# taz.de -- Kriegsverbrechen im Irak: Selfies aus dem Krieg
       
       > Rami K. ist der erste Flüchtling, der in Berlin wegen eines Handyfotos
       > vor Gericht stand. Bundesweit war es der zweite Fall dieser Art.
       
 (IMG) Bild: 27. März 2015: Angehörige der irakischen Armee jubeln während der Rückeroberung der Stadt Tikrit. Auch Rami K. nahm an der Offensive teil
       
       BERLIN taz | Mit Bildern fing das Unheil für Rami K. an, und mit Bildern
       geht es zu Ende. Nun sitzt er da auf der Anklagebank in einem Saal des
       Berliner Kammergerichts, ein schmaler Mann, 28 Jahre alt, mit nach hinten
       gekämmten Locken und gepflegtem Bart, und alles wegen eines Fotos, für das
       er vor zwei Jahren mehr als 4.000 Kilometer entfernt im Nordirak posierte.
       
       Es zeigt ihn, damals Oberleutnant bei einer Eliteeinheit der irakischen
       Armee, er hält in jeder Hand einen menschlichen Kopf in die Höhe. Die Köpfe
       wurden von den Leichen zweier IS-Kämpfer abgehackt. Aber das ist nur ein
       Teil der Geschichte. Denn es ging in dem Prozess, der am Mittwoch endete,
       nicht nur um einen Flüchtling, der sich eines Kriegsverbrechens schuldig
       gemacht hat.
       
       Die Geschichte hinter dem Foto ist vertrackt; sie handelt vom Bruch des
       Völkerrechts, von Verrohung und Moral, aber auch davon, wie schwer es ist,
       bei Verbrechen, die in fernen Krisenregionen begangen werden, Gerechtigkeit
       herzustellen.
       
       ## „Müssen wir das verhandeln?“
       
       „Wir haben einen Krieg, bei dem die Folgen mittelbar bei uns spürbar sind.
       In der Situation stellt sich die Frage: Müssen wir das hier verhandeln?“,
       fragt Richter Clemens Brandt bei der Urteilsverkündung. Seine Antwort:
       „Wenn wir für uns in Anspruch nehmen, völkerrechtliche Standards zu achten,
       dann muss ein Rechtsstaat seine Prinzipien verteidigen.“
       
       Rami K. wird wegen Kriegsverbrechen zu 20 Monaten verurteilt, ausgesetzt
       zur Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre Haft ohne Bewährung
       gefordert. Der Schutz des Völkerrechts gelte auch für IS-Terroristen, sagte
       die Staatsanwältin. „Das Foto diente dem Zweck, den Gegner zu verhöhnen und
       in ihrer Totenehre herabzuwürdigen.“
       
       Rami K. sitzt in sich gekehrt auf der Anklagebank; von den Zuschauerbänken
       aus ist er kaum zu sehen, weil seine Übersetzerin sich vor ihn beugt. Rami
       K. hat gleich am ersten Tag der Verhandlung gestanden; das erleichtert die
       Sache für das Gericht erheblich. Die Polizisten, die ihn vernommen haben,
       beschreiben ihn als ruhigen, unauffälligen Typen, der mit ihnen kooperierte
       und seine Passwörter bereitwillig herausgab. Das ist ein Grund für das
       vergleichsweise milde Urteil. Kompliziert machte den Fall aber, dass Rami
       K. sich immer wieder in Widersprüche und Ausflüchte verstrickte.
       
       „Ich habe Fehler begangen und bereue, was ich getan habe“, sagt er am Ende
       der Verhandlung. Rami K. hat keine Vorstrafen. Er wuchs als Sohn eines
       leitenden Bankmitarbeiters in Bagdad auf, ist verheiratet und war bis vor
       wenigen Jahren angestellt in derselben Bank wie sein Vater. Er sagt, schon
       in dem Moment, wo das Foto entstand, sei ihm klar gewesen, dass er etwas
       Falsches tut. Nur dass ihm dieses Bild einmal fernab der Heimat zum
       Verhängnis werden würde, das konnte er da nicht ahnen.
       
       ## Wer postete das Bild?
       
       „Er wunderte sich, warum er überhaupt in Deutschland verfolgt wird – das
       sei doch gar nicht hier passiert“, sagt die zuständige Beamtin vom
       Landeskriminalamt. Das Bild fand seinen Weg ins Internet, wo es auf
       Facebook verbreitet wurde, jemand postete es auch auf der Seite von Rami
       K.s Armeeeinheit. Hat er es selbst heruntergeladen oder weiterverbreitet?
       Hat es ihm jemand zugeschickt? Fragen, auf die das Gericht keine Antworten
       findet.
       
       Der Richter hält Rami K.s Tablet in die Höhe, ein weißes Gerät von Samsung.
       Der Iraker wäre wohl nie vor Gericht gelandet, hätte er das Bild nicht
       selbst in seiner Flüchtlingsunterkunft herumgezeigt, einer Turnhalle in
       Berlin-Treptow. Das ist zumindest die Version der Zeugen. Rami K. sagt,
       andere Flüchtlinge hätten sich gegen seinen Willen durch die Fotos auf
       seinem Tablet geklickt.
       
       Hat Rami K. mit dem Foto geprahlt? Oder wurde er gar ausspioniert,
       womöglich von IS-Sympathisanten in der Unterkunft? Auch solche Fragen
       stellen die Juristen in Berlin, und damit liefert der Fall Rami K. einen
       Vorgeschmack auf die Komplexität solcher Fälle, die auf die deutschen
       Justizbehörden zukommen könnten.
       
       ## Syrer erstatten Anzeige in Karlsruhe
       
       Hunderttausende Flüchtlinge sind aus Ländern wie Irak oder Syrien gekommen,
       darunter Folteropfer, aber auch Täter. Täglich gehen bei den
       Ermittlungsbehörden Hinweise auf angebliche Kriegsverbrecher ein, rund
       4.000 im vergangenen Jahr auf vermeintliche IS-Terroristen, Milizionäre
       oder Schergen des Assad-Regimes, gegen rund 20 Personen wird ermittelt.
       Gerade haben sieben Syrer in Karlsruhe Strafanzeige erstattet wegen Folter
       und Freiheitsentzug; allerdings leben deren Peiniger noch in Syrien, ob der
       Prozess stattfinden kann, ist daher offen. Täter, die in Deutschland leben,
       können leichter belangt werden – vorausgesetzt, ihre Taten lassen sich
       nachweisen.
       
       Mit Rami K. stand erstmals ein Flüchtling wegen Kriegsverbrechen in Berlin
       vor Gericht, in Frankfurt wurde im Mai 2016 ein ähnlicher Fall verhandelt:
       Aria L., ein 21-Jähriger aus Offenbach, war als Dschihadist nach Syrien
       gereist und hatte lachend auf einem Foto mit auf Metallstäben gespießten
       Köpfen posiert. Der vorbestrafte Mann wurde zu zwei Jahren ohne Bewährung
       verurteilt.
       
       Der Fall Rami K. ist schwerer zu bewerten. Der Iraker war kein Extremist,
       sondern Soldat. Wie es überhaupt zu dem Foto kam, beantwortet er
       unterschiedlich: „Er hat zuerst angegeben, er sei zu dem Foto gezwungen
       worden. Dann hat er gesagt, er habe sich gezwungen gefühlt“, sagt die
       LKA-Beamtin. Fest steht, dass Rami K. die Köpfe nicht abgetrennt hat. Seine
       Einheit war nahe der Stadt Tikrit stationiert, US-Kampfjets hatten die
       Region tagelang bombardiert. Rami K.s Einheit sollte das Gelände sichern
       und von Leichen räumen. Ein Clip auf YouTube beweist, dass zwei Soldaten
       zwei tote Männer mit dem Beil enthaupten – Rami K. ist nicht dabei.
       
       ## Gruppenzwang
       
       Ein Freund von ihm, wie er Armeeoffizier, soll ihn aufgefordert haben, sich
       mit den Köpfen fotografieren zu lassen. Rami K. hat es getan. Er sagt, er
       fürchtete, sonst seine Autorität in der Truppe zu verlieren oder, wie es
       der Richter formuliert: „Sie haben dem Gruppendruck nicht standgehalten.“
       
       Der Kampf gegen den IS ist auch ein Krieg der Bilder und der Fall Rami K.
       ein Beispiel dafür, was geschieht, wenn reale Gräueltaten und soziale Media
       zusammentreffen. Das Internet ist voll von Clips, auf denen grauenvolle
       Bluttaten zu sehen sind. „So wird heute Krieg gemacht“, sagt Rami K.s
       Anwalt Marvin Schroth, „man will Leute einschüchtern und sich selbst
       hochleben lassen, und das mit allen medialen Mitteln.“
       
       Rami K. zeigt sich gern auf Fotos. Die LKA-Beamtin sagt: „Auf den Bildern
       ist zu 90 Prozent er selbst zu sehen.“ Am liebsten zeige er sich in
       martialischen Posen, beim Kampfsport, mit Waffen in der Hand, es gebe aber
       auch Aufnahmen von seiner Flucht, Menschengruppen im Wald.
       
       ## Beleg fürs Asylverfahren
       
       Rami K. sagt, dass ihn die Videos auf YouTube von den Verbrechen des IS
       überhaupt erst zur Armee brachten. Zuvor habe er ein zufriedenes Leben
       geführt, er sei jeden Tag zur Arbeit gegangen, dann aber habe er auf
       YouTube gesehen, wie der IS im Nordirak jesidische Kinder quält und
       ermordet.
       
       „Hat er erklärt, warum er das Foto auf seinem Tablet hatte?“, fragt der
       Richter.
       
       „Er sagte, er wollte es hier in seinem Asylverfahren verwenden“, sagt die
       Frau vom LKA. „Als Beweis dafür, wie schlimm die Zustände im Irak sind.“
       
       Das ist wenig schlüssig, denn damit würde er ja einen Beweis für sein
       eigenes Vergehen mit einreichen. Rami K. kam im Dezember 2015 über die
       Türkei nach Deutschland, im Januar 2016 stellte er seinen Asylantrag. Das
       Foto legte er nicht vor.
       
       Doch ein paar Monate später, am 31. Juli 2016, holte ihn das Bild wieder
       ein: Es gab Streit in seiner Flüchtlingsunterkunft, was genau geschehen
       ist, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Jedenfalls wurde die
       Polizei gerufen, die Beamten nahmen die Aussagen der Flüchtlinge auf, und
       einer von ihnen wies sie dabei auf das Bild hin, das er auf Rami K.s Tablet
       gesehen hatte. „Die Frage ist, wie das Bild von der Linse auf das Tablet
       kam“, fragt der Richter. Die Polizisten zucken die Schultern. So bleiben
       bei dem Fall einige Lücken, die sich nicht schließen lassen.
       
       ## Verbrechen auf beiden Seiten
       
       Rami K.s Anwalt jedenfalls sagt, dass die Sache kein Spaß für seinen
       Mandanten war, die Leichen hatten schon eine Weile in der Sonne gelegen.
       Rami K. habe danach eine Woche nichts essen können. Dieser Fall sei ganz
       anders als der in Frankfurt, „Rami K. ist einer, der unsere Werte
       verteidigt hat“.
       
       Doch auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Amnesty International hat
       zahlreiche Kriegsverbrechen der irakischen Armee dokumentiert, Folter,
       Leichenschändungen, Hinrichtungen, zu den Opfern zählen nicht nur
       IS-Kämpfer, sondern auch Zivilisten. Richter Clemens Brandt tat sich
       schwer, zu einem angemessenen Urteil zu kommen. Man könne sich nicht
       anmaßen zu wissen, wie es ist, in einem brutalen Krieg zu stecken. „Ein
       kleiner, sehr bedeutsamer Unterschied zu anderen Fällen ist, dass
       normalerweise sehr klar ist: Das sind die Guten, das sind die Schlechten.
       Wäre er IS, wäre die Sache klar. Ist er aber nicht.“
       
       Rami K. will nun zurück in den Irak. Sein Anwalt sagt, der Polizeieinsatz
       habe ihn verstört, auch hat seine Schwiegermutter ihn um Rückkehr gebeten.
       Aber nun kommen ihm neue Bilder dazwischen, aufgenommen im Gerichtssaal:
       Die Bild-Zeitung zeigte sein Gesicht unverpixelt, al-Dschasira nannte
       seinen vollen Namen. Das könnte ihn in seiner Heimat in Lebensgefahr
       bringen; der IS hat ohnehin Steckbriefe von ihm veröffentlicht, die
       kursieren im Internet, zusammen mit den Fotos, die er nun nicht mehr
       loswird.
       
       5 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela Keller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kriegsverbrechen
 (DIR) deutsche Justiz
 (DIR) „Islamischer Staat“ (IS)
 (DIR) Irak
 (DIR) Schwerpunkt Syrienkrieg
 (DIR) Mossul
 (DIR) Schwerpunkt Syrienkrieg
 (DIR) Lesestück Meinung und Analyse
 (DIR) Vereinte Nationen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Syrien-Studie von Save the Children: Kinder haben Kriegsschäden
       
       Sprachstörungen, Bettnässen, Alpträume: Der Krieg in Syrien hat einer
       Studie zufolge bei einem Großteil der Kinder schwere psychische Schäden
       hinterlassen.
       
 (DIR) Offensive in Mossul: Foltervorwürfe gegen die Armee
       
       Menschenrechtsorganisationen berichten von Gewalt gegen Zivilisten und
       Verschleppungen. Es geht um die Offensive irakischer Soldaten gegen den IS
       in Mossul.
       
 (DIR) Haftstrafe für IS-Leichenschänder: Mit geballter Faust
       
       Zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt ein Frankfurter Gericht
       Abdelkarim E., der im syrischen Krieg für den IS kämpfte.
       
 (DIR) Internationale Kriegsverbrecherprozesse: Die ignorierten Zeugen
       
       Auch deutsche Gerichte verhandeln Kriegsverbrechen im Ausland. In
       betroffenen Ländern ändert das wenig – erst recht für Opfer und Angehörige.
       
 (DIR) UN-Bericht über Gewalt im Irak: IS begeht Völkermord
       
       Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Das
       werfen die UN den islamistischen Extremisten im Irak vor.