktionskonferenz fallen. Mit denen aus einer Nachricht die These für
       einen Text gestrickt wird. Dieser Artikel beginnt – wie so viele – mit
       einer Studie: US-amerikanische WissenschaftlerInnen haben herausgefunden,
       dass die Häufigkeit von Orgasmen nicht mit dem Geschlecht zusammenhängt,
       sondern mit der sexuellen Orientierung. Frauen kommen beim Sex genauso
       regelmäßig zum Höhepunkt wie Männer, wenn sie Sex mit Frauen haben.
       
       In der Fachzeitschrift „Archives of Sexual Behavior“ beschreiben die
       ForscherInnen eine „Orgasmuslücke“: In der qualitativen Studie, für die
       insgesamt rund 53.000 Menschen befragt worden sind, gaben 95 Prozent der
       heterosexuellen Männer an, in der Regel beim Sex zum Höhepunkt zu kommen.
       Heterosexuelle Frauen jedoch nur 65 Prozent, aber 86 Prozent der lesbischen
       Frauen.
       
       Was können wir aus dieser Studie nun lernen? Zunächst mal das: „Das
       Problem“ ist nicht die weibliche Anatomie. Das war sie nie. Das Problem ist
       der patriarchale gesellschaftliche Blick auf Sexualität.
       
       Vor über 100 Jahren schrieb Sigmund Freud über den weiblichen Orgasmus. Er
       unterschied zwischen zwei Formen: dem vaginalen und dem klitoralen. Der
       vaginale gilt als der bessere, der erwachsene Orgasmus. Der klitorale
       Orgasmus hingegen, den Frauen zum Beispiel durch Selbstbefriedigung oder
       Oralsex erreichen, gilt als der minderwertige. Die höchste Lust, so die
       Theorie Freuds, könne nur durch das männliche Glied erzielt werden.
       
       ## Falsch dargestellte Anatomie
       
       In der Praxis führt dies zu der „Orgasmuslücke“, wie sie die Studie
       aufzeigt – und zu den oft verzweifelt klingenden Foreneinträgen im Netz, wo
       Frauen darüber klagen, dass sie nicht durch „normalen“ Sex befriedigt
       werden können und so wenig Spaß im Bett haben. Die Idee, dass nur
       Penetration „normaler“ Sex ist, erklärt auch die fast manische Suche von
       Ratgeberbüchern und Frauenmagazinen nach dem sagenumwobenen „G-Punkt“.
       
       Der patriarchale Blick auf die weibliche Lust hat aber auch zur Folge, dass
       die weiblichen Geschlechtsorgane bis heute nicht umfassend erforscht sind.
       Sogar in Anatomiebüchern und -modellen ist die Klitoris oft nicht exakt
       dargestellt: Denn sie ist nicht etwa nur eine erbsengroße Spitze, sondern
       länglich, misst durchschnittlich sieben Zentimeter, und ist eine
       hocherogene Zone entlang der inneren Schamlippen.
       
       Viele Mädchen und Frauen wissen das nicht oder können ihre Genitalien nicht
       einmal korrekt benennen – sie kennen nicht den Unterschied zwischen der
       innen liegenden Vagina und der außen sichtbaren Vulva, zu der auch die
       Klitoris zählt.
       
       Es klingt so banal, aber nur wer eine Sprache dafür hat, was er oder sie
       fühlt, kann benennen, was er oder sie will. Deshalb ist es auch nicht
       überraschend, dass lesbische Frauen viel häufiger beim Sex zum Höhepunkt
       kommen. Wer außerhalb der gesellschaftlichen Norm begehrt, kann sich nicht
       auf das klägliche Schulwissen und die gesellschaftlichen Narrative
       verlassen. Kommunikation ist der erste Schritt zur Befreiung.
       
       Wir können und müssen im Zusammenhang mit Sexualität über Ideologie
       sprechen. Von Ideologie als einem Gefüge falscher Annahmen oder einem
       falschen Bewusstsein, das es zu überwinden gilt. Das fängt auch manchmal
       mit der Erkenntnis an, dass menschliche Ängste selten angeboren oder
       natürlich – sondern erlernt und veränderbar sind. Es sind diese Fragen, die
       wir uns stellen müssen, wenn uns die nächste sensationelle Sexstudie
       begegnet.
       
       27 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Amna Franzke
       
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